Eröffnung: Montag, 4. Oktober 2004, 19.00 Uhr
SIOSEH-Jubläumspräsentation, Sissi Farassat: Freitag, 29. Oktober, 19.00 Uhr
Nichts ist echt, alles ist gestattet. (Midori Araki) Der japanischen Künstlerin Midori Araki ist der Raum als ein nach allen Seiten begrenztes Konstrukt zu klein – sie entführt uns in einen „Garden of Dreams“: ein Spiegelkabinett der Selbstreflexion, gepaart mit Projektionen aus Stroboskoplicht und Texten, Bildern und Sounds, welches selbst die Türen zu den innersten Räumen der Kindheit und Erinnerung öffnet und uns eintreten lässt …
Sowohl Midori Arakis Design als auch ihre Kunst waren schon immer provokativ. Sie verblüfft uns, indem sie in die Rolle einer der undefinierbaren Persönlichkeiten unserer massenmedien-orientierten Gesellschaft schlüpft oder sich hinter einer solchen verbirgt. Ihre Herangehensweise im Schaffungsprozess grenzt sie merklich von anderen KünstlerInnen und DesignerInnen ab. In einer poetischen aber auch paranoiden Art und Weise gibt sie Einblick in die imaginäre Welt einer jungen Erwachsenen die unter Identitätsproblemen und dem sie betreuenden Psychologen leidet. Ihr gelingt es, den komplexen Geist der Krise unserer konsumorientierten Zeit einzufangen.
Araki interessiert sich für die gewöhnlichen sowie ausgefallenen Formen und Materialien, die uns im Alltag begegnen und für gewöhnlich kaum Beachtung finden. Es geht ihr aber nicht um eine simple Auseinandersetzung mit deren Kurzlebigkeit.
Als sie zu Beginn Ihrer Karriere die außergewöhnliche Serie Bottle Light (1999) kreierte – keramische Lampen die aus weggeworfenen Reinigungsmittelflaschen gestaltet wurden –, konnte sie zum wahren Geist der Boundary Soul werden, der sich heute oft bei jugendlich-erwachsenen Mädchen in der Besessenheit von der Frage nach Identität und Zugehörigkeitsgefühl zeigt. Mädchen die oft als herumirrende Seelen bezeichnet werden. Midori Arakis Stil reflektiert diese pathologischen Ausformungen unserer Zeit auf einzigartige Weise. (Auszug aus dem Text „Morphe oder die Faszination der Boundary Soul“ von Ryu Niimi, Professor an der Abteilung für Kunst und Management, Musashino University (Museum Study / Design History)
Sissi Farassat
Zu Transzendenz und Kult in Sissi Farassats Pailletten-Bildern
Die Fotografie wendet ihren Blick immer in die Vergangenheit. Sie zeigt uns ein Abbild eines spezifischen Raum-, Zeit- und Situationsgeflechtes, welches unwiederbringbar ist. In diesen Erinnerungen liegt der Kultwert einer Photographie (1) – aber auch die Distanz zur Malerei, die das Zeitlose, Transzendentale sucht. Weder über Unschärfen noch Detailausschnitte vermag es die Fotografie, sich von dem Dort und Damals zu lösen. Erst mit der Bildbearbeitung, dem Freistellen von Figuren zum Beispiel, einer Person, dem Wegblenden der sie umgebenden Raum-, Zeit-Situation, kann eine Neu-Codierung eingeleitet werden. Mit der Loslösung des Kontextes verliert die gebrauchte Fotografie jedoch auch ihren Kultwert zugunsten einer zeitlosen Neukomposition. (2)
Sissi Farassat geht mit ihren Pailletten-Bildern einen ähnlichen Weg. Sie isoliert die dargestellten Personen, zum Teil auch Objekte, indem sie einen großflächigen, meist undurchsichtigen, schillernden Paillettenteppich um die Figuren arbeitet. Der Kontext wird ausgeblendet, überlagert mit einer glamourösen Textur. Die Figuren werden von den Pailletten abstrakt umfasst und erstarren in ihrem performativen Akt.
Dabei ersetzen die Pailletten in ihrer Materialität und Anwesenheit das Dort und Damals mit einem Hier und Jetzt. Hintergrund und Figur beginnen in ihrer Wertigkeit zu oszillieren. Die Wahrnehmungspsychologie beschreibt eine solche Sinnesempfindung als Figur/Grund Konflikt, welcher gelöst wird, indem unsere Wahrnehmung das Bild zu einer Einheit schließt. Dabei ergibt sich die Bedeutung der einzelnen Reize aus der Relation zu den anderen Bildteilen und dem Gesamten, dessen Teil es ist. Folglich überträgt sich der Glamour Effekt der Pailletten auf das Fotomotiv, indem dessen Bedeutung idealisiert wird. Das Pailletten-Bild Hochzeit stellt demnach nicht die Hochzeit eines uns bekannten oder unbekannten Paares dar, sondern einen idealisierten Kuss, und die Pailletten beschreiben ein entsprechendes Glücksgefühl. Das transzendentale Moment entsteht über das neu erfundene Bildkonzept, über den Austausch des Kontextes mit einem Abstrakten, Idealisierten und zugleich tatsächlich Anwesenden.
Den Pailletten selbst in ihrer Materialität fällt darin eine besondere Bedeutung zu. Sie sind einerseits der Fotografie völlig fremd. Ihre Verarbeitung, das zeitintensive händische Aufnähen jedes einzelnen Plättchens, widerspricht der Geschwindigkeit der Fotografie, welche es vermag, Augenblicke in tausendstel Sekunden festzuhalten. Andererseits ist es eben diese Sensibilität gegenüber dem Licht, die den Pailletten ihren mittelgerechten (3) Platz an der Seite der Fotografie zuspricht. Ihre ausgeprägte Reflexionskraft, die das Licht in Regenbogenfarben zu brechen vermag, repräsentiert den Belichtungsmoment der Fotografie. Gleichzeitig wird über die irisierende Umrahmung des Kernmotives die Konzentration des Erblickens durch die Fotografin eingefangen. Die Lichtreflexionen bewegen sich, das Motiv erscheint. Die Transzendenz der Paillettenbilder liegt demnach nicht nur in der konzeptuellen Abstraktion und Idealisierung, sondern auch in ihrem suggestiven Moment.
Diese suggestive Kraft des Erscheinens ist vor allem aus religiösen Abbildungen bekannt. In der frühen Ikonenmalerei wird als Grund und Hintergrund ausschließlich Gold verwendet. Dabei ist festzuhalten, daß Gold keine Farbe ist, sondern ein Metall und die Bedeutung nicht im Wert des Goldes liegt, sondern in seiner Repräsentanz des Lichtes (4). Sissi Farassat knüpft an diese Tradition der Darstellung an. Und auch in der der Technik des Bestickens, wie Gisela Steinlechner Sissi Farassats Bearbeitung der Fotografien beschreibt, finden sich Spuren des Spirituellen: „ … eine sanfte, kontemplative Woodoo-Praktik, die zwischen der imaginären Erscheinung und der physischen Wirklichkeit des Bildes vielfache Verknüpfungen herstellt.“ (5) Das Besticken der Fotografien wird zum Ritual.
Über diesen Umweg der Tradition und des Rituals gelangen wir wieder zurück zu Walter Benjamin: „Die Einzigartigkeit des Kunstwerkes ist identisch mit seinem Eingebettetsein in den Zusammenhang der Tradition.“
Während Sissi Farassat also den Kult im Sinne des Erinnerungswertes in ihren Pailletten-Bildern über das Loslösen einer performativen Darstellung aus seinem Kontext abstreift und die von Benjamin reklamierte Aura mittels der abstrakten und anwesenden Pailletten-Fläche zurückgewinnt, haftet sie ihren Bildern einen neuen, aus der Tradition hergeleiteten Kultwert an. Es gelingt, ihr, eine Brücke zum einzigartigen (nicht-reproduzierbaren) Kunstwerk zu schlagen, ohne das Medium Fotografie als Kernsubstanz zu verlassen. In ihrer Erscheinung mögen die Pailletten-Bilder weniger lautstark auftreten, als vergleichbare kontemporäre Arbeiten, in welchen Pailletten zur figurativen Darstellung verwendet werden; in ihrer Bedeutung jedoch sind es sensible Werke, eingebettet in eine kunsthistorische Tradition, jenseits von Bilderflut und Trends. (c.b.)
1
Walter Benjamin: Im Kult der Erinnerung an die fernen oder die abgestorbenen Lieben hat der Kultwert des Bildes die letzte Zuflucht. Während Benjamin den Kultwert der Fotografie ausschließlich in der Portraitfotografie zu lesen glaubt (das Portraitfoto als Erinnerungsbild des Verstorbenen), findet dieser sich selbstverständlich auch in der Objekt-, Natur- und vor allem Journalismus- bzw. Dokumentationsfotografie (Christo, …)
2
Heimo 2000, Franz West 2000, Umschlag Abbildung des Katalogs „Franz West In & Out“, MNK | ZKM Karlsruhe, 2000: Die Schwarz-Weiß verwendete Fotografie eines Unterwäschemodels ist in Franz Wests Collage Objekt der Begierde, verfolgt von den losgelösten Brillen des ihr abgewandten Brillenträgers. Ein zeitloses , anonymes Spiel der Erotik und sexuellen Anziehung. Im originalen Gebrauch der Fotografie ist das Model Hintergrund für Unterwäsche und der Kultwert des Bildes mehr oder weniger beschränkt auf die Chronographie des Modehauses.
3
Moholy-Nagy formulierte in den zwanziger Jahren auch in Hinblick auf Photographie und Film das Programm einer mittelgerechten Kunstgestaltung, der Künstler solle das „Wesenhafte“ seines jeweiligen Mittels (Licht, Farbe, Fläche, Form, Struktur, später Konzept und Kontext) zum Ausgangspunkt seines gestalterischen Tuns machen.
4
Gold galt als das Metall der Leben schaffenden und alles beherrschenden Sonne … ist somit selber Licht und unerschöpflicher Glanz (Eigenlicht u. Sendelicht).
5
„Von Foto-Rückseiten und Foto-Kleidern“, Gisela Steinlechner über Sissi Farassats Pailletten-Bilder.