Eröffnung: Montag, 4. April, 19.00 Uhr
Einführende Worte: Petra Noll
sponsored by: BKA Kunst; MA7-Kultur; Cyberlab, Michael Sprachmann/Fine Art Printing and Framing, Wien; Rahmen Mitter, Wien / Dank an: Schule Friedl Kubelka für Künstlerische Photographie, Wien
Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, ihren Bildern, Zeugnissen, Architekturen und Zeitzeugen stimuliert „Nachbilder“ im Kopf. Bedingt durch den zeitlichen Abstand wird ein anderer Blick auf das Zurückliegende sowie auf die eigene Identität und Herkunft ermöglicht. In dieser Ausstellung geht es in erster Linie um die künstlerische Verbildlichung von Erinnerungen, die mit subjektiv erlebten Orten verknüpft sind, oder mit Plätzen, die durch kollektive Emotionen aufgeladen sind. Recherchen in der Heimat, Kamerafahrten durch verlassene Räume, Archivbilder persönlicher Erlebnisse, Stätten und Personen und/oder angeeignete Fotos geschichtsträchtiger Orte werden im Zuge einer medialen Neuaufarbeitung in den Kontext gegenwärtiger Bilder, Aussagen und Repräsentationsformen wie u.a. Ton/Musik, Bewegung oder Transformation gestellt. Neben der persönlichen Aufarbeitung bzw. Darstellung innerer Vorgänge bewegt die KünstlerInnen die Frage, wie Erinnerung die Wahrnehmung von Wirklichkeit verändert. Es geht ebenso um Zeit, die sich in der Erinnerung als Verbindung von Gegenwart und Vergangenheit artikuliert, sowie um den Stellenwert und den Informationswert fotografischer und filmischer Bilder im Erinnerungsprozess.
Madis Luiks installative, multimediale Erinnerungsarbeit Linn: Viljandi / Stadt: Viljandi (2014) über die Stadt seiner Kindheit, das estische Viljandi, verbindet drei formale Ebenen: Fotografien von Straßenszenen und Architekturen, die Zeugnis ablegen über den geschichtlich-politischen Wandel, Texte über seine persönlichen Gedanken über die Stadt sowie das Dokumentarvideo Elmo, in dem er sich mit dem dort allseits bekannten, aus dem Ort stammenden Journalisten Elmo Riig unterhält, der 18 Jahre für die lokale Zeitung „Sakala“ gearbeitet und die wichtigsten lokalen Ereignisse fotografisch dokumentiert hat. Während verschiedener Autofahrten an einem Arbeitstag von Elmo sprechen sie vor allem über seine Arbeit und über das Medium Fotografie. Die dreiteilige Arbeit, deren formales Konstrukt sich auf das Zusammenwirken von Texten, Fotos und Videos in Zeitungs- und Online-Artikeln bezieht, ist während eines 90-tägigen Aufenthalts des Künstlers in Viljandi entstanden. Alle Teile beschäftigen sich mit Fragen über Architektur, Geschichte und Zukunft der von großer Auswanderung geprägten Stadt. Obwohl alle Teile repräsentative Darstellungen des Ortes sind, wird dennoch erst mit deren Zusammenschluss eine nachvollziehbare narrative Ebene erreicht.
Sissa Micheli zeigt das Video Rue de la Tour – The History of a House in 8 Chapters (2009/2016). Basierend auf der Dokumentation der Pariser Villa, in der sie aufgewachsen ist, beschreibt eine junge Frau ihre Familie. Celia erzählt von ihrer Kindheit, ihren vier Geschwistern, dem Scheitern der Ehe ihrer Eltern und vom Leben ohne den Vater, der das Haus nur noch bis zur Türschwelle betreten hat. Das von Sissa Micheli gewählte Mittel einer langsamen Kamerafahrt durch die Räume lässt den psychischen Prozess des Erinnerns sichtbar werden: Das stille, wie unterbewusst stattfindende Fließen der Bilder wird durch Celias Stimme konkretisiert und zu einem greifbaren Strom an Erlebnissen. Bilder und Stimme fügen sich zu einem Labyrinth an Erinnerungen. Das Video ist das dritte einer Trilogie über Wohnräume, die kurz vor der Auflösung stehen. Sissa Micheli untersucht in dieser Serie auf sehr poetische und emotionale Weise, wie Wohnungen die Erinnerungen an Menschen und ihre Geschichten wecken und bewahren können. Ausgehend von Celias Geschichte spricht sie allgemeine existentielle Themen und Gefühle wie Liebe, Geborgenheit und Verlust an.
In dem Video Revisting past (2015/2016) beschäftigt sich Michael Michlmayr mit dem fotografischen Bild als Stimulator subjektiver Erinnerung. Er hat Negativstreifen aus seinem SW-Bildarchiv von 1981–2000 ausgewählt, kurz in die Hände genommen, umgekehrt, betrachtet, diesen Akt abfotografiert und zu einem Film zusammengefügt. Durch den Film entstand eine Bild-im-Bild-Situation, die den Akt des Betrachtens thematisiert. Im Hintergrund klickt regelmäßig der Auslöser einer Kamera und suggeriert Authentizität. Schon kurze bildliche Reize erinnern den Künstler an die eigene Geschichte, Bezugspersonen, Orte und Erlebnisse, an die zurückliegende künstlerische Arbeit sowie gesellschaftliche bzw. politische Ereignisse. Für die BetrachterInnen bleibt es eine assoziative Bilderreise, da durch die filmische Neukontextualisierung, den rasanten Durchlauf, die Überblendung und Drehung der Streifen sowie den fehlenden inhaltlichen Bezug die eindeutige Sichtbarkeit verhindert wird. Es geht um die Auseinandersetzung mit Sehen/Nichtsehen, Wahrnehmungsstrukturen und den Informationsgehalt fotografischer Bilder.
Anna Mitterers Film Sonate (Hommage à Vinteuil) von 2008 zeigt eine Kamerafahrt durch einen Raum, der sich ständig verändert und damit immer wieder neue Bezüge zur Realität herausfordert. Die Bildsprache entstand aus einer Musik heraus: Mitterer bat den Wiener Komponisten Alexander Wagendristel um eine Neukomposition der nur als Beschreibung von Marcel Proust in „Eine Liebe von Swann“ existierenden Violinsonate des ebenso fiktiven Komponisten Vinteuil. Bei Proust inspiriert das Hören der Musik von Vinteuil den Protagonisten Charles Swann nicht nur dazu, sich an seine verflossene, unglückliche Liebe zu Odette zu erinnern, sondern es führt ihn auch zum Bewusstsein einer unsichtbaren Realität. Sonate stellt den winzigen Moment dar, in dem es zu einer Analogie von Vergangenheit und Gegenwart kommt. Der Akt der Erinnerung wird reflektiert in der Bewegung der Kamera durch den sich wandelnden Raum. Es geht vor allem um das Beschreiben eines mentalen Prozesses, dem Moment der intuitiven Erinnerung, aber auch darum, wie der innere Vorgang der Rezeption eines Kunstwerkes mit den Mitteln von Bild und Ton reflektiert werden kann.
Bärbel Praun zeigt die Arbeit this must be the place (2015), eine persönliche Recherche über Ort, Raum und Wahrnehmung sowie eine Untersuchung des Begriffs „Heimat“. Aus einem Buch mit SW- und Farbfotografien präsentiert sie sämtliche Blätter als Wandarbeiten. Meist handelt es sich um Landschaftsmotive, z.B. von den Schweizer Bergen, wo sie eine zeitlang gelebt hat. Die großen Ausschnitte markieren ihre Nähe, ihr Involviertsein in die Naturwelt. Es sind in erster Linie sehr abstrakte, offene Bilder von symbolisch-assoziativem Charakter. Man spürt die Konzentration, die genaue Beobachtung, – auch ihrer eigenen Schneeflocken fangenden Hände – den sehr sensiblen Zugang und die Faszination der Künstlerin an der Schönheit von Oberflächen und Strukturen. Sie, die in den letzten Jahren nie länger als ein paar Monate an ein und demselben Ort gelebt hat, bewegen Fragen nach der Bedeutung von Heimat und Ursprung, die Auseinandersetzung mit Erinnerung und Identität, die Beziehung des Menschen zum Raum.
Linda Reifs Valley Of Hinnom (2015) setzt sich mit einem geschichtsträchtigen Ort auseinander. Ihre Serie von 12 quadratischen SW-Fotos zeigt Naturaufnahmen von Ge-Hinnom, einer tiefen, schmalen Schlucht am Fuß der alten Stadtmauern von Jerusalem – ein Un-Ort im „Niemandsland“. Die Fotografien zeigen mehr oder weniger undeutliche, unscharfe Formen und Strukturen. Diesen Eindruck erreicht Reif durch die Verwendung von abgelaufenen SW-Filmen und einer in China billig produzierten Kamera mit Plastiklinse. Ohne dass man weiß, dass dieser Ort bekannt ist für seine grausame Geschichte – u.a. wurden im Heidentum der Gottheit Moloch Kinder geopfert – fühlt man in diesen Ausschnitten einer verlassenen, totenstillen Landschaft auch aufgrund der SW-Optik etwas Mystisches, Beklemmendes, man fühlt den Tod. Die Landschaft fungiert als Projektionsfläche für Geschichte und ist auch eng verbunden mit neuen grausamen Ereignissen rund um den Nahostkonflikt/-Krieg. Reifs Fotografien zeigen, wieviel eindrücklicher sprachlose Zeugnisse belasteter Orte sein können als jedes Reden darüber.
Benedek Regös versteht seine Fotoarbeit Genius Loci (2012) als einen Versuch, fotografische Arbeitsweisen in Bezug auf Evidenz, Bedeutung, Erinnerung und Topografie aufzuzeigen. Er untersucht das Phänomen, dass Dokumentarfotografie oft durch das Festhalten und damit Hervorheben von „unbeachteten“ Kleinigkeiten zu viele Objekte und Situationen „adelt“. In seiner Arbeit versucht er, darauf Bezug zu nehmen, indem er scheinbar unwichtige, gewöhnliche Orte, deren Bedeutung auf ein anderes, vergangenes Ereignis zurückgeht, fotografiert. Dafür wählt er zunächst Archivaufnahmen aus, die den Aufenthaltsort einer prominenten Person zum Zeitpunkt der Aufnahme zeigen und bei denen der betreffende Ort unverändert geblieben ist – und somit auch dokumentiert werden kann. Es ist also die gleichgebliebene Beschaffenheit des Ortes entscheidend, da er als Materie überlebt hat (wie das Bild) und wir ihn als physische und begehbare Verbindung zwischen der jeweiligen Person und uns sehen können. Orte können mittels der Eingabe von Koordinaten gefunden und so zu „inoffiziellen Denkmälern” persönlicher Erinnerung werden.
Petra Noll für die FOTOGALERIE WIEN