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REALITÄTEN III

AUSNAHMESITUATIONEN

13. Dezember 2005 – 25. Jänner 2006

Norbert Becwar (AT), Martin Bruch (AT), Carla Degenhardt (AT/AR), Hermann Paul Huber (AT), Manfred Jarisch (DE), Erfan Khalifa (SY), Ulrike Myrzik (AT), Alex McQuilkin (US), Tommy Schneider (AT), Eva Thebert (AT), Barbara Unger-Wiplinger (AT)

BILDER | Kataloge | Schwerpunkt: REALITÄTEN 2005

Eröffnung: Montag, 12. Dezember 2006, 19.00 Uhr

Die dritte und letzte Ausstellung des diesjährigen Schwerpunktes Realitäten der FOTOGALERIE WIEN, ist sicherlich der schwierigste Teil dieses engagierten
Projekts. Unterschiedlichste Arbeiten von KünstlerInnen umrunden Themenbereiche wie: Schicksale am Rande  oder außerhalb unserer Gesellschaft – oder außerhalb
davon, was man gängig als Normalität bezeichnen würde.

 

Norbert Becwar giorni 2005: MÜHE / giorni di Gloria 4 / Genick und Kopfschüsse und stürze in ein Massengrab / Lukas Stefan Christoph Lukas Franz / in diesem September nachts 2005 lautet ein Titel seiner Arbeiten. Becwar greift Bilder, die uns via Medien über Gewalt, Machtmissbrauch usw. berichten, auf und stellt diese mit Freunden und Dingen des Haushalts in seiner Wohnung nach. Hört sich simpel an, wirkt bei erster Betrachtung der Bilder auch fast komisch, erheiternd. Sie hinterlassen jedoch in Folge ein beklemmenderes und eindringlicheres Gefühl als jene Bilder, die uns so oft ins Haus flattern.

Martin Bruch erkrankte vor einigen Jahren an Multipler Sklerose. Er dokumentiert in seiner Fotoarbeit Bruchlandungen, 1996–2001 die Situation seiner Gehbehinderung und seiner oftmals schwierigen Fortbewegung im Rollstuhl oder Handbike im öffentlichen Raum. Durch Gleichgewichtsprobleme und Bodenunebenheiten wie Kanaldeckel, Gehsteigkanten, Stiegen etc. kam er des öfteren zu Sturz. Seine Fotografien sind unmittelbare und eindringliche Dokumente dieser Stürze. Krankheit und Behinderung werden nach wie vor aus dem normalen Alltag und damit verbundenen Bedingungen ausgeklammert, oder zu wenig berücksichtigt.

Hermann P. Huber beschäftigt sich in seiner Arbeit Cairo Zabbalin von 2004–2005 mit einem sozio-ökonomischen Phänomen in Kairo. Die Zabbalin sind landlose, nach Kairo eingewanderte Bauern, die zum größten Teil der koptischen Minderheit zugehörig sind und für die es im muslimisch dominierten Kairo keinen anderen Arbeitsplatz gibt als den der Müllabfuhr. Sie leben seit Generationen nur vom Recycling des Abfalls der 22-Millionen-Einwohnerstadt, den sie sammeln, tauschen, verkaufen und aufbereiten. Kairo besitzt seit 60 Jahren die wahrscheinlich höchste Recyclingrate der Welt, 80 % auf Grund der Arbeit der Zabbalin.

Erfan Khalifa, als Sohn palästinensischer Flüchtlinge aufgewachsen in Libyen und Syrien, erzählt  in dem Video Der kleine Flüchtling von 2003 die wahre Geschichte, die sich in seiner Kindheit zugetragen hat. Seine Arbeit ist ein sensibler und emotionaler Appell, sich der Tragödie seines Landes und der mehr als 4 Millionen palästinensischen Flüchtlinge zu erinnern – Menschen, die keine Hoffnung haben, jemals wieder in das Land ihrer Vorfahren zurückkehren zu können und die, abgeschnitten von ihrer Heimat und ihrem ursprünglichen Lebensstil als Menschen ohne Identität leben.

Ulrike Myrzik & Manfred Jarisch verstehen sich als FotografInnen, in deren Bildern die Architektur als Spiegel des Zustands einer Gesellschaft fungiert. 2002 reisten sie für drei Monate nach Bangkok, Tokio, Osaka und Hongkong, um mit Unterstützung von Hilfsorganisationen Orte und Wohnformen obdachloser Menschen zu dokumentieren. In Tokio und Osaka stießen sie in den Niemandszonen der Großstadt auf Hunderte von Hütten, festgehalten in ihrer Arbeit Blue Boxes, 2003. Sie variieren in Form, Größe und Material, haben aber eines gemeinsam: Alle sind mit blauer Plastikfolie umhüllt, zum Schutz vor der Witterung.

Alex McQuilkin behandelt in ihrem Video Teenage DaydreamIt’s only Rock and Roll, 2002, die Zeit der Pubertät. Pendelnd zwischen Kind- und Erwachsensein-Wollen, zwischen Ängsten, Sehnsüchten, Abhängigkeiten und Aufbegehren. Ein permanenter Ausnahmestand am Weg zur Selbstfindung. McQuilkin visualisiert diesen Zustand in einer schrillen und schonungslosen Selbstinszenierung.

Tommy Schneider
s Video stadt nach dem krieg. Sarajevo von 1999 erzählt von Menschen und wie sie überleben in einer Stadt nach dem Krieg. Die Erinnerungen an die Schrecken des Krieges sind dabei ebenso präsent, wie die Ausweglosigkeit der gegenwärtigen Lage. Die Schilderungen der portraitierten Personen in Bezug auf Improvisation und Meisterung ihrer schwierigen wirtschaftlichen Lage, sowie ihren Vorstellungen, Utopien und Wünsche an die Zukunft, geben jedoch Hoffnung auf Veränderung und Normalisierung der Situation.

Eva Thebert bekämpft Sprachlosigkeit mit Bildern. In ihrer Videotrilogie Im Schatten deines Hauses, 2003, und in der Installation Spurenmemory, 2002, macht sie sich auf die Suche nach ihrer Kindheit. Ein afrikanisches Sprichwort sagt: „Wenn du einen Feind hast, so suche ihn im Schatten deiner Hütte“. Die Wahrheit dieses Satzes bestätigt sich, wenn Eva Thebert in einer verschlüsselten und dennoch deutlichen Bildsprache von frühem sexuellen Missbrauch in der Familie erzählt.

Barbara Unger-Wiplingers und Carla Degenhardts Arbeit Heimat ist dort, wo mein Bett steht? – eine tragisch-komische Doku-Dada – betiteln die Künstlerinnen ihren 2004 entstandenen Videofilm: 5 Altersheime, 8 Menschen zwischen 70 und 94, geboren in Mähren, Böhmen, Siebenbürgen und im Banat. Deutsche die vertrieben wurden. Der Film gibt die zum Teil schon ungenauen und verworrenen Lebenserinnerungen dieser alten Menschen, die fast am Ende ihrer Lebenszeit angekommen sind, wieder. Die Betten, in denen sie liegen, oder das Heim, in dem sie wohnen werden zum maximalen Aktionsradius – ihrer letzten Heimat.

BEGLEITPROGRAMME ZU REALITÄTEN III:
Donnerstag, 12. Jänner 2006 um 19.00 Uhr: FOTOGALERIE WIEN-KINO:
Martin Bruch – handbikemovie, Video, 2003, 99 Min.

Mittwoch, 25. Jänner 2006, ab 19.00 Uhr:FOTOGALERIE UND KINO: 19.00 Uhr:  Finissage + Katalogpräsentation REALITÄTEN
20.00 Uhr: HUBERT LOBNIG – Zivomir der Sammler, Video, 1996–2003, 40 Min.
21.00 Adieu-Party