Eröffnung: Montag, 2. September um 19.00 Uhr
Einführende Worte: Philipp Levar
sponsored by: BMUKK, MA7-Kultur, Alsergrund Kultur, Cyberlab, Kooperationspartner: Galerie Sfeir-Semler, Hamburg/Beirut und Lisl Ponger
Ausschweifende Mobilität ist – neben exzessiver Kommunikation – eines der bestimmenden globalen Phänomene am Beginn des 21. Jahrhunderts. Die FOTOGALERIE WIEN zeigt in ihrem diesjährigen Schwerpunkt künstlerische Arbeiten, die sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln den mannigfaltigen Aspekten dieses Themas widmen. Dabei umfasst die dreiteilige Ausstellungsserie Positionen zu den ineinander verwobenen Feldern der freiwilligen Reisen, der Grenzen und Grenzgebiete sowie der volatilen Kapital- und Informationsflüsse mit ihren physischen Konsequenzen für viele. Jeden Teil dieser Trilogie entwickelt das kuratorische Team in einem offenen Prozess gemeinsam mit den KünstlerInnen und begibt sich damit selbst auf eine Reise mit oftmals überraschenden Entdeckungen; in ihrem dialogischen Zusammenspiel machen die verschiedenen Arbeiten immer wieder neue Momente sichtbar und ermöglichen es, die Vielschichtigkeit des Themas Mobilität aufzuzeigen. Sich diesem gerade in und durch das Medium Bild zu nähern, kann auch als eine Referenz an ein wesentliches Merkmal der Globalisierung gelesen werden – zählen doch gerade Bilder zu deren mobilsten Einheiten, die sich längst schon über alle Grenzen hinweggesetzt haben.
Die zweite Ausstellung dieser Reihe, Grenzen, führt an politische Trennlinien, die sich im Raum manifestieren und selten mit den sozialen und geografischen Wirklichkeiten vor Ort zusammenfallen. Die Tatsache ihres Bestehens jedoch erschafft oft neue Lebenswelten und wirtschaftliche Zusammenhänge. So komplex wie das globale Phänomen Staatsgrenze ist, so sind es ebenso die Mikrokosmen von Grenzgebieten. Die Vision eines „Global Village“ kondensiert am „règlement“ der Grenzziehung, ihrer staatstragenden wie definiten Architektur und ihrer bürokratischen Vollzüge; vorformulierte Kriterien der In- und Exklusion entscheiden hier über die Möglichkeiten physischer Mobilität. Die Arbeiten dieser Ausstellung berichten nicht nur von temporären Grenzgängern, sondern auch von Menschen, die sie für immer zu überwinden suchen.
Iris Andraschek und Hubert Lobnig beschäftigen sich in ihrer Arbeit Wohin verschwinden die Grenzen (2009) mit europäischen Grenzsituationen und -verschiebungen sowie mit den prekären Erfahrungen von Menschen an plötzlich neu errichteten Grenzen. Im Zuge dessen setzen sie sich auch mit der speziellen Ästhetik und Architektur ehemaliger Grenzstationen auseinander. Neben Fotoarbeiten zeigen sie Objekte, die Teil einer temporären Installation im Außenraum am Grenzübergang Fratres/Slavonice, der Grenze zwischen Österreich und der Tschechischen Republik, waren. Für zwei Jahre markierte und thematisierte diese die „verschwundene“ respektive unsichtbare Grenze im Zuge des gefallenen Eisernen Vorhangs und der europäischen Einigung; die Spuren der Verwitterung – der Einschreibung von Zeit und „Gedächtnis“ – sind an ihnen erkennbar.
In seiner Fotoserie Chambres (2005) gibt Taysir Batniji Einblicke in temporäre Räume für die MitarbeiterInnen einer Renault-Fabrik in Frankreich, die äußerst spartanisch und funktional eingerichtet sind. Kurz- bis mittelfristig bewohnt, bieten diese Unterschlupf und Herberge und stehen damit für transitorische Räume innerhalb der internationalen Diaspora, in diesem Fall der freiwilligen (und bezahlten) Migration. Sie fungieren aber auch als Stellvertreter für die vielen unfreiwilligen Übergangsräume, die Menschen auf der Flucht, auf der Suche nach einem besseren Leben oder zumindest nach Arbeit immer wieder antreffen.
Im Kino der FOTOGALERIE WIEN werden zwei Video-Essays von Ursula Biemann gezeigt, die beide das vielschichtige soziale und ökonomische Leben, das Grenzregionen erschaffen, zum Thema haben. Performing the border (1999) behandelt die Lebens- und Arbeitssituation in Ciudad Juarez an der US-mexikanischen Grenze, einem Ort, an dem die engen Zusammenhänge zwischen wirtschaftlichem Aufschwung und der Ausbeutung vorgegebener Rollenbilder deutlich werden: Eine zu diesem Zeitpunkt rasch wachsende Stadt, deren EinwohnerInnen sich in von vornherein eindeutig definierten gesellschaftlichen Positionen wieder finden, sowohl in Bezug auf ihre Staatsbürgerschaft als auch auf ihr Gender. Europlex (2003) zeigt den täglichen Handel zwischen der spanischen Enklave Ceuta und Marokko, dessen Strukturen, und die kreativen Strategien der dort ansässigen Menschen.
Das Video Winter (2013) von Eva Engelbert, das in Zusammenarbeit mit der Soziologin Alena Pfoser entstanden ist, zeigt das Paradoxon einer „Zwillingsstadt“, die durch eine maßgebliche politische Grenze geteilt wurde. Zwischen Schengen und der Russischen Föderation, zwischen Narva und Ivangorod, verläuft nicht nur ein Fluss, sondern auch die Mühsal der Überwindung einer abstrakten Größe im täglichen Leben. „In bed with the Prime Minister“ bringt es eine Bewohnerin auf den Punkt, wenn sie von den Schwierigkeiten erzählt, ihren Ehemann auf der anderen Seite des Ufers zu besuchen. Andere hingegen schlagen Kapital daraus, Waren am Zoll vorbei zu schmuggeln – und sei es Tee, versteckt in Stiefeln, die angeblich eine dringende Reparatur beim Schuster benötigen.
Mit einer konzisen wie einfühlsamen Dokumentation zeigt Leona Goldstein in ihrer dreiteiligen Fotoserie Displaced (2005/2006) mit Auszügen aus ihren Arbeiten 6 qm Rechtsstaat, Hold the line und In Italia mi chiamo Anna Stationen der Migration. Das Video Au clair de la lune (2006) erweitert ihre Analyse und offenbart die engen Zusammenhänge von wirtschaftlicher Ausbeutung seitens der sogenannten Ersten Welt in Afrika, der dadurch entstehenden Misere vor Ort und dem daraus resultierenden Wunsch – oder besser: der Notwendigkeit – die Heimat zu verlassen, um woanders überleben zu können.
Moira Zoitl präsentiert eine installative Arbeit, in der das Video Fliehkraft (2010) mit Fotos von Gastarbeitern aus den 1960er-Jahren in klassischen Anzügen dieser Zeit, die sie im Internet gefunden hat, im Mittelpunkt steht. Zudem zeigt sie Fotos aus der Serie. Moira Zoitl trägt einen Anzug von Ahmad Anwari und Yosufi Nagip und eben diesen Originalanzug, den die beiden Schneider, die aus Kabul nach Hamburg emigriert sind, für sie angefertigt haben. Das Vermessen des Körpers, die Zuschneidung des Stoffes und die Anfertigung des Anzugs werden in ihrer Arbeit zur Parabel für das Durchmessen der Distanz zwischen Heimat und Reiseziel sowie für das Einleben an dem neuen Ort mit seinen speziellen Strukturen und Rollenprägungen.
(textliche Betreuung: Philipp Levar)