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Ausstellungen

MICHAEL JANISZEWSKI / subREAL

3. Mai 2001 – 2. Juni 2001

Michael Janiszewski (DE),  subREAL (RO)

 

Helmut Vakily: Die Inszenierung: für Michael Janiszewski

Was für eine Leiche dagegen ist die Vergangenheit
wenn dein Gedächtnis unter den Trümmern liegt?
Welche Leiden befallen die Toten

wenn sie in Bildern vor dir auferstehen?

Und welche Bedeutung hat die Zukunft für dich?

hinterrücks / from behind (Fotoarbeiten 1990–2000)

Seit Beginn der neunziger Jahre beschäftigt sich Michael Janiszewski in seinen Fotoarbeiten mit dem Feld inszenierter Geschlechtlichkeit. Dabei können zwei deutlich abgegrenzte Phasen unterschieden werden. Phase 1 beginnt mit den Aufnahmen aus dem Jahr 1990 und endet im Herbst 1994. Nach der Fotositzung vom 3.9.1994 stellte Janiszewski die künstlerische Arbeit nahezu ganz ein. Der Verzicht auf weitere Fotoinszenierungen bedeutet für ihn das adäquate Gedenken an den Freitod eines engen Freundes dar. Erst nach mehr als zweijähriger Unterbrechung setzte er die Arbeit 1997 fort. Während er in Phase 1 mit einem Fotomodell zusammenarbeitete, das unter seiner Regie agierte, ersetzte er den menschlichen Akteur in Phase 2 vollständig durch Simulakra. Phase 2 kann als Fortsetzung und Radikalisierung von Phase 1 betrachtet werden. Bereits in Phase 1 der Arbeiten deutet sich an, was in Phase 2 radikalisiert wird: Die geschlechtsspezifisch codierten Attribute beginnen sich zu verselbständigen. Das Zeichenmaterial wuchert und erhebt sich über seinen Träger….

Die sich bereits früher abzeichnende Wucherung des Kostüms und der Verkleidung wird in Phase 2 radikal forciert. Wahrend in Phase 1 immer noch der Akteur präsent ist und unter den Hüllen der Bekleidung ein wie auch immer geartetes rudimentär Reales repräsentiert, ist der Akteur als Kostümträger in Phase 2 verschwunden. Übrig ist nur noch die Verkleidung, die Hülle ohne Inhalt und, wenn der Akteur wieder auftaucht, dann als ausgestopfte Puppe. Phase 2 besteht ausschließlich aus Kostüm und Wucherung, aus Zitat und Fragmentierung. Das Reale wird vom Simulakrum absorbiert ….

Die Forcierung der Simulation erfolgt nicht nur als Entfesselung des Materials, sondern auch als Zitat von Szenen und Requisiten der Phase 1. Rückenaufnahmen des verkleideten Akteurs aus Phase 1 kehren nun als Fotos des ausgestopften Kostüms wieder. Die früher verwendeten Requisiten werden neu arrangiert und fragmentiert. In Figur mit schwarzer Konturmaske (Klage) etwa wird die Mitra auf einer Verpackungsrolle zusammen mit den Vasen-Stöckelschuhen früherer Fotos phallusartig zusammengebaut. Auf einem Kleiderbügel hängen, wie ein zerschnittenes Kostüm, Fragmente der Perücke. Im Vordergrund kniet der verkleidete Akteur als Puppe. Sein Gesicht ist mit einem schwarzen Tuch verhüllt. Das Tuch reicht bis auf den Boden und wirkt wie ein Ausfluß des Gesichts ….

Phase 2 ähnelt einer Ruine von Phase 1. Der Grundton der Inszenierungen ist nun gewalttätiger und schmerzhafter: Der Akteur kehrt als ausgestopfte Puppe wieder. Auf einem Foto liegt er wie ein Toter auf dem Boden, neben sich die Brille, auf einem anderen neben sich zwei Pflastersteine. In ironischer Verkehrung der auf die deutschen Einheit gemünzten Parole „nun wächst zusammen, was zusammen gehört“ betitelt Janiszewski ein jüngeres Foto: „nun bricht zusammen, was zusammen gehört“. Der Titel kann als Leitmotiv seiner die letzten Jahre entstandenen Fotoinszenierungen verstanden werden. (Heinz Schütz, in: Michael Janiszewski, Fotoarbeiten 1990–1999, Verlag Camera Austria, Graz, 2000, Textauszug.

subREAL (Cãlin Dan/Josif Király): Looking Back 2 Move Forward

Der Tod öffnete ein Fenster der Gelegenheit und wir sind durch dieses Fenster hindurch in die Fotografie gesprungen. Dort trafen wir auf Chaos, Erinnerung, Lügen, Kunst und Menschen. Die Absicht des Folgenden ist diese Reise in Kürze zu beschreiben.
Als im Dezember 1999 das alte politische System in Rumänien auf brutale Weise beendet –getötet – wurde, arbeiteten wir für eine Kunstzeitschrift, die für über 50 Jahre  ihre Einzigartigkeit in der regionalen Kultur aufgebaut hatte. In kurzer Zeit schafften wir es, „Arta” von ihrem konservativen Programm wegzubringen, bis dann ein anderer Tod eingetroffen ist – der der Zeitschrift selbst.

1993 saßen wir auf etwa 600 Kilogramm Material, angehäuft über Jahrzehnte des Publizierens. Es war vorverpacktes Chaos: eine Unzahl von Schwarz-/Weiß-Fotografien und Negativen, die die rumänische und internationale Kunstgeschichte reflektierten, von Antiquiertem bis hin zum Postmodernismus; niemals hatte zuvor eine Inventur stattgefunden, es gab keine Systematik, keine Anhaltspunkte dafür, was gesammelt oder weggeworfen werden sollte. Um dieses Material zu bewältigen, haben wir – unserer üblichen Arbeitsweise entsprechend – begonnen, Installationen und Vorführungen zu machen, Skulpturen zu schaffen, zu schreiben und zu komponieren.
Das „Art History Archive” war so zum Leben erwacht und wurde als ein diskontinuierliches Theaterstück über fast drei Jahre lang – zumeist in Berlin, aber auch anderswo – aufgeführt. Das Chaos wurde freundlicher; und dann kam die Erkenntnis: Wovon die Fotoreproduktionen erzählten, war nicht Kunstgeschichte – aber deren Verschwinden in einem Labyrinth von Querverweisen. Die Erinnerung an Kunst durch eine Menge von Fotografien war wie um etwas trauern, das nie existierte; monochrome Bilder, flache Skulpturen, oberflächliche Architektur überlagerten jede Qualität und machten jeden Ruhm zunichte.
Ein herbes Gefühl von Irreführung hat sich während unserer Reise eingestellt, aber es blieb trotzdem unklar, wer der größte Lügner war: die Kunst, deren Fördersystem, die alles beaufsichtigende Politik – oder die Fotografie selbst? Dann trafen wir auf die Menschen. Sie kamen aus den zirka zweitausend 6 x 6 cm großen Negativen, schwebend in der Aura unerkennbarer Ereignisse und Orte. Sie waren die Diener der Kunst, und durch ihre Anwesenheit konnte Fotografie als mächtiges Instrument der Repräsentation gerettet werden. Es war alles möglich, weil die Negative – dafür gedacht, reproduktives Material für den Druck bereitzustellen – hinsichtlich der Auswahl eines endgültigen Ausschnitts, der sich auf das abgebildete Kunstwerk konzentrierte, produziert wurden. Was die Fotografien davor bewahrt hat, nur technische Reproduktionen von Kunstwerken zu sein, war die Tatsache, dass auf Grund des Kameraformats einiges an Umraum – eine „Aura der Geschichte” – mit abgebildet wurde. Bevor wir anfingen, sie als autonome Bilder zu betrachten, existierten diese Fotografien sozusagen nicht – nicht einmal für den Fotografen oder seinen Komplizen, den Künstler, geschweige denn für die Öffentlichkeit. „Objet trouvés” entstanden aus der magischen Konvergenz zwischen der unschuldigen Kamera und den unwissenden Subjekten; sie waren wie dokumentarisches Filmmaterial: willkürlich aufgenommen, bereit für endlose redaktionelle Lösungen und imstande, verschiedenste Geschichten zu erzählen. Mit Serving Art begannen wir ,im Zeichen der Klarheit zu arbeiten, und plötzlich konnte das Chaos kontrolliert und durch Re-kontextualisierung klassifiziert werden.
Als logischem nächsten Schritt kam es zu Interviewing the Cities: Wenn Fotografie ein Werkzeug des Überlebens ist und wenn analoge Daten noch Relevanz als Zeugen haben, passiert dies nur auf Grund der auratischen Qualität der Fotografie. Aura ist sowohl eine spontane Eigenschaft aber auch eine bewusst gestaltete. Wir exportierten das Wissen, das wir durch die Zerlegung des Archivs erlangten, in einen Prozess, der beabsichtigte, Erkenntnis über die dauerhafte Qualität der Fotografie zu bringen und auch über die Möglichkeiten, die dieses Medium immer noch bietet, um die Fülle des Lebens einzufangen. Interviewing stellt ein sich im Bau befindliches Archiv dar. Es benutzt ältere Strategien der Präsentation, aber mit anderem Ziel. Es ist ein „Bildungs-(foto)roman”, und dokumentiert ein kompliziertes Netzwerk menschlicher Beziehungen, das sich um die Welt der Kunst spannt. Ein weiterer Typ der Kontextualisierung ist hier als ein ideologischer Verdichter tätig: Alles in dem fixierten Schema der Fotografien beruft sich auf die Metapher „Stadt” – diesen Behälter von kulturellen Institutionen, natürlichen Filtern und künstlichen Landschaften. Städte sind der ultimative Ausdruck von dem, was das Ich-Bewußtsein zum jeweiligen (historischen) Moment definiert. Aber dieses Mal ist die Beschaffenheit der Projektquellen umgestülpt: Kunst wird durch die Menschen verdrängt; das Chaos wurde durch Planung vermieden und Lügen werden legitimer Teil der Rhetorik. Am Ende bleibt die Erinnerung der Sieger und die Fotografie natürlich – diese sehr freundliche Feindin des Todes. (subREAL, Amsterdam/Bukarest am 25.02.01)