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Ausstellungen

WALTER K. MIRTL / L’UBO STACHO

7. Mai 1997 – 31. Mai 1997

Walter Mirtl (AT), L’ubo Stacho (SK)

Walter K. Mirtl: Im Raum stehen fünf Monitore, jeder zeigt, einem Portraitfoto gleich, das unbewegte Bild einer Person. Einzig die immer wiederkehrende Bewegung der Augenlider, der sich nahezu in absoluter Ruhe befindlichen Modelle, machen dem Betrachter den kontinuierlichen Zeitablauf einer Videoaufnahme erkennbar. Nicht Film, wo die Regie dem Zuseher die zeitliche Betrachtungsmöglichkeit vorgibt, auch kein Bild, in dem Zeitfluß nicht möglich ist, sondern ein Grenzbereich zwischen den Medien soll hier als Grundlage einer ästhetischen Konzeption dienen … (Walter K. Mirtl)

L’ubo Stacho. Anmerkungen zum aktuellen Schaffen: Zu den ausdruckstärksten Persönlichkeiten der gegenwärtigen künstlerischen Szene der Slowakei gehört der Fotograf L’ubo Stacho. In seinem Schaffen kann man von Anfang an konzeptuelle Ausdrucksmittel und Elemente erkennen. Bereits in seinem Frühwerk, das thematisch dem Bereich der sozialen Dokumentation zuzuordnen ist, äußert sich das Bemühen des Autors, den spezifischen Widerspruch in den bildnerischen, ikonografischen Möglichkeiten, d. h. bestimmte Grenzen der Fotografie, aufzuheben, wobei ein Bedürfnis nach einer grenzüberschreitenden künstlerischen Aussage zutage tritt. Dieses Moment, doch vor allem die innere Ausrichtung des Autors, führte ihn zum Thema der Zeitlichkeit als ein Verhältnis zwischen Vergänglichkeit und Ewigkeit. Durch sein fotografisches, aber auch mixmediales Werk Ende der 1980er- und Anfang der 1990er-Jahre geriet Stacho in die Sphäre der spirituellen Kunst. Eine Besonderheit seiner Aussage war das Thema „Ausstrahlung“ – innerer Energien des Menschen, der Dinge und Erscheinungen des Seins und ihrer Interaktion –, mit welcher der Autor die innersten Dimensionen des menschlichen Seins und zugleich seine Verwundbarkeit festhalten konnte. Ausgedrückt hat er dies mittels verschiedener Aktions- und Installationsprojekte. Nach einigen Erfahrungen mit Ready-Mades, kehrte er wieder zu seinem Ausgangspunkt zurück – zur Fotografie. Er begreift sie als ein traditionelles, materielles und visuelles Auffangen von Energien.
In den 1990er-Jahren inspiriert ihn das Motiv der Turiner Leinwand mit dem Abdruck des Gesichtes Christi und 1993 beginnt er, an einem breit konzipierten Zyklus von Fotoleinwänden zu arbeiten. Die ersten entstehen mittels einer pseudografischen oder eigenen Technik – der fotografischen Monotypie –, wobei der Autor die angefeuchtete Fotografie auf die Fläche einer weißen Leinwand wirken läßt. Die Werke sind auf dem Prinzip eines zweifachen Einfangens bzw. einer Weiterentwicklung von Energien aufgebaut. Dies gilt für den Zyklus, Das Vermächtnis der Hl. Veronika, der durch eine fototechnische Übertragung auf Leinwand geschaffen wurde. Der Autor weist auf die geistigen Werte eines jeden Menschen und die Notwendigkeit einer Reinigung und Erneuerung der wechselseitigen menschlichen Verständigung hin.
Zur gleichen Zeit bis 1993 porträtierte Stacho mit Hingabe auch Kinder, die vor dem ersten ernsten Augenblick des christlichen Lebens nach der Taufe stehen – der Erstkommunion. Der Autor arbeitet hier wieder auf Grundlage formaler, realistischer, keineswegs stilisierter Fotodiptychen. Die kurze, bündige Bezeichnung des Zyklus lautet Davor-Danach. Die Intensität im Ausdruck und Inhalt dieser Arbeiten liegt in ihrer spirituellen Fragestellung. In ihnen bietet der Autor Raum zum Nachdenken, aktualisiert die Frage nach dem Sinn der Religion für das diesseitige Leben des Menschen und auch den Sinn des Traditionalismus der Religiosität. Den Augenblick der ersten offiziellen Annahme der Religion zeigt der Autor durch die Strenge der formalen Attribute des Aktes selbst. Er konzentriert sich darauf, den Ausdruck des Gesichtes, der Augen, der geistigen Ausstrahlung der Kinder, ihre Identität und Beseeltheit, ihre Euphorie und Ernsthaftigkeit festzuhalten. Der Zyklus ist eigentlich eine Herausforderung von allem Profanisierten, Konservativen und Schematisierten der Gottesgläubigkeit in unserem alltäglichen Leben.
In diesem Zyklus bringt Stacho eine weitere thematische Dimension in sein spirituell ausgerichtetes Schaffen. Unter allen Arbeiten ist diese die realistischste, strengste; sie wirkt vor allem durch das Thema Kinder – durch ihre apriore Reinheit, aber auch Unreife, der Möglichkeit manipuliert zu werden. In diesem Fall freilich für das Höchste im menschlichen Sein. (Alena Vrbanová)