Eröffnung: Montag, 5. April, 19.00 Uhr
Einleitende Worte: Andrea Domesle
Performance im wuk / Eisenstiege, In der Stille: 5. April, 20.00 Uhr: eine Kooperation zwischen Im_Flieger/Wuk und der FOTOGALERIE WIEN. Konzept/Kuration: Aurelia Burckhardt (AT/CH) und Ria Probst (AT). PerformerInnen: Aktionskünstler San Keller (CH), Textilkünstlerin Lena Kvadrat (RU/AT), Performerin Annette Pfefferkorn (AT), Performerin Sonja Schidlehner (AT), Musiker Ludwig Berkic (AT). In der Stille ist die Annäherung an eine in der bildenden Kunst häufig anzutreffende Form der Veröffentlichung: mehrere Kunstwerke von zumeist verschiedenen KünstlerInnen nebeneinander zu betrachten. In der Stille untersucht jenes Präsentationsformat für Performancekunst und lässt KünstlerInnen aus den verschiedensten performativen Bereichen innerhalb einer spezifischen Struktur mit ihren individuellen Arbeiten aufeinander treffen.
Das Stilleben scheint das Mauerblümchen unter den bildnerischen Gattungen zu sein. Galt es doch im Rahmen des akademischen Kanons gegenüber der Historie oder dem Porträt als eine niedere, da scheinbar anspruchslose und simpel einzustufende geistige Aufgabe für die KünstlerInnen.
Als das Kollektiv der FOTOGALERIE WIEN die weit über 1500 Einsendungen von Künstlerinnen und Künstlern aus dem Jahr 2003 auswertete, fiel die Virulenz des Themas im aktuellen fotografischen und medialen Schaffen auf. Da das Stilleben in der zeitgenössischen Fotografie immer noch viel zu selten behandelt wurde – eine der wenigen Ausnahmen war 1999 die von Jessica Mueller in der Kunsthalle Baden-Baden kuratierte Gruppenausstellung – wurde das Thema zum Jahresschwerpunkt 2004 gewählt.
Das Thema wird anhand von drei Gruppenausstellungen vorgestellt, welche die Titel Arrangement, Interieur und Objekt tragen. Die Titelgebung geht von den aktuellen Kunstwerken aus und bezieht sich auf Gegenstand, bevorzugt aus der Objektwelt, Kompositionsweise, Arrangement, den Ort der Darstellung, üblicherweise ein Innenraum, die somit für die Gattung einst und heute als typisch erscheinen. Wichtiger als der Bezug zur Kunstgeschichte ist jedoch, dass anhand der unterschiedlichen Positionen deutlich wird, welche Fragestellungen heute anhand des Themas behandelt werden.
Das Künstlerduo Copa & Sordes knüpft in seinen seit 1998 entstehenden einstündigen Videostilleben ebenfalls an barocke Bilderfindungen an: an jene, welche das “nature morte” mit Personen kombinieren. In den Vordergründen sind reich gedeckte Tische gerückt, die jedoch nicht in einem privaten Ambiente, sondern mitten auf der Straße stehen – sie sind dem Leben ausgesetzt! Dadurch wird der soziale Kontext ins Bildfeld hineingeholt. Dies wird in den in Paris entstandenen still lives alive-Videos, 2001/02, deutlich. Je nach Standortwahl wird etwas über das Viertel und seine Bewohner ausgesagt, wobei die Auswahl der Gegenstände zum Ort des Geschehens – unterstützt von der vor Ort aufgenommenen Tonspur – einen Bezug herstellen: beim Boulevard in der Avenue de Saxe beim Tour Eiffel ist es ein Jagdstilleben, von vorbeischlendernden Passanten betrachtet. In Jouniville, Quai de la Marne, einem Vorort, liegen Früchte und Gemüse scheinbar lieblos auf der Straße, im Hintergrund sind Lkw und Betonhäuser zu sehen. Im Video, das aus einem Schaufenster am Place d’Aligre aufgenommen worden ist, sind eine Artischocke und eine reich verzierte Messingteekanne zu sehen. Die dahinter vorbeilaufenden Menschen scheinen fremdländischer Herkunft.
In den in sechs piemontesischen Betrieben aufgenommenen Videos stellen die Künstler einen Zusammenhang her zwischen den arrangierten Gegenständen und Produkten, ihrer Produktionsstätte und den sie produzierenden Arbeitern. Als weitere Verbindung kommt die Kunst hinzu in Form von bedruckter Damasttischwäsche, welche zu den Dingen geordnet ist.
Thematisiert wird der alte Wettstreit zwischen der Schöpferkraft der Natur, der Kunstfertigkeit des Handwerks und dem Künstler als Schöpfer. Haben die Maler einst durch ihre wunderbare Fähigkeit, die Natur und das Handwerk täuschend echt nachzuahmen, dies als Sieg gefeiert, so stellt sich hier die Frage, wo eigentlich das Kunstwerk zu verorten ist? Schwieriger zu beantworten wird dies noch durch die Inszenierung von Copa & Sordes im Ausstellungsraum: Reale Gegenstände, die auf dem Videobild erscheinen, liegen davor. Hat der Betrachter nun einerseits die Möglichkeit, zu den ihm vertrauten Objekten einen direkten Bezug herzustellen, so wird es ihm andererseits noch schwieriger gemacht: Raum-, Zeit- und Realitätsgrenzen verschieben sich ineinander durch die Wiederholung scheinbar desselben im Videobild, das doch einen Ausschnitt aus der Vergangenheit des Objektes, was eigentlich nicht mehr fassbar ist, wiedergibt. Die alte Vanitas-Frage nach der Vergänglichkeit erscheint durch Video geloopt.
Diese Verschränkung von verschiedenen Zeiten wird in der in der FOTOGALERIE WIEN präsentierten Arbeit Zimmerbrunnen, 1999–2003, noch verkompliziert. Die vier Bildschirme zeigen einen Brunnen: die Klammer der Aufnahmen bildet der Jahresunterschied zwischen dem ersten und dem zuletzt entstandenen Video: vier Jahre. Jeweils eine Stunde lang an einem Vor- und Spätfrühlingstag und einem Früh- und Spätsommertag haben die Künstler die am Brunnen arrangierten Objekte gefilmt. Durch den Jahreszeitenwechsel wird der Rhythmus der Natur noch anschaulicher.
Bei Doris Krüger steht ebenfalls die naturwissenschaftliche Fragestellung im Vordergrund. Mit ihren Möbel-Objekten mit dem Titel Carolus (2003) bezieht sie sich auf Carl von Linné. Der schwedische Arzt und Naturforscher wurde bekannt durch sein Werk „Systema Naturae”, 1735 erschienen, in dem er die Grundlage für die moderne biologische Systematik legte. Seine Klassifikation der Pflanzen erfolgte nach Staub- und Fruchtblättern, den Geschlechtsorganen der Pflanze. Die Künstlerin verwendet Fotografien von tropischen Blüten, Samen und Keimblättern, die vom Archiv des Botanischen Instituts der Universität Wien zur Verfügung gestellt wurden. Diese Vorlagen werden von ihr mit Hilfe des Computers bearbeitet, geklont und zu einem Flächenornament auf hellem neutralen Grund gefügt. Die pflanzlichen Einzelmotive scheinen sich zu vermehren. Doch erst in der Zusammenstellung der Einzelteile, die Tischplatten sind Bildträger, ergibt sich das Ornament.
Das Bunt-Vegetabile und Wuchernde steht im Gegensatz zu den einzelnen Metallkuben. Die alten Kontraste von Ornament versus Struktur, von Natur versus Kultur, von Organischem versus Technischem sind hier in einem Werk vereint. Die Künstlerin hat die Vorlagen nach rein formalen Kriterien ausgesucht und mit dem Computer nach ebensolchen arrangiert. In der Reduktion auf wenige Grundelemente und ihrer Reduplizierung und kompositorischen Verteilung scheint sie den Geheimnissen der Natur auf der Spur zu sein, wobei sich im Ansatz eine unerwartete Parallele zu Linné zeigt. Krügers Themen, biologische Vielfalt, Genetik und die Frage nach Natürlichkeit, sind auch hier vorhanden und haben Dank digitaler Bearbeitung der Fotografie eine adäquate Sprache gefunden. Neu ist in ihrem Werk das dreidimensionale Möbelobjekt, dessen Module sie je nach den räumlichen Gegebenheiten horizontal oder vertikal ordnet. Hier ist es das industrielle Produkt, das sich in einen Raum wie ein organisches Element einfügt! Das Prinzip der Moderne, die serielle Addition, welche eine Fortsetzung von idealen Formelementen imaginiert, bekommt einen biologischen Sinn.
Auch Eva Maria Ocherbauer bezieht sich auf die barocke Tradition, wenn auch nicht direkt die Bildkompositionen zitierend. Ihre Fotografien der Serie nature morte bestehen jeweils aus einer Blüte oder einem Gemüse, wobei der Fokus ganz auf die Frucht, z.B. eine Paprika, den Kopf eines Krautes, oder den Kelch einer Blume konzentriert ist. Jegliche Verbindung zur Erde ist vermieden. Die auf drei Millimeter dicken Acrylglas aufgezogenen Inkjet-Prints, zwischen 37 x 24 bis 70 x 50 Zentimeter groß, bekommen durch diese Isolierung eine Eigenständigkeit jenseits ihrer Natürlichkeit. Man kann z.B. in ihnen Gesichter erkennen. Das im traditionellen Stilleben anklingende Thema der Metamorphose von Stoffen hat Eva Maria Ocherbauer auf das Medium Fotografie übertragen: Durch das Fotografieren, durch mehrfache Bearbeitung vor und nach der Aufnahme, ergibt sich eine neue Sicht auf die Dinge. Die Pflanzen, aus ihrer natürlichen Umgebung gelöst, sind durch die Fotografie ihrer Zeitlichkeit enthoben und erfahren eine neue, räumliche und körperliche Dinghaftigkeit. Ihr Kunstwerden lässt sich nachvollziehen. Das scheinbar banale Motiv gewinnt an Bedeutung, besitzt gar individuelle Eigenschaften.
Die Künstlerin hat dasselbe Interesse wie die alten Stillebenmaler: Sie interessiert sich für die inneren Zusammenhänge der Natur und versucht diese aufzudecken. Die einzelnen Arbeiten werden von ihr auf mehreren Wänden eines Raumes zueinander arrangiert und gehängt. Sie rücken somit dem Betrachter, der damit mitten „mitten im Bild“ steht, leiblich näher.
Auch bei Ursula Palla, ebenfalls aus der Schweiz, gibt es einen direkten Bezug zum barocken Blumenstilleben. Ihre interaktive Videoprojektion zeigt einen riesigen, schönen Blumenstrauß in einer dunklen Vase vor blauem Hintergrund. Ein Luftzug bewegt sanft die Blumen. Der von der heiteren, sommerlichen Atmosphäre angelockte Besucher löst beim Nähertreten eine hörbare Detonation aus und der Strauß wird in Slow-motion gesprengt, die Keramik zerbirst und Blüten und Blätter fliegen, sich von der Mitte ausdehnend, durch die Luft und rieseln zum Boden herab. Die Schönheit des ursprünglichen Straußes findet sich noch während des Zerspringens und danach, als alles am Boden liegt, wieder, und wird somit in eine Ästhetik der Zerstörung umgekehrt. Die Künstlerin hat für die beiden inhaltlichen Pole des Stillebens – Schönheit und Tod – eine neue mediale Lösung gefunden und den seit der Antike überlieferten Trompe-l’oeil-Effekt des Stillebens mit einer neuen Variante bereichert. Der überraschte Besucher ist weder der gefoppte Vogel, der die gemalten Trauben aufpicken wollte, noch der Maler jenes Traubenbildes, Zeuxis, der wiederum dem Täuschungsmanöver seines Kollegen Parhasios unterlag, als der Vorhang vor dem Bild, den er beiseite schieben wollte, sich ebenfalls als gemalt erwies, sondern er ist zum Täter geworden und eröffnet dadurch eine weitere Deutungsebene. Die Arbeit Flowers I ist 2003 entstanden und assoziiert durch den brutalen Sprengakt jüngst zurückliegende Terrorakte, welche ebenso unvermittelt in einen harmlosen Alltag eintreten.
Margriet Smulders zitiert mit ihren üppigen Blumenarrangements jene des Barock. Wie damals sind ihre Bilder voll opulenter, schwelgerischer Farben- und Formenpracht. Sie hat die Kunstgriffe des Barock auf das Medium Fotografie übertragen: Ihre unter dem Haupttitel Sirene versammelten Arbeiten von 1999 und 2000 sind wie eben diese antike Sagengestalt: verführerisch und gefährlich, rufen ein abgrundtiefes Verlangen, von dem man sich nicht lösen kann, hervor. Smulders arrangiert die Blumen, in allen Stadien von knospend bis verblüht, auf Spiegeln, mit mundgeblasenen Gläsern und Wassertropfen. Scharfe und unscharfe Partien unterstützen die Wanderbewegung des Auges, welche die Pracht erfassen möchte und doch an den glatten Abgründen scheitert. Die Blumen gelangen so zu antiker Größe und tragischer Gestalt: Bildtitel mit Namen der griechischen Mythologie, Aphrodite, Leda oder Orest tragen zur Personalisierung der Blumen ihr übriges bei und lassen durch das spezifische Arrangement und den dominierenden Farbklang die Tragödien nacherleben.
Es ist, als seien die Pflanzen in die Rollen von Schauspielern geschlüpft, deren Requisiten das kitschige Beiwerk sind. Obwohl die Arbeiten von Smulders zwar Großformate (im Schnitt 125 x 125 cm) sind, sind sie bei weitem nicht so groß wie viele jener Fotografien, die in den 1980er-Jahren gerade durch das Format mit der Malerei wetteiferten. Bei Smulder ist es eher die Art und Weise des Inszenierens und postmodernen Zitierens, wodurch Größe behauptet wird. In Wien zeigt die Künstlerin die 2003 entstandene Serie Tulipomania. Die Tulpe als Motiv entdeckte sie für sich erst ein Jahr zuvor und war fasziniert von ihren vielen verschiedenen Varianten. Die Tulpe, quasi die Nationalblume ihres Heimatlandes, der Niederlande, findet sich in allen erdenklichen Stadien ihres Seins und gemahnt wie einst an die Vergänglichkeit und irdische Eitelkeit.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Vorgang des Arrangierens von Naturalien heute das Zweidimensionale der Fotografie und verwandten Medien zu sprengen scheint! Die Fotografie nimmt den dreidimensionalen Raum, körperlich als Objekt bzw. Installation oder psychisch auf den Betrachter einwirkend, in Besitz. Der alte Wettstreit zwischen Kunst und Natur um die Vorreiterrolle, welcher einst anhand einer möglichst realistischen Nachahmung und Kunstfertigkeit beim “nature morte” als Sieg der Kunst gerühmt wurde, ist in eine neue, spannende Runde getreten.
(textliche Betreuung: Andrea Domesle)