Nach „Arrangement“ und „Interieur“ ist „Objekt“ die letzte der drei Gruppenausstellungen zum Themenschwerpunkt „Stilleben“ der FOTOGALERIE WIEN.
Die Leitthemen, mit denen sich die sechs ausgewählten KünstlerInnen beschäftigen, sind stoffliche und haptische Qualitäten sowie die Oberfläche des Mediums als solche und das, was sich darunter bzw. dahinter verbirgt. Es wird somit eine Skepsis an der realistischen Wiedergabe der Dinge zum Ausdruck gebracht und betont, dass diese eine andere, eine geheimnisvolle Seite haben, die es aufzudecken gilt. Spannend ist anhand der fünf unterschiedlichen künstlerischen Positionen zu verfolgen, wie die KünstlerInnen ihr Medium als Herausforderung betrachten. Gerade mit Fotografie und Video, die unter den Medien am stärksten der Wirklichkeit verbunden sind, wird versucht, das eigentlich nicht Sichtbare der Dingwelt offen zu legen. Gleichzeitig wird der Betrachter immer wieder durch verschiedene Kunstmittel auf die Oberfläche der beiden Medien und der Motive zurückgeworfen, als ob das Geheimnis der Dinge nur angedeutet und nicht gelüftet werden soll.
Im Unterschied zur alten Stillebenmalerei stehen nun nicht mehr die Gegenstände im Zentrum des Bildes, sondern die Aufmerksamkeit konzentriert sich auf deren Oberfläche, welche zum Teil zur Bildfläche wird. Die Hülle differenziert generell zwischen einem Innen und einem Außen. Sie ist jener Bereich, mit dem die Umgebung zuerst in Kontakt kommt bzw. wahrgenommen wird. Durch die Betonung der Oberfläche wird gleichzeitig ein Zweifel an einer körperlichen Präsenz der Objekte bzw. an einer Identität zwischen Oberfläche und Körper formuliert.
Diese Herangehensweise verweist auf die Philosophie des Dekonstruktivismus, die Ablenkungsmanöver vom eigentlich Thematisierten, inszeniert.
Bei drei der TeilnehmerInnen stehen teppichartige Oberflächen im Vordergrund:
Judith Huemer (A) großformatige Bilder überwältigen auf den ersten Blick durch die bunten Muster der von ihr fotografierten kitschigen Decken, die man in Bazars findet; auf den zweiten Blick sind unter den Decken verborgene Figuren bzw. Körperteile zu erkennen. Um diesen Effekt zu erreichen, hat die Künstlerin sich aus den Kunstfaserdecken Overalls genäht, die den gesamten Körper, eingeschlossen Hände und Gesicht, bedecken. In diesen Anzügen hat sie verschiedene Posen eingenommen und fotografiert. Mit Hilfe des Computers wurden dann die einzelnen Posen freigestellt und mehrere von ihnen so ineinander gruppiert, dass sie das gesamte Format füllen. Haben die bunten Decken den Körper der Künstlerin total bedeckt, so bedecken nun die bunten Figuren die gesamte Bildfläche. Die Künstlerin breitet sich sozusagen geklont aus und gewinnt an Raum. Diese Terraineroberung gelingt jedoch nur unter dem Deckmantel des floralen Muster, das die menschliche Eigenschaft des Handelns dämmt. Verstärkt wird dieser Effekt noch vom barocken Gewoge des gesamten Bildfeldes. Die lebensgroßen Formate gewinnen an Eigendynamik, die durch die taktile Oberfläche, man möchte die Nähte greifen und über den Stoff streichen, unterstützt wird. „balance of mind“ heißt der Titel der 2004 entstandenen Serie. Durch die Art und Weise der Komposition und Auswahl der Farbmuster erzielt Judith Huemer unterschiedliche Stimmungen und Raumwirkungen, die eine Bandbreite von kokonartig kauernd über andächtig
harrend bis dynamisch-aggressiv vorstoßend umfassen.
Geert Saman (B) Fotografien zeigen ebenfalls Decken oder Tücher: eine rosafarbene Decke mit
einem V-förmigen Faltenwurf, ein weißes zerknittertes Tuch, dessen Falten von einer kleinen Mulde ausgehen, oder einen schwarzweiß karierten glatten Stoff, der in der Mitte so stark beleuchtet ist, dass das Muster sich zu den Rändern hin im Schwarz verliert. Die Blickwinkel sind unklar: schauen wir von oben oder von der Seite? Und noch rätselhafter ist, was sich dahinter verbirgt: ein menschlicher Körper oder ein Möbelstück? Eine tiefschwarze Dunkelheit, schmal sichtbar an den Rändern des rosafarbenen und weißen Tuches bzw. die Hälfte der
Fläche des Bildes mit dem karierten Stoff einnehmend, unterstützt noch die Ungewissheit über die Herkunft, Lage und Bezugsverhältnisse der Stoffe, denn vom Hintergrund wird so überhaupt nichts verraten. Um vielleicht dennoch etwas
zu erkennen bleibt also nur übrig, dass man den Blick entlang der Stoffe wandern lässt. Durch die detailgenaue Aufzeichnung der Oberflächen, durch die Beobachtung der Modulationen, die von Licht und Schatten hervorgerufen werden, ist es, als ob der Künstler den Falten oder Fasern ein Geheimnis entlocken möchte. Er bringt es uns verführerisch nahe. Doch beim Versuch, das Gesehene in einen Bezug zu unserer Wirklichkeitserfahrung zu, scheitert
der Betrachter und fällt – bildlich gesehen – ins schwarze Loch!
Wolfgang
Reichmann (A) deutet schon mit dem Titel seiner 1998 entstandenen, wandfüllenden 36-teiligen Arbeit „Garment piece 1#36“ seine Auseinandersetzung mit der Flächenhaftigkeit an. Zu
sehen sind, in vier mal neun Einzelbildern zerlegt, mehrere Kleidungsstücke, die so gruppiert sind, als seien sie wie auf den Boden hingeworfen. Die verwendete Technik des Fotogramms lässt die Kleider wie im Röntgen erscheinen und verleiht ihnen dadurch eine schwebende Leichtigkeit – wie Engel in einem
alten Deckengemälde beginnen sie zu tanzen und ohne Körper zu agieren: Zwei verteilte Socken, ein schlängelnder Schlips, eine Hose und ein Kleid, beide leicht abgewinkelt, verstreute Unterwäsche … . Der himmlische Reigen lässt sich jedoch auch ganz irdisch interpretieren, betrachtet man diesen quasi in
der entgegengesetzten Richtung, den Blick zum Boden gesenkt. Man könnte vermuten, dass ein Mann und eine Frau einander begegnet und aus dem Bildfeld verschwunden sind.
Tamara Horáková +
Ewald Maurer (CZ/A)
überführen den fotografierten Gegenstand, eine Fotopapierrolle, kompositorisch ebenfalls in die Zweidimensionalität der Bildfläche. Durch die Bearbeitung des analogen Fotos mit Retuschen, durch die Veränderung der Proportionen des
Formates und durch die Reduzierung der Farbigkeit auf ein spezifisches Schwarz mit 24 Prozent Blauanteil erreichte das Künstlerduo die minimalistische Wirkung, die auf einen unendlichen Raum anspielt. Die Arbeit „192116051819160918011205“ erinnert an eine Mondfinsternis, aber auch an eine schwarzweiß fotografierte Iris. Innerhalb wie außerhalb des hellen Reifens ist die immer gleiche, spurenlose Dunkelheit zu sehen, welche das suchende Auge des Betrachters überall abrupt zurückweist. Es ist, als ob Tamara Horáková + Ewald Maurer die Erfahrung des Menschen angesichts des Weltalls thematisiert hätten, dessen
Entstehungsgeschichte bis heute nicht erkannt werden konnte. Gleichzeitig überführen sie ihr fotografiertes Nicht-Fassbares in einen Zirkel: der fotografierte Gegenstand ist identisch mit dem Bildträger: ein Ilfochrome-Papier. Was war jedoch am Anfang? Das Bild desselben? Oder das
Material?
In den Videos von Walter
Mirtl (A) wird die flächenhafte Wirkung durch den stakkatoartigen Schnitt und den raschen Wechsel von immer zwei Bildsequenzen erzeugt. Von ihm ist eine Auswahl seiner „Loops“, an denen er seit 2001 arbeitet, zu sehen. Die eigentliche erzählte Handlung eines jeden Videos findet in zwei Sekunden statt. Diese wurde dann auf einige wenige Minuten immer wieder hintereinander addiert.
Mirtl arbeitet hier mit der Überblendung bzw. dem raschen Wechsel von jeweils zwei Aufnahmen, die real nichts miteinander zu tun haben: In „Hirsch“ ist es die Ansicht desselben mit einer abstrakten Fläche, in „Paradeiser“ eine Hausfassade und im Topf kochende Tomaten, in „Cavetelli“ ein altes Kino und im Topf kochende Nudeln. Den einzelnen Dingen, Tieren oder Menschen ist so jeweils nur ein Bruchteil von einer Sekunde an Bewegung gestattet. Abgesehen davon, dass
manchmal auch Fotos als Vorlagen dienen, wird durch den raschen Abbruch und den Wechsel in ein völlig anderes Bild, und damit in einen neuen Bedeutungszusammenhang, der Handlungsspielraum der Akteure abrupt abgeschnitten. Durch die ständige Wiederholung nur dieser zwei Sequenzen werden
die Personen immer wieder zum selben Ausgangspunkt zurückgeführt und mutieren gleichsam zu einem Stehaufmännchen, das dazu verdammt ist, immer dieselbe
Bewegung zu wiederholen. Diese wird jedoch in der Permanenz der Wiederholung aufgehoben. Sogar Lebewesen, und in „Space“ schließt sich der Künstler ironischer Weise selbst ein, bekommen hiermit einen objekthaften Charakter. Die surrealistische Methode des Schneidens, Überblendens und der Montage von Dingen, die nichts miteinander zu tun haben, hat Walter Mirtl im Video angewandt und so ebenfalls surreale Verhältnisse geschaffen.
Andrea Domesle