Eröffnung: Montag, 12. Mai, 19.00 Uhr
Fiktive Wirklichkeiten: Bäume mit gummiartiger Konsistenz, alpine Pflanzen die exotisch anmuten, wilde Tiere von ungewohnter Zutraulichkeit, die Bevölkerung dieser Landschaft wirken in eine Form von Zeitlosigkeit entrückt. Orte fü Handlungen sind so entworfen, dass sie gerade im Augenblick des Bemerkens ihre Erzählung beenden. Ihre Natur ist als formbares Material gewachsen, manipuliert und in diesem Moment für untauglich erklärt worden. Man erhascht gerade noch den Blick auf einzelne Protagonisten, welche eigentümlich unbeeindruckt die Szenerie verlassen und ihre jetzt dem Verfall preisgegebenen Requisiten vergessen haben. Auf den Bühnen herrscht diffuses Licht, das seinen eigenen Regeln folgt und die Perspektiven der Kulissen verqueren sich in einstimmiger Gegenläufigkeit.
In den Fotoarbeiten von Raoul Krischanitz werden Diskussionen über die Geschichte und die Konsequenzen der Manipulation in der Fotografie virulent, wie sie in den 1990er- Jahren mit dem breiten Einzug digitaler Bildverarbeitungssysteme ihren vorläufigen Höhepunkt fanden. Diskursiv angelegte Ausstellungsprojekte wie etwa Fotografie nach der Fotografie rückten die Digitalisierung der Fotografie als entscheidende Zäsur in den Mittelpunkt, in anderen Besprechungen spielt der Prozess der Digitalisierung als neue Bildgattung insofern eine Rolle, als sie perfektioniert, was Fotomanipulation und Fotoinszenierung in einem beschränkteren Maße schon immer erlaubten. Fotos, meist aus einem während zahlreicher Reisen angelegten Speicher, finden sich bei Raoul Krischanitz als Rohmaterial für semantische ildpuzzles wieder und werden auf verwendbare visuelle Vokabeln hin ausgewertet.
Sequenz neben Sequenz am Bildschirm montiert, kann die Abbildung einer Grasdecke aus bis zu zwanzig unterschiedlichen Wiesenstücken bestehen oder sich vollkommen aus dem digitalen Baukasten eines 3-D-Programms generieren. Größen und Maße werden im elektronischen Verfahren relativ, Abbildungen von handgekneteten Tonfiguren blasen sich auf zu Riesengebirgen oder mutieren in Fabelwesen. Fotografien von Existierendem werden in eine andere Dramaturgie umgeleitet und ihre Ausschnitte redefiniert. Krischanitz zieht eine Meta-Ebene ein, die dem imaginären Bild durch Relikte von Wirklichkeit visuelle Realität verleiht.
So lassen sich Bilder formulieren, als wären sie Dokumente objektiver Befunde. Raoul Krischanitz hat sich in seiner fiktionalen Fotografie jedoch dafür entschieden, die Möglichkeiten des digitalen Eingriffs und des So –Als–Ob–Echt mit sich selbst brechen zu lassen. Denn wer erkennt, ob die eine oder andere Pflanze nicht tatsächlich im Regenwald von Brasilien wächst oder ob sie nach mehrmaligen analogen Pfropfversuchen schließlich doch als im Labor Codierte neu erblüht? Durch das Potenzial der Manipulation ist das Reale und Schöne unheimlich geworden. Seine einsamen Menschenfiguren erscheinen nicht als Ergriffene vor der Erhabenheit der Landschaft, sondern ziehen weiter und wollen fort. Und vielleicht sind sie bereits auf der Suche nach dem Zauberer von Oz, um wie einst Dorothy im Land jenseits des Regenbogens seinen Rat zu erfragen.(Rosemarie Burgstaller)
Chloë Potter: „Ungefähr vor zehn Jahren begann ich an einer Serie von Fotografien zu arbeiten, die sich auf klassische Odalisken (europäische Sklavinnen im ehemals türkischen Sultansharem) -Malereien bezog, nur dass ich statt Frauen männliche Modelle verwendete. Ich lud Freunde von mir in mein Apartment oder an einen Ort im Freien ein, um sie teilweise nackt in malerisch-kitschigen Settings aufzunehmen und moderne, männliche Versionen der üblicherweise weiblichen Odalisken zu kreieren. Ihr zeitgenössisches Erscheinungsbild mit Tätowierungen, sonnengebräunten Hautstellen und modernem Haarschnitt, kombiniert mit ihrem Unbehagen, halbnackt von einer Frau fotografiert zu werden, brachte einen Hauch von Realität in die Bilder ein. In einer späteren Fotoserie begann ich, sowohl Frauen als auch Männer einzusetzen, wobei ich oft die männlichen und weiblichen Rollen vertauschte. Durch die Verwendung von Verweisen auf das „Jetzt“ wie z.B. schmutzige Tennissocken und Gegenstände aus dem häuslichen Alltag, wie Ohrenstäbchen und Kochschürzen, verknüpfte ich die Bilder mit dem Alltagsleben, fügte ihnen einen mehr realistischen und weniger romantischer Aspekt hinzu und verspottete den Idealismus, der die traditionellen Geschlechterrollen formte.
In meiner letzten Arbeit setzt sich die Erforschung von dunklen, psychologischen Elementen in Märchen, Horrorgeschichten und Mystery-Filmen, das Spiel mit der Grenze zwischen Romantik und Realität fort. Die Bilder sind nur lose an eine vorgefertigte Idee der fotografischen Inszenierung gebunden. Das Hauptaugenmerk ist den Charakteren selbst gewidmet. Es bleibt offen, ob sie nun gut oder böse sind, was sie an diesen Punkt der Geschichte geführt hat und was sie wohl als nächstes tun werden – das Eindringen in die Psychologie hinter dem Bild ist das Wesentliche.
Fotos an dunklen, unbequemen oder gefährlichen Orten, wie in einem alpinem Schneesturm, auf Friedhofsruinen oder in windigen Wäldern bei Nacht zu machen, schafft eine so dramatische Atmosphäre, dass weder ich noch meine Modelle sich dem unheimlichen Gefühl von Bedrohung entziehen können. Mit einfachem Low-Tech-Equipment, wie einem Handblitzgerät und Kartonreflektoren: – unter derart herausfordernden Bedingungen zu arbeiten, ist fast wie die Aufführung eines schwierigen Zaubertricks. Sekundenbruchteile der Zusammenarbeit zwischen mir und den Modellen entscheiden über das neue Bild und wo die Grenze zwischen Fiktion und Realität verschwimmt. Mir ist bewußt, daß viele der Bilder vom tatsächlichen Leben und der Persönlichkeit des Modells beeinflusst werden. Ich gebe daher nur einige wesentliche Anhaltspunkte, auf welche Stimmung oder Geschichte ich abziele und überlasse es dann den Modellen, wie sie den Charakter der darzustellenden Person anlegen möchten. Die Bilder können daher als Porträts, die teilweise auf das wirkliche Leben verweisen und teilweise auf der Darstellung einer imaginären Figur basieren, gesehen werden – als eine Verflechtung von Wahrheit und Phantasie.“ (Chloë Potter)
Yukara Shimizu. Die Nacht: Dreh- und Angelpunkt wilder Fantasien, Wünschen und Hoffnungen, biblischer Knotenpunkt für Schöpfung und Niedergang, erotischer Raum exzessiver Gelage, Zeit des Verbrechens, Ort des Traumes, der Sehnsucht – ungreifbarer Ort surrealer Ausblicke in unbekannte Welten. Oder auch die Zeit der Kontemplation, der Ruhe und Innovation.
Die Nacht: mehr als ein tiefenpsychologisches Kaleidoskop menschlicher Existenz und Reflexion, mehr als nur ein romantisches Thema nach Novalis oder Caspar David Friedrich.
Für Philosophie und Kunstgeschichte ist das Phänomen ein zentrales Thema, historische Wurzeln reichen weit bis in die Antike zurück, es sei hier nur ein alter Bekannter genannt: Phaeton, der sterbliche Sohn des Sonnengottes Helios. Er ist vielleicht der erste wirklich prominente Vertreter, der mit seiner kompromisslosen Gier nach dem Licht der Welt, mit seinem treibenden Streben nach dem Allerhöchsten zum Verblendeten selbst wird. Das höchste Licht schlägt in Blendung und Schwärze um (Hartmut Böhme), die jahrtausende alte Dialektik von Licht und Dunkel, Tag und Nacht, Physik und Metaphysik ist geboren. Vielleicht auch das erste mediale Flimmern unserer Neuzeit.
Yukara Shimizu bewegt sich mit ihrem fotografischen Werk seit einigen Jahren in diesem Grenzbereich zwischen Licht und Dunkelheit, zwischen Tag und Nacht. Natur und Nacht sind Shimizus zentrale Bildthemen bis heute. Die 1964 in Tokyo geborene Künstlerin zeigt in ihren meist großformatig präsentierten Abzügen Landschaften, die, auch wenn sie teils deutliche Spuren von Zivilisation zeigen, doch immer merkwürdig menschenleer bleiben. Der Mensch hat nichts zu suchen als Bildthema in den Inszenierungen der Japanerin. Nicht der vordergründige Symbolgehalt von dargestellten Inhalten ist ihr wichtig. Vielmehr sind die lichtspezifischen Stimmungen durch die Fotografie zu erreichen, nicht eine auf das Motiv abzielende Abbildungsfunktion oder gar Mimesisfunktion will sie herstellen. Wie Isabelle Verret das Werk der Japanerin beschreibt: „Shimizus Bilder der Nacht entfalten ihren Zauber im Übergangsbereich von Alltäglichem zu Mysteriösem. Es ist die Inszenierung dieser gespannten Augenblicke der Ereignislosigkeit und des Stillstandes …“
In ihrer neuesten Serie der Garten, jetzt erstmals in Österreich zu sehen, zeigt Yukara Shimizu nachtdurchdrungene, stillebenartige Aufnahmen von Blumengärten. Noch dunkler wird die Nacht hier in ihren Bildern, noch weniger wird das fokussierende Licht zum direkten Träger von Bedeutung, wie es teils in ihren früheren Arbeiten noch der Fall war. Ganze Nachtbildschulen der niederländischen und italienischen Malerei des 16. Jahrhunderts praktizierten und forschten über diese Bildwelt, setzten damals noch primär das Licht als Fokus ein.
Die Wahrnehmung steht immer am Anfang der Bilder, so auch in dieser fotografischen Serie. Nichts scheint den Blick abzulenken in den Bildern, die voller Ruhe einen nicht enden wollenden malerischen Raum präsentieren. Hinabzusteigen scheint der Betrachter zu müssen, hinabzusteigen in einen anachronistisch wirkenden Bildraum, der nichts übrig hat für schnelle Abbilder unserer Wirklichkeit, nicht inszeniert ist für eine schnelle, flimmernde Wahrnehmung. Jeder Tau- und Regentropfen, jedes Detail in den Bildern Shimizus eröffnet wieder neuen Raum, ohne restlos narrativ oder gar symbolgeladen sein zu müssen.
Der gespannte Augenblick zwischen Ereignislosigkeit und Stillstand, zwischen Beschleunigung und Geschwindigkeit des Lichts ist immer noch die zentrale Form der Fotografie. In den inszenierten Aufnahmen der ursprünglich als Bildhauerin arbeitenden Künstlerin wird dieser fast ins Unendliche gedehnt. Ganz anders als die bekannten kurzweiligen Mangadarstellungen, ganz anders als die durch militärisches Nachtsichtgerät entwickelten Bilder (1992–1995) Thomas Ruffs. Doch vielleicht sind sie gar nicht so weit voneinander entfernt bei der Suche nach den Grenzen des Visuellen, den Grenzen der Wahrnehmung in unserer Zeit, wo das „Faktische zusammenfällt mit der medialen Vermittlung“ (Annette Urban). Und diese (die mediale Vermittlung) ist heute überall und immer in allen Cybercafes zu haben. Nicht die Projektion bestimmt unsere Wahrnehmung und Gesellschaft, die Introjektion ist das eigentliche, paradoxe Phänomen unserer Zeit. Bei aller Öffentlichkeit der Bilder. Phaeton ist auch heute nicht weit. Licht und Dunkel, flimmernde Wahrnehmung heute, die Suche nach Wahrheit und Authentizität, der Betrug durch das öffentliche Bild sind omnipräsent. Wie James Turrell einmal seine Arbeit beschrieb: „Ich will keine bildliche Darstellung, ich möchte keine symbolischen oder literarischen Bezüge. Ich möchte durch die Betrachtung des Lichtes auf einem anderen Weg Realität herstellen, damit der Zustand entsteht, in dem wir uns befinden, wenn wir in ein Feuer blicken und die Nicht-in-Worten-Denkende Beziehung zum Licht erleben.“ Vielleicht ist ja auch er gar nicht so weit entfernt von den Bildern der Nacht (Nikolai Tschernow)