Eröffnung: 3. Oktober 2001
Re-Considered Crossings: Representation beyond Hybridity. Im Teil I dieses Kunstaustauschprojekts zwischen Wien und Hongkong stellen KünstlerInnen aus Hongkong in der FOTOGALERIE WIEN aus.
Essay von Norman Jackson Ford, „Neue Überlegungen zu Übergängen: Darstellung jenseits der Hybridität“: Grenzüberschreitungen, Interkulturalismus, Transkulturalismus, Reisetheorien, Transnationalismus, Globalisierung, Deterritorialisierung, Kreolisierung und vor allem die so vielfach zitierte Hybridität – all das sind Begriffe, die seit längerem bei der einen oder anderen Gelegenheit als Prämissen für Ausstellungen bildender Kunst herbeigezogen werden und auf breiter Ebene den Kunstbetrieb prägen, insbesondere da, wo es sich um Kunst handelt, die nicht aus Europa und Nordamerika stammt. Das macht deutlich, daß ein Kunst– und Kulturaustauschprojekt wie Re-Considered Crossings einen vielfach begangenen Weg beschreitet, denn unzählige „internationale“ Ausstellungen, Festivals und Biennalen beherrschen die globale Kunstszene. Doch welche konkreten Bedeutungen werden hier geboten, die über die Einführung von „Außenseiterkunst“ hinausgehen und weiter reichen als die konzeptuellen Grundlagen von „Grenzüberschreitungen“. Welche Prämissen werden in Frage gestellt und welche bekräftigt?
Dieser Essay will sich mit jenen Fragen befassen, wird aber nur provisorische Lösungen bieten. Die Unterschiede zwischen diesem Projekt und anderen mit ähnlichen Prämissen sollen betrachtet und die Themen zu den Gemeinschaftskonzepten im städtischen Raum, zum interkulturellen Austausch und zur Kunstproduktion in Hongkong und Wien in Beziehung gesetzt werden. Im Kern handelt es sich um einen Versuch, eben die Begriffe, mit denen sich die Veranstaltung definiert, einer Kritik zu unterziehen. Die in diesem Projekt angebotenen Ausstellungen, Seminare und Vorlesungen sind in vieler Hinsicht nur eine weitere Reihe von „transkulturellen“, kulturübergreifenden Veranstaltungen, aber sie sollen sich auch kritisch mit den Werten, Bedeutungen und Darstellungen auseinandersetzen, die stillschweigend und dezidiert in diesen Projekten geschaffen werden. Darin liegt ein Paradoxon: Wir haben ein Projekt konzipiert, das die Wichtigkeit des Mitteilens von bildlich Dargestelltem unterstützt und die Bildautoren aus einer breiten Palette ganz unterschiedlicher Kulturen, Nationen und Städte fördert, doch wir sind uns auch darüber im Klaren, daß es sich hier um eine Prämisse handelt, die selten einer Kritik unterzogen wird und an und für sich als Teil des Ausstellungsprozesses betrachtet wird. Kurzum, wir haben vor, genau die Grundlagen, die dieses und andere Projekte ermöglichen, zu destabilisieren, jedoch nicht durch ein Infragestellen ihrer Wichtigkeit, sondern indem wir dem Umstand, daß „Grenzüberschreitungen“ in Gestalt interkultureller Austausche eine so dominante Form im heutigen Kunstbetrieb sind, kritische neue Überlegungen widmen.
Im folgenden haben wir nicht die Absicht, uns auf den direkten Austausch von Kunst zwischen Nationen oder Städten zu konzentrieren, obwohl das Projekt einen konkreten Austausch kultureller Erzeugnisse beinhaltet, sondern die Gegenseitigkeit des dialogischen Austauschs zu betonen, der sich zwischen KünstlerInnen, KuratorInnen, GalerieleiterInnen/besitzern und anderen Kulturtätigen beider Städte entwickelt. Die Logistik einer solchen Veranstaltungsreihe verlangt auch bei einem so kleinen Format wie diesem Projekt den Ausbau von Beziehungen, die Diskussion von Ideen, das Bemühen um Kompromisse …, denn all das trägt zu den präsentierten Veranstaltungen bei und wird entsprechend zum Objekt unserer kritischen Auseinandersetzung. Um eine solche Neuüberlegung zu dem Thema zu ermöglichen, mußten wir zuerst einmal das Projekt als Austausch zwischen Städten initiieren. Unser Projekt tritt in die Fußstapfen vieler wesentlich größer angelegter Projekte der letzten Jahre, es setzt sich mit ähnlichen konzeptuellen und logistischen Problemen auseinander, wie sie in Ausstellungen wie „Cities on the Move“ (eine groß angelegte Ausstellung, die in Wien und Bordeaux gezeigt wurde), „Inside Out: New Chinese Art“ (eine Wanderausstellung zeitgenössischer Kunst aus China/Hongkong, die in den USA, Mexiko und verschiedenen asiatischen Städten zu sehen war) oder „Polypolis: Art from Asian Pacific Megacities“ (Hamburg, Deutschland) ausgelotet wurden.
Es gibt jedoch einen wesentlichen Unterschied zwischen Re-considered Crossings und den oben genannten Ausstellungen: Unser Projekt beinhaltet eine auf Gegenseitigkeit beruhende Beziehung zwischen Hongkong und Wien und nicht nur die Präsentation der Kunst einer bestimmten Region, die strategisch in ein anderes Land eingepaßt wird. Unser Projekt ist auch von KünstlerInnen initiiert, es wird in kleinen, von KünstlerInnen betriebenen Galerieräumen produziert und ausgestellt und wird mit einem sehr bescheidenen Etat finanziert. Diese Aspekte, die unser Projekt von anderen differenzieren, schaffen die Möglichkeit, sowohl mit den KünstlerInnenn/KuratorInnen als auch mit den beteiligten Schriftstellern und den Privat– und Unternehmenssponsoren , die diese Veranstaltungen gefördert haben, engere Bindungen zu knüpfen. Die obengenannten Ausstellungen beinhalten zwar auch die Auseinandersetzung mit den Implikationen kulturellen Austauschs, doch sie tun es nur stillschweigend und einseitig, sie lassen die Region, aus der die jeweiligen Künstler hervorgegangen sind, im Diskurs außer acht, oder beziehen sie nur aus der Distanz und als Teil einer anderen Nation mit ein. Re-considered Crossings hingegen versucht, mit einer Reihe von Essays, Podiumsdiskussionen, künstlerischen Kollaborationen und Vorträgen eine behutsame Neubetrachtung dessen, was, wenn überhaupt, mit solchen Veranstaltungen erzielt wird. Unser Projekt will drei grundlegende Konzepte untersuchen: Die oben besprochene interkulturelle Problematik, die Wirksamkeit und Notwendigkeit von festen (oder flexiblen) Etiketten wie Diaspora, Exil, Hybridität, Migrantentum und, nicht zuletzt, das Verhältnis zwischen diesen Themen und den spezifischen Gemeinschaften, die als Stätten von Kulturproduktion einbezogen sind. All diese Begriffe können in unterschiedlichem Grad auf Wien und Hongkong sowie auf die meisten Großstädte der heutigen Welt angewendet werden, doch werden sie häufiger zur Charakterisierung bestimmter asiatischer Städte verwendet. Insbesondere Hongkong wird oft mit dem Begriff Hybridität assoziiert. Darauf werde ich weiter unten noch zurückkommen.
Eine Betrachtung der spezifischen Städte in diesem Projekt jedoch soll in erster Linie sowohl die grundsätzliche Motivation für einen Austausch zwischen diesen beiden sehr unterschiedlichen Städten fördern und in allgemeinerem Rahmen eine Grundlage für die Kritik schaffen, die unserer Meinung nach einem solchen Projekt innewohnt. Es gibt den Fall, daß eine Stadt von ihrer Nation getrennt und außerhalb deren Grenzen angesiedelt wahrgenommen wird. Das gilt beispielsweise für New York in den USA und Tokio in Japan. Beide Städte sind vorherrschend amerikanisch beziehungsweise japanisch, und doch besitzen sie bestimmte Eigenschaften, die sie von ihrer konkreten geographischen Lage absetzt: Verkehrsknotenpunkte, internationale kulturelle Veranstaltungen, ein großer und einflußreicher Bevölkerungsanteil von Einwanderern, die deutlich voneinander abgesetzte Gruppen bilden, unverwechselbare urbane/architektonische Räume und dergleichen. Hongkong und Wien haben ein ähnlich ambivalentes Verhältnis zu ihren „Heimatnationen“, eine zwiespältige Beziehung zwischen Geographie und kultureller Getrenntheit. Durch die Zersplitterung nationalistischer Tendenzen mittels des Internationalismus (auf ökonomischer, politischer und kultureller Ebene) einerseits und tiefer Verbundenheit mit ihrem jeweiligen Land andererseits sind Hongkong und Wien dazu prädestiniert, Vorstellungen von Heimat, Nation und Stadt aufzubrechen, neu zu definieren und zu rekonstruieren.
In diesem Kontext sticht die Zwiespältigkeit der „Hong Kong SAR“ (Administrative Sonderregion –das Etikett, das der Stadt nach der Übergabe aufgedrückt wurde) besonders krass hervor. Inmitten des Postkolonialismus werden hier koloniale Eigenschaften bewahrt: die Stadt ist aus dem Schatten Großbritanniens gerückt, um gleich darauf seinen Platz als Teil des chinesischen „Vaterlandes“ wieder einzunehmen. In gewisser Hinsicht hatte es vor der Kolonisierung gar kein Hongkong gegeben, die vorkoloniale Vergangenheit der Stadt, die zuerst unter Handel, Kolonialherrschaft und heute unter einem vielschichtigen Labyrinth transnationaler Wirtschaft und Politik begraben war und ist, kommt selten zur Sprache. Hongkong ist in gewissem Sinn bemüht, eine zersplitterte und imaginäre vorkoloniale Identität zu bewahren, die es vom Festland bezieht und die von der unkonventionellen aber sehr realen Grenze zwischen den beiden betont wird. Daß Hongkong ein Teil von China ist, läßt sich nicht leugnen, doch es funktioniert in dem ambivalenten Bereich des Etiketts „Ein Land, zwei Systeme“, ein Raum, der ständig neu verhandelt und definiert wird.
In diesem Raum können wir die Arbeit von Leung Chi-wo mit seinem spezifischen Einsatz von Fotografie und Installation zur problematischen Verortung verschiedener urbaner Räume als exemplarisch betrachten. Seine Lochkamerafotografien werden als Negativformen präsentiert, die auf verschiedene Objekte wie Tischplatten, Kerzenleuchter und sogar Kekse aufgelegt werden. Seine Arbeit reflektiert zwar das manische Bemühen, sich selbst in einer bestimmten Zeit und einem bestimmten Raum zu platzieren, unterbricht diese Platzierungsversuche aber wieder, da die architektonischen Hinweise zur Orientierung beseitigt worden sind und nur die abstrahierte Form des Himmels als Wegweiser bleibt. Leungs Arbeiten vermitteln nur eine diffuse Ortsvorstellung und brechen die herkömmliche Eigenschaft der Fotografie als Erinnerungsstütze auf.
Die großformatigen Farbfotografien von Dominique Harris können wir auf ähnliche Weise betrachten – sie versammeln Augenblicke unbestimmter Ferienaufenthalte, offenbaren die jeweiligen Örtlichkeiten und die damit verbundenen Personen jedoch nur teilweise. Es hat den Anschein, als sei ihr Versuch einer Dokumentation ihrer Reisen gescheitert. In diesem Scheitern jedoch erlangt sie die Fähigkeit, eine vielschichtige Vorstellung von Unstetigkeit des Orts und entgleister Reisen offenzulegen.
Während Hongkong seine Durchgangsmentalität und sein kulturelles Kurzzeitgedächtnis teils als Quelle und teils als Bausteine für die eklektische Konstruktion seines Oberflächenimage verwendet, stellt sich Wien als Stadt mit Tradition und Geschichte dar, die in vielfacher Hinsicht wie ein „lebendiges Museum“ wirkt. Beide Städte jedoch betonen jeweils eine bestimmte Bauweise: In Hongkong geht dem Bau in der Regel die Zerstörung voraus, der Abriß, der, bedingt durch begrenzten Grund und Boden und spekulative Gewinnsucht, für Neues Platz schaffen soll. Erst in der jüngsten Zeit hat die Stadt nennenswerte Versuche unternommen, ihr bauliches Erbe zu bewahren und zu restaurieren. Wien hingegen konzentriert sich eher auf Bau und Restauration im Rahmen des Erbes, in dem Bemühen, sein Image als eine auf den Touristenblick zugeschnittene Stätte zu bewahren und die Stadt konservativ in der Stasis zu halten. Verläßt man jedoch die Stadtmitte, findet man in Wien etliche zeitgenössische Bauwerke, wie rund um das UN-Center (UNO-City), das neue Museumsquartier, moderne Wohnblocks und die vielen Bars und Restaurants am Donaukanal. Im Fall von Hongkong führt die jede herkömmliche Vorstellung von Architekturgeschichte vermeidende Notwendigkeit, alle Möglichkeiten offen zu halten, zu einer Art urbanem „chip planning“, wie es Gutierrez und Portefaix, zwei dort arbeitende Autoren/Architekten, bezeichnen. Die Stadt präsentiert sich als ständig in Veränderung befindlich, in einem fließenden Zustand, in dem sich konkrete topographische Wahrzeichen wandeln und die Fassaden der Gebäude nicht zu vertrauten Wegweisern werden, sondern zu generellen Markierungen vor einem beweglichen Hintergrund. Dieser Kontrast zwischen der anscheinenden Stasis in Wien und der visuellen Fluidität in Hongkong verkörpert die paradoxen Räume, in denen die Teilnehmer dieses Projektes ihre Ideen, seien es Bilder oder Texte, erbauen, und von einer Stätte zur anderen bewegen.
Von den oben zitierten Worten, in denen diese Städte beschrieben werden, und die die zugrundeliegenden kritischen Fragen dieses Projektes bezeichnen, ist Hybridität der am häufigsten verwendete Begriff zur Charakterisierung von Hongkongs Entstehung und Gegenwart – Orient trifft auf Okzident, der Grenzzaun zwischen China und der Welt oder das Aufeinanderprallen von Globalem und Lokalem. Doch die herkömmlichen Vorstellungen von Hybridität reichen hier nicht ganz aus. Dieses Konzept beinhaltet die Idee, daß hier zwei oder mehrere stabile Einheiten zusammentreffen, um etwas Neues zu bilden, wie die Bauhinia, das Blumenemblem von Hongkong. Diese Hybrid-Klischees sind Abbildungen, die sich kaum vermeiden lassen, und verlangen alternierende Strategien von Darstellung und Widerstand.
Hongkong ist weder ein völlig neuer Raum, noch besteht es aus besonders stabilen Teilen. Für Holly Lee ist die Destabilisierung von Hybriden oberstes Anliegen: sie bildet komplexe, dem Anschein nach hybride Menschen ab, die unter Verwendung europäischer und chinesischer Klischees, Symbole und Ikonen digital konstruiert sind, die Beschaffenheit von Gemälden haben und über konventionell aufgenommene Fotoporträts montiert werden. Was diese Bilder so verstörend macht, ist gerade die Verwendung des hybriden Konstrukts, das sich damit selbst kritisiert. Beide Städte haben sich auch als Tore dargestellt, als ökonomische und konkrete Übergangsstätten zwischen ihrer Örtlichkeit und bestimmten Regionen: Hongkong als Tor nach China und Wien als Tor nach Osteuropa, was in erster Linie an ihren geographischen und topographischen Eigenschaften liegt. Doch ihre Rolle als Entrepot hat sich ganz wesentlich geändert: Wiens Stellung als Öffnung nach Osten ist durch die massiven politischen Umwälzungen der letzten 15 Jahre in Osteuropa wesentlich reduziert worden, während Hongkong die Rolle als Tor nach China in wachsendem Maße von anderen Städten wie Singapur und Shanghai streitig gemacht wird. Diese Städte werden auch zu Stätten wechselseitig konstruierter Formen der Reise, vorübergehenden Migrantentums und freiwilligen Exils. Die für diese Ausstellung ausgewählten Künstler sind alle vielfach und aus vielfältigen Gründen gereist, was die Frage aufdrängt, wie diese nomadische Haltung ihre Arbeit beeinflußt. Vielleicht kann man sich dem Verhältnis zwischen Kunst, „interkultureller“ Mobilität und Gemeinschaft annähern, indem man die Arbeit des Künstlers vom geographischen „Außerhalb“ aus betrachtet, von einem Raum aus, der dem Anschein nach sein kulturelles Gegenteil ist. Auf diese Art und Weise lassen sich Wichtigkeit und Komplexität kulturübergreifender Einflüsse, die sich in eine Stadt hinein und aus ihr hinausbewegen, und die Tatsache, daß diese für die Herstellung der Visualität der betreffenden Stadt ebenso wesentlich sind wie die „lokale“, „einheimische“ Kultur, allmählich verstehen. Auf diesem Wege befassen wir uns eher mit den Auswirkungen der Stadt auf die Produzenten von Kultur als mit den Städten selbst. Daher sind, wie Ackbar Abbas es ausdrückte, die Darstellungen in diesen Ausstellungen weniger Bilder der Stadt als „Stadt-Bilder“.
Diese „Stadt-Bilder“ sind eher direkte Abbildungen der Städte als Interaktionen und Nachvollziehung der Auswirkungen der Stadt, was sich auf ungewöhnliche Weise in den Arbeiten von Sarah Mack und Lee Kasing dokumentiert. Macks Farbfotografien sind meta-narrative visuelle Texte, die sich verschiedener präraphaelitischer Gemälde bedienen, welche sich wiederum auf klassische europäische Texte wie Shakespeare-Dramen oder Faust beziehen und diese abfotografieren, um den Inhalt auf fragmentierte Weise nachzuerzählen. Anstatt eine ganze Geschichte zu erzählen, stützen sich ihre Bilder auf zusammengestoppeltes Wissen, ein Wissen, das sich aus der indirekten Kenntnis der Texte speist und das Mack, die diese Literatur in einem kolonialen Universitätssystem kennengelernt hat, sich auf fragmentierte Weise ohne kulturelle Kongruenz angeeignet hat. Diese Bilder reisen gleichsam psychisch, indem sie die Themen gegen sich selbst wendet und durch die vielen Schichten von Deutung und Zeit, das Palimpsest in kulturell determinierten Lesarten untersucht. Lee Ka-sings Serie Forty Poems (Vierzig Gedichte) bezieht sich auch auf Texte, doch hier geschieht es über die Produktion kleiner C–Prints, die als Sequenz aufgenommen ein lyrisches aber auch wiederum fragmentiertes Ganzes bilden. Vielleicht ist das Wort „Fragment“, das sich auf ein vorher existierendes Ganzes bezieht, weniger angebracht als „Stücke“, denn Lees Bildwelt fügt sich kaum zu etwas Greifbarem, sie unterminiert den Versuch regelmäßiger, linearer Deutung und schafft statt dessen eine Art „Gleiten“ zwischen einem nicht verfügbaren, originären Ganzen und ungefestigten Deutungen.
Diese „gleitende Zone“ führt uns dann zu den Individuen zurück, die in solchen Gemeinschaften wohnen, die diese visuellen Texte betrachten und „lesen“ und die an diesem Projekt beteiligt waren und es organisiert haben. Re-considered Crossings ist ein Austausch von Bildbestand zwischen zwei Städten, ein Aufbau von Beziehungen zwischen kulturellen Arbeitern aller Art in diesen urbanen Gemeinschaften und eine kritische Neubetrachtung der Begriffe, die einen solchen interkulturellen Austausch definieren. Um dieses Vorhaben wirksam zu machen, sind die präsentierten Bilder zwar von größter Bedeutung, aber nicht die einzigen Studienobjekte, auf die sich die kritischen Texte und Auseinandersetzungen im Umfeld dieses Projektes beziehen. Die hier produzierten Vorträge, Essays und Seminare müssen mit ihrer Kritik dieses Prozesses im Hinblick auf die Quellen des Wissens ansetzen, die das Projekt an sich fördern und ermöglichen.
Bei Re-considered Crossings geht es um das Mitteilen von Bildern zwischen Städten, doch auch, was noch wichtiger ist, um eine fließende Vorstellung von Reise und Migration, sowie eine Bewegung über Hybride hinaus. Es sind ja die Menschen, die den Übergang zwischen diesen sehr unterschiedlichen, durch das Projekt aber zumindest ansatzweise verbundenen Räumen vollziehen. Das Überdenken und Revidieren der Motive für ein solches Projekt sollte zurück zu den Menschen führen, die diese Bilder produzieren, diskutieren und präsentieren – ein Bildbestand, der in einer breit gefächerten Reihe von Strömungen die Prämisse neu umreißt und bestätigt, daß es bei diesen Bildern weniger um hybride Identitäten oder Kulturen geht, noch unbedingt um eine Mischung von Quellen und Inspirationen, sondern vielmehr um Strategien von Darstellung und Widerstand gegen Konstrukte, die, seien sie stabil oder im Fluß befindlich, ihre Produktion und Bedeutung einschränken.
(aus dem Englischen von Esther Kinsky)