Lorna Bieber: Obwohl ich von der Malerei komme, erforsche ich seit 1988 alternative fotografische Verfahren und Techniken und habe dabei herausgefunden, daß dies die perfekte künstlerische Ausdrucksform für mich ist. In meiner Arbeit beschäftige ich mich mit Fotografie nicht im konventionellen Sinn. Alle meine Bilder sind aus verschiedenen Quellen zusammengetragen und jedes Bild geht durch viele Stadien der Manipulation, bevor die endgültige Form, der Print, entsteht.
Ich arbeite an der Fotoserie Rooms and Houses seit 1991. In dieser Serie verwende ich Aufnahmen von privaten Wohnungen und öffentlichen Büroräumen, die ursprünglich von anonymen Fotografen für rein kommerzielle Zwecke fotografiert wurden. Diese Aufnahmen haben in ihrem Orginalzustand keinerlei künstlerische Intention und wurden von mir aus rein persönlichen, emotionalen Aspekten ausgewählt. Nach zahlreichen, unterschiedlichsten Bearbeitungsphasen gelange ich zu einer erzählerischen, filmischen Qualität. Obwohl diese neu definierten Räume menschenleer sind und keinerlei Handlung anbieten, sind sie von einer fühlbaren, unsichtbaren Präsenz erfüllt. Man hat den Eindruck, daß in diesen „Settings“ gerade etwas vorgefallen ist oder im nächsten Augenblick passieren wird. Sie flößen Gefühle von Sehnsucht und Verlust ein und wecken reale sowie eingebildete Erinnerungen im Betrachter.
Einer meiner befriedigendsten Momente meiner Karriere war, als Barbara Head Millstein, Kuratorin für Grafik, Malerei und Fotografie am Brooklyn Museum of Art, meine Arbeiten in einem Statement zusammenfaßte: „ Bieber hat durch ihre technische Kreativität einen Weg gefunden, in unsere tiefsten Erinnerungsschichten vorzudringen und entfacht auf sanfte Weise unsere emotionelle Erwiderung – mit Eleganz und einem Hauch des Unheimlichen.“ (Lorna Bieber, 1998)
Bargara Bosworth: Ich streife durch die Wälder. Ich sehe Dinge, die mich die Nähe des Todes erahnen lassen. Ein Ort, wo ein Berglöwe lauert, tötet und den Elch frißt. Der Schnee um das Aas ist mit dunklem Blut getränkt. Ein Adler, still, vom Himmel herab, stürzt sich auf einen Hasen und ohne zu zögern zerreißt er seine Beute. Diese Szenen machen mir keine Angst. Der Löwe sowie der Adler verhalten sich nicht aus Bosheit oder Hass so, sondern aus einer Notwendigkeit heraus, ihrem Überlebensinstinkt folgend. Die Jäger, die ich auf meinen Wanderungen antraf, erinnerten mich an meine eigene Abhängigkeit. Leben entstehen und enden, damit ich leben kann.
Ich beginne mit diesen Gedanken zu fotografieren. Seit 1991 habe ich Jäger und Jagdszenen in der amerikanischen Landschaft fotografiert. Als Landschaftsfotografin interessiere ich mich für Verhaltensweisen in dieser unserer Umgebung, wie zum Beispiel das der Schwimmer, Fischer, Wanderer etc. Die meisten meiner neueren Arbeiten fokussieren den Gedanken, daß wir Teil der Natur sind und uns von ihr weder separieren noch distanzieren können. Ich begann die Arbeit mit Jägern auch als eine Art von Erforschung der Koexistenz von Leben und Tod – das eine bedingt das andere.
Dann 1995 bestärkte, zwang mich der Selbstmord einer mir nahestehenden Person das zu glauben, was ich bisher fotografiert hatte – die Bedeutung des Todes und daß wir durch Tod leben. Verzweifelt begann ich mich an das Leben, das rund um mich verblieben war, zu klammern und es ganz nahe an mich heranzuziehen. Ich begann jedes noch so kleine Detail um mich herum zu fotografieren. Die Schnittwunde auf Rosmarys Bein, einen Wurm in einer Kinderhand, die Hände meiner Eltern mit ihren 50 Jahre alten Eheringen, Sonnenlicht auf Blättern, meinen Neffen, Glühwürmchen in einem Glas, den untergehenden Mond. Dieses fotografische Festhalten meiner Welt gab mir Sicherheit, daß diese mir nicht mehr weggenommen werden könne. Ich war regelrecht besessen von der physischen Welt und begann sie voll und ganz zu genießen. Durch diesen Tod, diesen Verlust, lernte ich zu leben. (Barbara Bosworth, 1998)
Laura Salmon: Was für ein Glück, daß es die Fotografie gibt, die uns hilft zu sehen und zu erinnern. Kinderzimmer – in ein oder zwei Jahren werden sie ganz anders aussehen als heute, entsprechend der Entwicklung ihrer Bewohner, den Kindern. Sie sind so wie sie gerade sind; nur jetzt – in ihrer raschen Veränderung – würden wir bald vergessen haben, wie sie einst ausgesehen haben. Die Zimmer sprechen für sich. Man sieht sofort, wieviel von den Eltern beigetragen wurde und wieviel Ausdruck und Einfluß der Kinder selbst in ihnen steckt. Wir sehen, womit sich das Kind umgibt, und können an Hand der Inszenierung von Dingen erraten, welche Entwicklungsphase gerade durchlaufen, erforscht wird.
In dieser enormen persönlichen Variationsvielfalt – ordentlich, wild, spartanisch, überfüllt – gibt es auch kulturelle Zeichen. Wir finden Beweise der Erwartungen, die Eltern in die Kindheit setzen. Der Wunsch, ihre Kinder, erfolgreich zu sehen, manifestiert sich in Puzzles, Alphabet Posters und Lernspielzeug. Der Wunsch, sie glücklich zu sehen, spiegelt sich wiederum in einer Unmenge von Kaufhauskostümen, Puppen, glänzenden Plastikautos, dem Sony CD-Player, überquellenden Körben mit Stofftieren und Teddybären wider. Mitten in diesem Überfluß, kann man dann die eigentlichen Schätze der Kinder entdecken. Kinder sind unbarmherzige Konsumenten. Sammlungen der neuesten In-Mode und In-Labels werden angehäuft, kunstvolle Szenarien von Puppenfamilien und TV-Heldenfiguren arrangiert, auf Regalen werden Pokale, Preise, die von Erfolgen zeugen, drapiert. Ebenfalls zur Schau gestellt werden Kunstwerke, Partyeinladungen, die Lieblingsstofftiere, die sich einen Platz auf dem Bett verdient haben. Spielsachen, die nicht mehr aktuell sind, verstauben unter dem Bett oder liegen vergessen hinter einem Regal.
In manchen Kinderzimmern bemerkt man das Aufeinandertreffen von Kindheit und Pubertät. Posters von Teenidolen dringen in die Welt der Kätzchen und Stofftiere, Ikonen der Populärkultur werden zur Orientierungshilfe der eigenen Identität herangezogen. Eine Deo-Spraydose voll Stolz am Schreibtisch plaziert, verweist auf aufkeimende Sexualität.
Einige Zimmer sehen aus wie Ausstellungsstücke, andere zeugen von Privatsphäre. Kleider und Spielsachen liegen verstreut und unachtsam herum, oder gestapelt und weggeräumt, jedes Kind scheint sein ihm eigenes Habitat zu kreieren. Kinder sind in mancher Hinsicht Gefangene und müssen sich den Regeln und dem Willen ihrer Eltern unterwerfen. Gleichzeitig üben sie eine starke Macht auf die Regeln des Zusammenlebens, auf das Familienleben aus. Die Zimmer scheinen von all dem zu berichten.
Ich fotografiere seit ungefähr einem Jahr Kinderzimmer, treffe dabei keine spezielle Auswahl, sondern bitte die Familien, lediglich den „Urzustand“ zu belassen. Ich verändere nichts und fotografiere exakt das, was ich vorfinde. Die Kinder, die in diesen Zimmern leben, sind zwischen drei und 15 Jahre alt, leben in New York City und den umliegenden Vororten. Die Familien gehören unterschiedlichsten ethnischen Gruppen und gesellschaftlichen Schichten an. (Laura Salmon, 1998)