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KÖRPER III

CANDICE BREITZ / DANIEL BRUNNER / MAGDALENA FREY / ALFRED WETZELSDORFER

6. September 2000 – 30. September 2000

Candice Breitz (ZA), Daniel Brunemer (BE), Magdalena Frey (AT), Alfred Wetzelsdorfer (AT)

Kataloge | Schwerpunkt: KÖRPER 2000

Die Schwelle zum neuen Jahrtausend ist von Konzeptionen des verschwindenden Körpers durchzogen, welche sich in den 1980er- und 1990er-Jahren und im Zusammenhang mit der Selbstdemontage des Menschen angesichts der technologischen Weiterentwicklungen zu manifestieren begannen. 1982 philosophierten Dietmar Kamper und Christoph Wulff über „Die Wiederkehr des Körpers”, dessen Verschwinden darin implizit als vorausgesetzt gilt, der kanadische Filmregisseur David Cronenberg hebt in seinen Film „Crash” den fragmentierten Körper hervor, dessen Kopulationsvermögen nur noch angesichts von Autounfällen möglich ist, und Paul Virilio vermutet die „Eroberung des Körpers” durch Informationsmedien und bioindustrielle Eingriffe. Die Konzentration der Gegenwartskunst auf eines der kontinuierlich wiederkehrenden Themen der Kunstgeschichte muß wohl auch vor dem Hintergrund der drohenden Entmachtung des Körpers gesehen werden.

Im dritten Teil des Ausstellungszyklus Körper hat die FOTOGALERIE WIEN eine Auswahl zum Themenkomplex der Pornographie getroffen. Aus dem Griechischen stammend, bezeichnete Pornographie ursprünglich die Beschreibung des Lebens, der Tätigkeiten und der Sitten von Prostituierten. Mit der Vormachtstellung der christlichen Geisteswelt veränderte sich der Fokus des inhaltlichen Bedeutungsfeldes und unter Pornographie wurde nunmehr die Beschreibung des Sexualaktes verstanden. Während in der hellenistischen Welt der Geschlechtsverkehr als göttliche Offenbarung und daher als legitime Quelle für die Dichtkunst* verstanden wurde, koppelte das christliche Lehrgebäude den Sexualakt mit der Idee der ehelichen Fortpflanzung, womit jede andere Form seiner Ausübung als prinzipiell verwerflich in den Normvorstellungen der Gesellschaft implementiert wurde. Der Einfluß des Christentums schlug sich nicht zuletzt in den juristischen Richtlinien des Bürgerlichen Rechts nieder, welches gewisse pornographische Handlungen als strafbar verfolgt. Pornographie hatte und hat auch heute, mit dem Rotstrich der Zensur zu rechnen, wobei dessen Einsatz gleichzeitig Aufschlüsse über den geistigen Zustand einer Gesellschaft gibt.

Die Herausforderung, über das fotografisch Festgehaltene hinausgehend zu lesen, greift die Künstlerin Candice Breitz in ihrer Rorschach-Serie auf. Abbildungen aus Sexmagazinen bilden ihr Rohstoffmaterial, welches sie fragmentarisch ausschneidet, neu zusammensetzt und über eine Achse spiegelt. In psychiatrischen Tests fungierte die Rorschach-Methode (bei der Farbkleckse auf einem Blatt Papier so gefaltet werden, daß ein „Klatschbild“ entsteht) als Mittel der Assoziationsfreisetzung, bei der verdrängte Obsessionen, Wünsche und Phantasien anhand eines visuellen Erscheinungsbildes ausgesprochen werden konnten. Breitzs Rorschach-Serie läßt die gewohnten Zuordnungen von Bekanntem verblassen, denn die einzelnen Beine, Arme, Brüste, Augen (…) sind in Konstellationen kombiniert, die mehr an ornamentale Muster, Pflanzliches oder an Science-Fiction denken lassen. In ihrer Ambivalenz rütteln sie einerseits an verdrängte und unausgesprochene Wunschvorstellungen, andererseits lassen sie durch ihren Assemblage-Charakter an die serielle Reproduzierbarkeit des Menschen denken. Weit entfernt vom pornographischen Ausgangsmaterial läßt Breitz das ursprünglich Sichtbare hinter sich und konfrontiert uns mehr mit Fragen einer zukünftigen physischen Existenz.

Auf Darstellungen aus Pornomagazinen greift auch Alfred Wetzelsdorfer zurück, wobei sich sein Interesse auf Requisiten und diverse Sexutensilien konzentriert. Die vorgenommenen Manipulationen repräsentieren bewußte, visuell-ästhetische Setzungen. Schwarze und rote, über den Kopf gezogene Latexmasken setzte der Künstler vor blauen, rosaroten und weißen Hintergründen in Szene. Die Ästhetisierung jener Objekte, die in erster Linie mit sado-masochistischen Sexualpraktiken in Verbindung gebracht werden, verhindert Aussagen über den Kontext und die Art eines potentiellen Geschehens und läßt gleichzeitig auch Momente des Ironischen und Spielerischen auftauchen. Im Gegensatz zu den Fotografien in Sexmagazinen, in denen Männer und Frauen zugeschriebene Rollen einnehmen, sind die Fotografien von solchen Verweisen befreit. Alfred Wetzelsdorfer greift vielmehr auf Verführungsmechanismen der Werbeindustrie zurück, die vor zuckersüßen Hintergründen die angepriesenen Waren stimulierend einsetzen.

Magdalena Freys Fotografie Quelle basiert auf ihrer persönlichen Entwicklung und versucht aufklärerisch wirksam zu werden. Ihren fotografischen Blick lenkt sie auf das weibliche Geschlechtsorgan, welches häufig als Scham bezeichnet wird und damit die – den Frauen lange Zeit gesellschaftlich diktierte – Haltung gegenüber ihren Geschlechtsteilen andeutet. Während der Penis auch die Bezeichnung Phallus erfährt und darin die Konnotationen von Kraft und Stärke in sich trägt, gibt es kein ebenbürtiges Wortpendant für die Vagina. In der Gesellschaft soll das Geschlecht der Frau verdeckt sein – Frauen sollen schamhaft damit umgehen: Diese und ähnliche soziale Altlasten aus vergangenen Jahrhunderten setzt die Künstlerin direkt und analytisch ins Bild.

Daniel Brunemer beschäftigt sich in seinen Fotografien mit Menschen, die beim Geschlechtsverkehr freiwillig fotografiert werden möchten. Er gibt diesbezügliche Annoncen in Zeitungen auf oder antwortet auf solche. Das Resultat der Fotografien ist von Mehrdeutigkeit gekennzeichnet: Sehen wir den Blick des Fotografen oder vielmehr die Vision der Fotografierten? Auch wenn der Künstler meint, daß er weniger die Menschen selbst, als die zwischen ihnen bestehenden Verbindungen und die Einsamkeit der Individuen aufzeige, bleibt es schließlich den RezipientInnen überlassen, welche der Perspektiven – versetzt mit ihren eigenen Vorstellungen – sie letztlich einnehmen.

* vgl. Ernest Borneman, Lexikon der Liebe, München, 1968, S. 243

(textliche Betreuung: Sabine Schaschl)