Eröffnung: Montag, 12. Oktober, 19.00 Uhr
Einleitende Worte: Julian Tapprich
Begleitprogramm: 23. Oktober, 20.00 Uhr
Filmscreening Karlheinz Stockhausen: Helikopter-Streichquartett von Frank Scheffer, 1995, 78 min., mit einer Einführung von Andreas Müller
sponsored by: BKA Kunst; MA7-Kultur; Cyberlab, Bezirkskultur Alsergrund / Dank an: Stockhausen-Stiftung für Musik und Frank Scheffer; Galerie Stadtpark Krems; Eye Filmmuseum Amsterdam
Lange Zeit geradezu in geschwisterlichem Naheverhältnis gesehen, ist heute fast vergessen, wie viele Berührungspunkte es zwischen Kunst und Wissenschaft gibt. Gilt es doch da wie dort die Welt neu zu denken, neue Verstehensmodelle zu erproben oder Bilder für etwas zu finden, das gerade noch ungreifbar erschien. Experiment und Versuchsanordnung liegen dabei nicht selten im Kern des jeweiligen Unterfangens. Die FOTOGALERIE WIEN zeigt künstlerische Positionen, die unerwartete Erkenntnisse hervorbringen. Was eben noch als Linie gedacht wurde, darf jetzt einen Bogen schlagen: In der Ausstellung To Draw a Bow to Bend a Line werden Lichtwellen gebrochen und Wellenbewegungen eingefangen, die DNA zum Klingen gebracht und Bakterien in ungeahnten Beschäftigungsmöglichkeiten eingesetzt.
In seiner Installation BREAKWATER (2008-2010) greift Alan Cicmak auf einen Film von Thomas A. Edison zurück, der 1901 von einem kleinen Boot aus die Konstruktion eines Hafendamms dokumentierte. Cicmak konzentriert sich auf eine zwei Sekunden kurze Sequenz, die neben den Arbeiten am Pier auch den starken Wellengang festhält, dem das Boot und somit die Kamera ausgesetzt ist. Die 48 Frames dieser Sequenz werden als Transparentfolien hintereinander gehängt und der Höhe nach an der Horizontlinie ausgerichtet, was die Wellenbewegung von vorne gesehen scheinbar nivelliert. Von der Seite aber zeigt sich ein Kurvenschlag in der Hängung, der in seiner unverbrauchten Exaktheit den Wellengang als Trouvaille einer vergangenen Zeit ans Tageslicht hebt.
Edgar Lissel gelangt durch seine Beschäftigung mit Cyanobakterien zu einer eigenen Methode der Bilderzeugung. Er nutzt die Eigenschaft dieser Bakterien, sich zum Licht hin zu orientieren: In einer Agar-Nährlösung in durchsichtigen Petrischalen wachsen die Bakterienkulturen entlang der von ihm vorgegebenen Bilder. Anschließend fixiert er diesen biologischen Prozess mittels Fotografie. Für die Arbeit Bakterium – Selbstzeugnisse (1999–2001) zeichnen die Bakterienkulturen Mikroskopaufnahmen ihrer selbst nach. Lissels Fotografien dokumentieren den Moment dieses Verlebendigungsprozesses des Bildes, in dem die sonst von bloßem Auge unsichtbaren Wesen sich selbst in Überlebensgröße sichtbar machen.
Martina Menegon und Stefano D’Alessio suchen mit ihrer Installation TRANSLATION (2013) nach einer Möglichkeit, Raum so abzubilden, dass sich kleine Veränderungen in ihm besonders hervorheben. Das Bild der Umgebung wird über eine Kamera aufgenommen, eingescannt, als fortlaufende Pixelreihung gezeigt und unmittelbar in Ton übersetzt. Dieser aus den Pixeln generierte Ton wird über Lautsprecher zurück in den Raum gespielt. Die Geräusche im Raum – die aus dem Lautsprecher und alle anderen – werden über ein Mikrofon wieder gesammelt und in die Pixelreihung hineingezeichnet. So lässt die Feedbackschleife durch kontinuierlich neuen Ton- und Bildinput das Abbild von Realraum und virtuellem Raum in Echtzeit auseinanderdriften.
Die Videoarbeit Kairos (2010–2014) von Andreas Müller zeigt das Unterfangen, die Bewegung der Zeit eines Tages visuell festzuhalten. Dafür wird ein eigenes System verwendet, mit welchem man aus der klassisch-digitalen Zeitanzeige eine abstrakte Bewegungschoreographie ableiten kann. Vom Punkt 00:00 bis zum Punkt 23:59 wird jeder Sekundenschritt in ein kartesisches System übersetzt, in welchem er sodann einer bestimmten Bewegungsfolge einer abstrahierten Lichtsäule entspricht. Zu sehen ist der fast unheimliche Tanz dieser aus Lasern generierten Säule, die unbeirrt und mit hypnotischer Unermüdlichkeit über einen schwarzen Grund wandert.
Ingo Nussbaumer lotet gezielt die Möglichkeiten farbiger Erscheinungsweisen von Spektralfarben aus, die mittels Prismen, Spalt- und Stegblenden erzeugt werden können. Durch seine spezielle Art, Vollspektren zu fragmentieren, gelingt ihm eine Simultanität sonst vereinzelter physikalischer Experimente. In seiner Lichtinstallation Cut Out werden drei durch einen Spalt begrenzte Lichtkegel durch ein Prisma in Spektralfarben aufgefächert. Diese werden mittels eigens entwickelter Schablonen zu Farbpaaren fragmentiert. Abermals durch ein Prisma betrachtet, erscheinen sie als einfarbige Lichtstäbe im Raum. So werden spielerisch Rot und Grün zu Gelb, Rot und Blau zu Magenta und Grün und Blau zu Türkis vereint.
In Sarah Rechbergers Lichtinstallation Ohne Titel (Oszillationsmaschine) (2009) wird ein einfaches Quadrat aus Licht von unten in einen Kubus aus elastischem, semi-transparentem Kunstfaserstoff projiziert. In der Mitte dieses Kubus ist eine motorbetriebene Kurbelwelle angebracht, die über vier Drähte die seitlichen Stoffwände nach innen und außen spannt. Das Objekt erwacht gleichsam zum Leben und aus der starren Lichtprojektion werden pulsierende Wellenlinien. So wird unter lauten Schwingungsgeräuschen die Kreisung des Quadrates vollzogen.
In Karlheinz Stockhausens (1928–2007) „Helikopter-Streichquartett“ spielen vier StreichmusikerInnen gemeinsam ein von Stockhausen komponiertes Stück, während sie gleichzeitig, aufgeteilt auf vier Helikopter, durch die Luft fliegen. Die Flughöhe der einzelnen Helikopter wiederum ist an die Notation gebunden, mit der die Musikerin/der Musiker im Inneren gerade spielt. Das Projekt, das unter der Leitung von Frank Scheffer 1996 mit vier Videokameras aufgenommen wurde, ist somit das radikale Unterfangen, Musik gemäß ihrer Notation in den Raum zu übersetzen.
Ausgangsmaterial für Herwig Turks Videoinstallation DNA-Film (2008) ist die DNA-Sequenz, wie sie durch das Verfahren der Gelelektrophorese lesbar wird: als eine Anreihung kleiner, etwas unscharfer, schwarz-weißer Rechtecke auf Filmmaterial. Das dadurch gewonnene Material hat Ähnlichkeit mit den Lochkarten, welche die frühen Computergenerationen verwendeten, aber auch Analogien zum schwarz-weiß flackernden Anfang oder Ende einer Filmrolle. Durch eine einfache lineare Animation generiert Turk ein Video, das scheinbar die Doppelhelix – und somit den genetische Code – zum Pulsieren bringt. Der Sprung von einer zweidimensionalen grafischen Abbildung zu einer zeitbasierten Schleife wird verstärkt durch eine Tonspur, die sich mittels direkter Übersetzung der Luminanzschwankungen der einzelnen Frames ergibt.
Julian Tapprich und Petra Noll für die FOTOGALERIE WIEN