UNFOLD

3. Dezember 2024 – 18. Jänner 2025

Julia Gaisbacher (AT), Herbert Hofer (AT), Lukas Matuschek (AT), Ziad Naitaddi (MA), Ksenia Yurkova (AT)

BILDER |

Eröffnung: Montag, 2. Dezember 2024, 19.00 Uhr
Einführende Worte: Johan Nane Simonsen

„As the story unfolds“ ist eine englische Redensart, die beschreibt, wie sich historische Ereignisse nach einer inneren Logik entwickeln. Sie deutet darauf hin, dass die Geschichte nach und nach sichtbar wird und sich erst allmählich erschließt. Diese Geschichte verläuft nicht geradlinig: Sie knittert und entfaltet sich, wieder und wieder, wiederholt sich, wie Karl Marx sagte, als Tragödie und Farce. Doch was passiert, wenn die Wiederholung endlos weiterläuft, wie in einem Strudel, der uns mitreißt? Wir versuchen das System der sich überlagernden historischen Schichten zu verstehen, woraus sich unsere Gegenwart zusammensetzt, das Chaos zu glätten – doch gibt es am Ende wirklich ein „großes Ganzes“? Oder entfalten wir nur immer weiter, in einer Art endloser Spirale, bis sich herausstellt, dass das Zentrum leer ist? UNFOLD fordert uns auf, dieser Frage nachzugehen. Es geht in der Ausstellung um formale, topologische Faltungen, aber es geht in erster Linie um die komplexen Schichten von gesellschaftspolitischen und geopolitischen Prozessen, die unser Leben bestimmen. Die Werke dieser Ausstellung laden uns ein, nicht passiv zu betrachten, sondern aktiv zu „entfalten“.

Stadtentwicklung und Gentrifizierung prägen den urbanen Raum, doch selten so massiv wie beim Projekt „Belgrade Waterfront“ in der serbischen Hauptstadt. Seit 2015 transformiert dieses von der Investorengruppe „Eagle Hills“ finanzierte Großprojekt die Stadtlandschaft mit riesigen Glas- und Stahlgebäuden. Es dominiert Belgrad stadtplanerisch, ökonomisch und visuell. Julia Gaisbacher dokumentierte diese Transformation von 2017 bis 2022 in ihrer Arbeit One Day You Will Miss Me. Ihre fotografischen Porträts zeigen den Status quo und die baulichen Veränderungen Belgrads. Über die Jahre wurde das Werk zu einem Archiv und einer visuellen Metapher für globale urbane und politische Veränderungen.

Herbert Hofers Arbeiten setzen sich oft mit Überlagerungen, Räumen und verschiedenen Blickwinkeln auseinander. Dahinter steht ein Misstrauen gegenüber einfachen, unkommentierten Aussagen. Er sieht Wahrnehmung als etwas Instabiles, das von biologischen, psychischen, politischen und sozialen Einflüssen bestimmt wird. Gleichzeitig hat er den Wunsch, über das hinauszugehen, was er sich vorstellen kann. Durch Überlagerungen und Veränderungen bleiben ursprüngliche Aspekte der Realität erhalten, werden aber neu betrachtet. Die Arbeiten der Werkgruppe raumfalte bestehen aus großen Fotos von Hofers Atelier, die auf Aluminium gedruckt und so geknittert werden, dass sie frei im Ausstellungsraum stehen können.

Conversations about the weather (Schirokko) von Lukas Matuschek basiert auf digitalen Konversationen, insbesondere auf Fotos, die in einem Gruppenchat ausgetauscht wurden. Die Serie zeigt eine griechische Inselgruppe, fotografiert von einem Freund, der während Sandstürmen in der Region segelte. Der Saharawind, der von Afrika nach Europa weht, verändert die Landschaften, die er trifft, ähnlich wie Smog. Er hüllt Stadt- und Naturlandschaften in eine diffuse Wolke, verwischt Kanten und macht Details unkenntlich. Die vom Wind getragenen Sandpartikel verfremden vertraute Orientierungspunkte, die ätherisch erscheinen, als sähe man sie durch Nebel. Die Komposition betont die transformative Kraft dieses Windes, nur noch schwach erkennt man die Insel-Silhouetten gleichsam als Erinnerung an den fotografischen Ursprung des großformatigen Bildes.

Ziad Naitaddi begegnete Menschen im Exil und Migrant:innen, deren Erzählungen seine Werke prägen und die Veränderung emotionaler Landschaften widerspiegeln. Seine Kunst beschäftigt sich mit Identität, Heimat und emotionaler „Verwandlung“, inspiriert von dem indischen Philosophen Homi K. Bhabha. Durch visuelle „Chirurgie“ reduziert Naitaddi Bilder auf Pixel, die zu politischen Erzählungen werden. Er simuliert gezielt die Veränderung der Realität, um Emotionen zu manipulieren. Seine Kunst fragt: „Was offenbart sich, wenn wir über die Bildoberfläche hinaussehen und die Zeit einfrieren?“ Ziad zeigt, dass in der Manipulation von Bewegung und Emotion Erinnerungen und Erfahrungen auftauchen, die über das unmittelbar Fassbare hinausgehen.

In Easter analysiert Ksenia Yurkova mithilfe von Found Footage und persönlichen Videos den diskursiven Eklektizismus und die neue politische Eschatologie des modernen Russland. Diese hat sich als ideologische Rechtfertigung für die militärische Invasion der Ukraine, insbesondere die sogenannte „Entnazifizierung“, herausgestellt – eine Spiegelprojektion der inneren Faschistisierung Russlands. Die Arbeit untersucht die Grundlagen dieser neuen Kriegsdoktrin und ist formal als spekulative Polyphonie von Stimmen der älteren Generation der Künstlerin aufgebaut. Ein zentraler Anknüpfungspunkt ist Yurkovas Großmutter jüdisch-griechisch-ukrainischer Herkunft aus Mariupol, die den Nazis entkam. Die Paradoxien der Sprache zeigen sich im Kontrast von Found Footage und von der Künstlerin geschaffenen Videosequenzen, die das Pathos ideologischer Tragödien und den grotesken Glauben an die Realität widerspiegeln.

Petra Noll-Hammerstiel und Johan Nane Simonsen