Eröffnung: Montag, 30. März, 19.00 Uhr
Einführende Worte: Petra Noll
Diese Ausstellung zum Thema Jugend beschäftigt sich mit den Lebensentwürfen, Wünschen, Hoffnungen und Ansichten Heranwachsender und ihrer Position in den Verbänden Familie, Freunde und Gesellschaft. Hier erhalten sie zum einen Leitbilder, Unterstützung und Orientierung, zum anderen erfahren sie Manipulation, Bevormundung und Erwartungsdruck. Die Adoleszenz ist bestimmt von dem schwierigen Prozess der Sinn-Findung und dem Suchen nach der eigenen Identität. Sie ist zudem geprägt von der Entdeckung und Entwicklung des Körpers sowie von widersprüchlichen emotionalen Zuständen wie Zweifel und Unsicherheit, aber auch von Rebellion, Unbeschwertheit und dem Gefühl „alles ist möglich“. Die KünstlerInnen beschäftigen sich mit den Emotionen und Lebensverhältnissen junger Menschen in Bezug auf die aktuelle soziale Realität. Die Jugendlichen sind heute in ganz besonderer Weise mit einer globalisierten Medien-, Werbe- und Casting-Gesellschaft konfrontiert, die in aller Deutlichkeit ihre Kommunikations- und Verhaltenskodexe einfordert. Die Schwierigkeit hier „mithalten“ zu können sowie diffizile ökonomische und politische Verhältnisse führen die Teenager nicht selten – in ihrem wohl labilsten Lebensabschnitt – in Desillusion, Apathie, Isolation, Aggression, Gewalttätigkeit und Abhängigkeit.
Ole John Aandal präsentiert Fotoarbeiten aus der Serie Juvenilia – Constructing a Soul in Capitalist Societies (2009), die auch als Buch publiziert wurde. Aandal befasst sich mit dem Einfluss von Fotografie und Rhethorik in Werbung und Neuen Medien auf unsere Kultur. Er stellt die Frage, wie die Bilder- und Textflut insbesondere Teenager, die gerade im Prozess der Identitätsfindung stecken, beeinflussen und verändern. Ausgangspunkt der Serie Juvenilia war sein Interesse an dem Phänomen „MMS“ (Multimedia Message Service), das mit dem Handy oder Computer schnell zu schießende und weiter versendbare Foto. Besonders Jugendliche haben sich diese komplikationslose, rasche Kommunikationsmöglichkeit angeeignet. Persönliches wird rigoros öffentlich gemacht, dabei sein ist alles. Das Projekt Juvenilia besteht aus zahlreichen Porträtfotografien von Jugendlichen aus dem Internet; diese zeigen sie in teilweise intimen Situationen, wenngleich auch häufig verdeckt, abgewandt, verschwommen, fragmentarisch, verunklärt durch das bunte Kunstlicht der Nacht. Dies betont ihre Verletzlichkeit – eine Situation zwischen dem Wunsch nach Schutz und gleichzeitg nach dem Sich-Präsentieren, dem Gefallen-Wollen, nach der Aufmerksamkeit durch den Blick von außen.
Claudia Balsters zeigt in ihrer Fotoserie Love is Not a Victory March (2009) junge FechterInnen und BoxerInnen sowie die Utensilien, die zur Ausübung nötig sind. Die Serie versteht sich als Metapher: Fechten und Boxen sind Kampfsportarten und verlangen ähnliche Verhaltensweisen und Erfordernisse wie sie im Prozess der Entwicklung Jugendlicher nötig sind. Es geht um ein Austaktieren des Körperbewusstseins, um eine Gratwanderung zwischen Herauswagen und Rückzug, zwischen Angriff und Verteidigung, zwischen selbstbewusstem Handeln und Abwarten. Rollen werden gesucht, geübt, müssen ausgehalten und gewechselt werden. Die Fotografien zeigen die jungen SportlerInnen einerseits kampfbereit und selbstbewusst inszeniert in ihren Kampfanzügen, aber andererseits auch labil, schüchtern und verlegen in ungestellten Situationen. Love is not a Victory March – sich selbst zu lieben, zu finden ist wohl die größte Herausforderung für einen jungen Menschen.
DK beschäftigt sich in seiner Fotoserie The Thorn (2002) mit durch prekäre soziale Verhältnisse ins Abseits geratenen Jugendlichen. Die Fotografien zeigen junge Leute, die aufgrund von Perspektivlosigkeit und Frust in Abhängigkeiten wie Drogen, Alkohol usw. geraten sind. Apathie, Isolation und Einsamkeit sind die Folge – in einem Alter, in dem „Socialising“ für die Entwicklung lebensnotwendig ist. Zusammengekauert, abgewandt, in der Kleidung versteckt, reduziert auf anonyme Körper „ohne Gesicht“, so hat DK die jungen Leute in ihrem Lebensumfeld – auf Treppen, in Clubs, auf der Straße, in schmuddeligen Lokalitäten – uninszeniert und in der grellen Farbigkeit der Nacht festgehalten. DK bezieht deutlich Stellung, spricht nicht nur eindrücklich von der Gefährdung Jugendlicher im Allgemeinen, von den sozialen und ökonomischen Missständen in unserer Gesellschaft, sondern zeichnet auch ein authentisches Porträt der Verhältnisse in seinem Heimatland.
Paul Kranzler präsentiert Arbeiten aus der 120-teiligen Fotoserie Tom (2007), die auch als Buch in der Fotohof edition, Salzburg erschienen ist. Die Fotografien zeigen nicht nur sehr persönliche Einzelporträts des gerade volljährig gewordenen Tom, sondern auch Porträts seiner Familie, Stillleben, Architektur und Interieurs aus seinem Lebensumfeld, einem Bauernhaus in der österreichischen Provinz. Zwei Jahre lang, von 2004–2006, hat Kranzler Tom, dessen Stiefvater und Stiefbruder immer wieder besucht, an ihrem Leben teilgenommen und fotografiert. Entstanden ist ein ungeschöntes, einfühlsames Porträt eines Jugendlichen, dessen Alltag nichts Außergewöhnliches hat, der in der Landwirtschaft mithilft, auf dem Bau arbeitet, zum Bundesheer geht, an Autos bastelt, Memphis raucht und mit dem Heimtrainer trainiert. Kranzler zeigt uns Tom und seine Familie als funktionierende Gemeinschaft und sieht das Besondere ihres einfachen Lebens.
Sira-Zoé Schmids Ausstellungsbeitrag ist der ca. sieben Sekunden dauernde Fotofilm Happy Slapping (2012), in dem sie sich mit dem Aggressionspotential von Jugendlichen und deren Drang danach, ihre Kräfte zu messen, auseinandersetzt. Als „Happy Slapping“ (lustiges Schlagen) wird ein unmittelbarer körperlicher Angriff – häufig von einer Gruppe – auf meist unbekannte Passanten, Mitschüler oder Lehrer verstanden, der mit einer Handy- oder Videokamera gefilmt und anschließend im Internet oder per Mobiltelefon verbreitet wird, um die Taten medial zu inszenieren und die Opfer zu erniedrigen. „Happy Slapping“ begann als „Freizeitspaß“ – wohl eher Jugendwahn – britischer Jugendlicher Ende 2004. Schmids Film basiert auf der Reinszenierung eines fiktiven „Happy Slapping“ und steht als Metapher für das Bekriegen, für die alltäglichen Konfrontationen von Individuen. In Schmids Film vollzieht sich in ganz kurzer Zeit ein häufiger Wechsel in den Positionen von Opfer und Täter.
Axel Stockburger beschäftigt sich in Videoinstallationen und Texten mit den Auswirkungen einer globalisierten Medienwelt auf das kulturelle Selbstverständnis von Jugendlichen. Hier fokussiert er in erster Linie das weltweite Phänomen, dass Jugendliche sich in Fanclubs und auf großdimensionierten Treffen dem Rollenspiel hingeben. In der Video-Trilogie (White, Red und Sylvanas Transformer, 2011) thematisiert Stockburger das Rollenspiel „Cosplay“, wo sich Jugendliche in fiktionale Charaktere aus Computerspielen bzw. japanischen Animationsfilmen verwandeln. Gedreht wurde mit der bekanntesten Gruppe, der „Century Noah Cosplay Group“ aus Chongqing/China, die Kostüme von Charakteren aus Serien wie Gundam, Starcraft oder World of Warcraft herstellen. Diese Transformation, das Schlüpfen in von der Entertainment-Industrie entworfene Fantasy-Rollen mit „Helden“-Charakter bedeutet eine temporäre Befreiung aus der alltäglichen Begrenztheit, aber auch die Auseinandersetzung mit dem Platz im realen Leben.
Petra Noll für die FOTOGALERIE WIEN