Thema:Frauen:Thema lautet das Jahresmotto, dem die FOTOGALERIE WIEN 2002 insgesamt drei Ausstellungen zu den Themenbereichen Alltag, Mutter und Körper/Sexualität widmet. Damit wird einer sich in den vergangenen Jahren immer deutlicher abzeichnenden Entwicklung Rechnung getragen: Künstlerinnen befassen sich (wieder) verstärkt mit spezifisch weiblichen Belangen. Sie setzen sich mit unterschiedlichsten Aspekten ihres Daseins auseinander und nehmen Motive ins Visier, welche im kulturellen Mainstream nicht bildwürdig sind. Ihr Interesse gilt dem privaten Leben, das zum bevorzugten Feld der ästhetischen Recherche avanciert. Vielfalt und Menge der Beiträge lassen eine erste Sondierung angebracht erscheinen, die nach Absichten und Möglichkeiten der aktuellen Kunst fragt, um Aufmerksamkeit für das zunehmend bedrohte Projekt der Gleichberechtigung zu werben.
Widmete sich die erste Schau dem Themenbereich Alltag, unternimmt die zweite, unter dem Titel Mutter stehende Exposition eine Spurensicherung weiblicher Reproduktivität. Mit Fotografien, Videos, Installationen, Fotoobjekten und Texten entwerfen acht Künstlerinnen aus Deutschland, Finnland, Großbritannien, den Niederlanden und Österreich ein facettenreiches Szenario. Das Spektrum umfasst streng formale Analysen weiblicher Selbstwahrnehmung ebenso wie die sarkastische Karikatur konventioneller Geschlechterrollenklischees, es konfrontiert die Utopie gelingender Selbstgestaltung mit der komödiantischen Inszenierung der idealtypischen Kleinfamilie und fokussiert nicht zuletzt auf die zeitlose Aktualität der Generationsproblematik, die an den Beziehungen von Müttern und Töchtern untersucht wird.
Die soziale Wirklichkeit, auf die alle Beiträge explizit Bezug nehmen, scheint einen insistierenden Blick geradezu herauszufordern. Zwar steht heute Frauen im westlichen Kulturkreis die Wahl zwischen verschiedenen Lebensentwürfen mehrheitlich frei. In fortschrittlichen Kreisen wird sogar das Ende der traditionellen Rollenzuschreibungen propagiert: An die Stelle der geschlechtsspezifischen Konzepte habe die selbstbestimmte und selbstverantwortete Konstruktion des Ichs zu treten, das sich als permanent wandelndes Patchwork von vielschichtigen, einander überschneidenden Selbst- und Fremdbildern konstituiert.
Dies eröffnet jenseits der Grenzen von Sex und Gender potentiell ungekannte Möglichkeiten der Verwirklichung. Doch die neue Freiheit hat ihren Preis. Sie verlangt die Ablösung der traditionellen sozialen Netze (Familien- und Verwandtschaftsbeziehungen) durch neue Beziehungscluster. Das heißt aber auch, dass bezüglich der Reproduktionsarbeit über die Verteilung von Rechten und Pflichten neu verhandelt werden muss, was Frauen, die sich heute für Kinder entscheiden, vor eine völlig neue Herausforderung stellt. Sowohl im privaten wie im öffentlichen Leben gilt es, jenseits der weiter tradierten konservativen Klischees, neue Positionen zu bestimmen und bewährte Konzepte auf ihre Adaptionsfähigkeit zu überprüfen.
So differenziert und kontrovers die Lebenskonzepte sind, mit welchen Frauen mit Kindern heute experimentieren, so vielfältig und lebendig sind die Beiträge der zeitgenössischen Künstlerinnen, welche die Thematik von den unterschiedlichsten Blickpunkten aus beleuchten.
Hildegund Bachler decodiert mit ihren zwischen Kitsch und Kunst changierenden Montagen auf sarkastische Weise das katholische Frauenideal. Sie blendet in volkstümliche Madonnenbilder die Gesichter von Models ein, deren makellose Schönheit perfekt mit dem religiösen Setting, den konventionellen Symbolen der unbefleckten Empfängnis und der schmerzhaften Muttergottes, harmoniert.
Magdalena Frey verflicht in digitalen Bildkombinationen auf radikale Weise eine äußerst private Wahrnehmung des (eigenen) weiblichen Körpers mit den Imagines der Medienkultur. Konsequent stellt sie dabei zur Schau, worüber Scham und Schuld zu schweigen zwingen: die mehrdeutigen Aspekte weiblicher Leibhaftigkeit im Spannungsfeld zwischen Selbstbewußtsein und Fremdbestimmung.
Marikke Heinz-Hoek richtet in ihren Bildern und Texten den Blick zurück auf die Generation ihrer Mutter. In sensiblen Arrangements konfrontiert sie anonymisierte Statements von Altersgenossinnen mit Portraitfotografien ihrer Mütter, die sie durch Farb- und Struktureingriffe verändert, um den Blick vom Individuellen auf eine allen Standpunkten eigene Atmosphäre der Distanz zu fokussieren.
Ulla Jokisalo thematisiert den Prozess ihres Erwachsen-Werdens auf gleichermaßen poetische wie kompromisslose Weise. In stillen, nachhaltigen Kompositionen konstituiert sie ein neues Verhältnis zu ihrer Mutter und entwirft dabei eine Ikonographie der Ähnlichkeiten. Die Repräsentation des symbolischen Links zwischen den Generationen gilt auch als Utopie möglicher weiblicher Beziehungsformen.
Ina Loitzl nähert sich in ihren Videos den gleichermaßen faszinierenden wie verstörenden Erfahrungen von Schwangerschaft, Geburt und Mutterschaft in liebevoll ironischer Weise. Wenn Barbie im Kreißsaal erkennt, dass Brutpflege und Aufzucht ab nun ihr Fulltime-Job sind oder die Künstlerin in verzweifelter Anstrengung das Bild ihres Sohnes mit immer mehr Babynahrung vollstopft, bleibt kein Auge trocken.
Melanie Manchot zeichnet mit systematisch strukturierten Bildtafeln minuziös die Veränderungen ihres schwangeren Leibes nach. Ihre chronologische Topologie dokumentiert mit Fotografien, Ultraschallbildern, Fundstücken und Texten die durch Sehnsüchte und Ängste bestimmten Wahrnehmungen der Künstlerin sowie den Versuch, die individuelle Erfahrung in einem größeren kulturellen und sozialen Kontext zu verorten.
Isole Loock spielt in ihren Installationen und Videos verschiedene Realitätsebenen gegeneinander aus. Wenn sie eine Kleinfamilie aus winzigen Plastikfiguren auf ein Foto ihres ins Überdimensionale vergrößerten Gesichts stellt, erhebt sich ebenso die Frage nach der Verhältnismäßigkeit unserer Wahrnehmung wie bei der Videoaufzeichnung des ersten geklonten menschlichen Embryos im mütterlichen Uterus.
Margriet Smulders formuliert in ihren Familienportraits eine bitterböse Satire der beschaulichen, kleinfamiliären Häuslichkeit. In den aufwändigen Inszenierungen entpuppt sich das alltägliche Leben als banale Komödie, in der sich die traditionellen Rollen nicht wirklich wesentlich verändert haben. Die prototypischen Arrangements von Vater, Mutter und Kindern halten für die Frau alle zwischen Lust und Leid denkbaren Empfindungen bereit.
(textliche Betreuung: Edith Almhofer )