In der Ausstellung The Reflecting Surface wird hinterfragt, wie wir das uns umgebende Milieu auffassen und meistern. The Reflecting Surface beschäftigt sich damit, diese Beziehung über sechs verschiedene Strategien, die Raum durch eine Anthropologie von „Zuhause und Anderswo“ in Ort verwandeln, zu untersuchen. Präsentiert werden sechs KünstlerInnen aus zwei Ländern. Gezeigt wird sie an verschiedenen Orten (in Finnland, Schweden, Österreich und England). Jede der künstlerischen Verfahrensweisen nähert sich den BetrachterInnen und dem ihnen eigenen Sinn für Örtlichkeit an, indem Ort und Identität hinterfragt werden.
Zu Hause oder Anderswo?
In der Art, wie wir uns selbst definieren, liegt etwas, das nicht von einer Vorstellung von Örtlichkeit getrennt werden kann. Unsere persönliche Entwicklung steht in enger Beziehung zu der uns umgebenden Welt. Um einen bestimmten Ort vom Nirgendwo zum Irgendwo zu erheben, muß er auf der Landkarte der Erfahrung eingetragen werden. Zur Überwindung des Alltags ist es wichtig, daß wir uns der Beziehung zwischen uns selbst und dem uns umgebenden Milieu bewußt sind. Denn es ist schwierig, unsere Bildkultur zu verstehen, ohne zu berücksichtigen, wie das Milieu, in dem wir leben, unsere Sehweisen beeinflußt.
Wie der Fingerabdruck oder die aus einer Waffe abgefeuerte Kugel ist die Photographie ein indexierendes Zeichen, das nicht von der physikalischen Gegenwart dessen, was es zu bezeichnen oder zu repräsentieren sucht, getrennt werden kann. Wenn wir eine Photographie betrachten, verstehen wir sie genauso hinsichtlich dessen, was wir nicht sehen, als auch dessen, was uns offenbart wird. Weit davon entfernt, ein objektives Zeugnis zu sein, wird die Photographie durch ein Netz kontextgebundener Informationen vermittelt. In diesem Spiel von Präsenz und Absenz ist das Verständnis des fotografischen Bildes durch das Bild selbst und den BetrachterInstandpunkt bedingt.
Anna Brag beispielsweise baut mit ihrer sich kontinuierlich entwickelnden Arbeit Prototyp eine Gemeinschaft auf, deren Mitglieder durch ihr eindeutiges physisches Erscheinungsbild identifizierbar sind. Überall dort, wo die Arbeit gezeigt wird, werden sechs Frauen eingeladen, sich ihr Haar in einer ganz bestimmten Art schneiden und färben zu lassen. Dokumentation und punktgenaue geographische Festlegung vereiteln den Versuch, die trennenden Unterschiede, die in dieser Gemeinschaft trotz der äußerlichen Ähnlichkeiten auftreten, nicht mit dem persönlichen Wohnort in Verbindung zu bringen.
Etwas Ähnliches ereignet sich in den von Clifton Steinberg gezeigten Bildern. Seine Objekte und Bilder konzentrieren sich darauf, wie wir versuchen, uns selbst in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Sei es durch unsere eigene Erscheinung, sei es durch die Art, in der wir unseren Besitz abstecken. Gegenüber vom Galeriefenster ist eine Reihe von Schlüsselanhängern aus Plastik aufgefädelt. Diese Schlüsselhalter sind so gestaltet, daß sie eine persönliche Photographie – etwas, das an ein Zuhause erinnert – fassen können. Diese Bilder von Heimen enthüllen, wie der Einzelne seine Umgebung umgestaltet, um sie sich anzueignen.
Shizuka Yokomizo beschäftigt sich ebenfalls damit, wie der Einzelne seinen Besitz kennzeichnet. Doch hier trifft der starre Blick der Kamera und der BetrachterInnen auf das beherrschte Starren der Person, die diesen Ort ihr Heim nennt. In der Reihe Strangers kommt Yokomizo mit Personen in Berührung, die sie niemals persönlich treffen wird, indem sie diese photographiert, während sie aus den Fenstern ihrer eigenen Wohnungen auf die Straße schauen. Durch das Aufnehmen dieser Fotos an den verschiedenen Orten, an denen The Reflecting Surface gezeigt wurde, vermengt sich ein Gefühl für das Territoriale mit dem voyeuristischen Inhalt der Bilder. Die Kraft des starren Blicks verbindet sich in intimer Weise mit dem, was den starren Kamerablick zu einem kontrollierten Portrait wandelt.
Diese Momente der Selbstreflexion werden auch in Martyn Simpsons Cut outs sichtbar: sowie wir versuchen, aus dem was wir sehen, einen Sinn herauszulesen, wechseln Simpsons Bilder von der Mondlandschaft zur häuslichen Schwelle. Diese abstrakten Formen spiegeln einen Moment völliger Selbstvertiefung wider, den Moment, in dem man in den Raum starrt und das Stoffliche des umgebenden Gebäudes betrachtet. Weit entfernt von Abstraktion, handelt es sich um sehr konkrete Bilder von den Wänden der kontemplativen Zellen in Le Corbusiers Kloster La Tourette. In vielerlei Hinsicht wird die Fotografie immer ein Selbstportrait der BildautorInnen sein, da sie Repräsentation einer subjektiven und partiellen Sicht von Realität ist.
Obwohl Per Hüttner in seinen eigenen Bildern auftritt, lenken die von ihm an den Hauptschauplätzen der Konsumbewegung aufgenommenen Serien genau soviel Aufmerksamkeit auf den umgebenden urbanen Raum, wie auf die immer wiederkehrende inkongruente Figur. Eingekleidet mit der neuesten „Sportswear“ ist Hüttner ein in einem endlosen Marathon von Ort zu Ort Eilender: Wie die Anthropologie des industriellen Kapitals der Bechers und das Katalogisieren häuslicher Fassaden bei Steinberg, scheinen Hüttners Einkaufszentren eher auf die Verschiedenartigkeit der Details ausgerichtet zu sein als auf die im ersten Moment augenfällige Übereinstimmung. Verrückung und Verlagerung sindgrundlegend, um einen Begriff von Zuhause auszubilden: Um das Hier zu erkennen und zur Selbstidentifikation müssen wir das Anderswo erkennen. Wesentlich ist dabei, wie bestimmte Orte – sei es das Zuhause oder das Anderswo – uns wieder dargeboten werden. Diese subjektive Sicht ist ein Produkt umfassender kultureller Belange, die sich als Reaktion auf den Zeitgeist permanent verändern.
Bengt Olof Johanssons Arbeit vermittelt über Darstellungsstrukturen, die sowohl die Codes künstlerischer Praxis bilden als auch die Art, wie wir unsere Umwelt verstehen. Utopische Landschaftsdarstellung und Übergänge zwischen Zuhause und Anderswo werden in der Form zusammengesetzt, daß sie den AusstellungsbesucherInnenn bewußt machen, wie unerläßlich die eigene Präsenz für die Vollendung der sie umgebenden Kunstwerke ist. Johanssons Arbeit faßt die Anliegen von The Reflecting Surface zusammen: Es wird hinterfragt, wie wir das uns umgebende Milieu auffassen und meistern.
Lisa Le Feuvre