Die Schwelle zum neuen Jahrtausend ist von Konzeptionen des verschwindenden Körpers durchzogen, welche sich in den 1980er- und 1990er-Jahren und im Zusammenhang mit der Selbstdemontage des Menschen angesichts der technologischen Weiterentwicklungen zu manifestieren begannen. 1982 philosophierten Dietmar Kamper und Christoph Wulff über „Die Wiederkehr des Körpers”, dessen Verschwinden darin implizit als vorausgesetzt gilt, der kanadische Filmregisseur David Cronenberg hebt in seinen Film „Crash” den fragmentierten Körper hervor, dessen Kopulationsvermögen nur noch angesichts von Autounfällen möglich ist, und Paul Virilio vermutet die „Eroberung des Körpers” durch Informationsmedien und bioindustrielle Eingriffe. Die Konzentration der Gegenwartskunst auf eines der kontinuierlich wiederkehrenden Themen der Kunstgeschichte muß wohl auch vor dem Hintergrund der drohenden Entmachtung des Körpers gesehen werden.
Der zweite Teil des Themenkomplexes Körper in der FOTOGALERIE WIEN steht ganz im Zeichen des künstlich kreierten, vervielfältigten, geklonten und manipulierten Körpers. Seit dem Klonexperiment am Schaf „Dolly” kann eine Überwindung von ethischen, religiösen und moralischen Bedenken – zumindest im Tierbereich – konstatiert werden, und die Frage nach einem zukünftigen Klonen des Menschen hängt wie ein Damoklesschwert über unseren Köpfen – mit all den damit verbundenen Hoffnungen und Ängsten.
Seit den 1950er-Jahren arbeitet die medizinische Forschung bereits mit geklontem menschlichem „Material”, wie jenen Tumorzellen, die einem längst verstorbenen „Provider”-Menschen entnommen wurden. Problemlos können gegenwärtig auch einzelne Organe – auf der Basis von geringen Mengen realen menschlichen Zellmaterials – künstlich reproduziert werden. Amerikanische Ärzte und Anwälte streiten bereits um das Gold der Zukunft, welches sie in den Patentrechten auf künstlich kreierte Organe voraussehen. Der Körper steht mehr denn je in einem pulsierenden Spannungsfeld zwischen Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft und nicht zuletzt zwischen Realität, Fiktion und Utopie.
Diesen Moment der körperlichen Dislozierung und Destabilisierung greift Dieter Huber in seinen computergenerierten Fotografien auf, die bei Bekanntem und Wirklichem „andocken”, gleichzeitig aber diese Elemente der Sicherheit umwerfen. Erscheinungen und Dinge, die man benennen und damit vermeintlich begreifen kann, geraten bei der Betrachtung von Hubers Work-in-progress-Serie der Klones ins Wanken. Menschliche Organe, Pflanzen oder Landschaften sind zwar noch als solche erkennbar, jedoch von Verschmelzungen und Zusammenstellungen geprägt, die unbekannt sind und sowohl Neugierde als auch Abstoßungsgefühle evozieren. Ein Klon ist eine durch ungeschlechtliche Vermehrung entstandene, genetisch einheitliche Zelle oder ein mehrzelliger Organismus. Das allgemeine Schreckgespenst einer identischen Duplikation vom lebendigen „Ausgangsmaterial” basiert auf der Angst des Verlustes der Individualität. Ironischerweise scheint gerade jener Zeitpunkt, an dem die menschliche Entwicklung ein Maximum an Individualität erreicht hat, auch derjenige zu sein, der diese Errungenschaft durch die Möglichkeit der unendlichen Vervielfältigung wieder ins Stocken bringen kann – denn Reduplikation eines Individuums bedeutet nichts anderes als das Ende der Individualität.
Herwig Turks Superorgane teilen sich ihr Experimentierfeld und Wirkungsgebiet mit Hubers Klones, wobei Turk mit fotografischen Details von realen, menschlichen Organen und digitalen Spiegelungstechniken agiert. In der gewählten Detailhaftigkeit liegt auch das Besondere der ästhetischen Handhabung und es gelingt scheinbar beiläufig, Augenwinkel zu Vaginalformen mutieren zu lassen und dabei alle möglichen dazugehörigen Konnotationen gleich mit zu beanspruchen. Das Subtile des Ausschnitts vermag dabei monströse Züge anzunehmen. Winzige Körperhaare erscheinen stachelig und evozieren einmal mehr die potentielle Verletzungsgefahr der zarten Hornhautlandschaft. Herwig Turk sieht von direkten Schnittstellen ab und bevorzugt indirekte, überarbeitete Spiegelachsen. Jene Spiegelachse ist, frei nach Slavoj Zizek, „die Stelle im Bild, die die symbolische Bewegung der Interpretation in Gang setzt, eine Lücke im Zentrum der symbolischen Ordnung, um die herum sich das zerstreute Feld der Signifikanten immer wieder aufs neue synthetisiert, die die Bildung von symbolischen Strukturen, von Bedeutungen der „Superorgane“ initiiert und dabei die Unmöglichkeit der ausschließlichen und widerspruchsfreien Konstitution jeder einzelnen impliziert.” (Matthias Michalka)
Auch Margret Eicher bestätigt für ihre künstlerische Tätigkeit ein formales Distanzieren von der „eigentlichen Wirklichkeit”. Dabei greift sie jedoch auf die Technik des Kopierens zurück, die es ihr bis zu einem bestimmten Grad ermöglicht, eine persönliche Handschrift auszuklammern. Als Grundlage ihrer Installation Boygroup diente eine Fotografie eines im Gegenlicht aufgenommenen männlichen Babys, welche in einer Vielzahl reproduziert wurde. Kopf an Kopf bzw. Fuß an Fuß hängen sie dabei aufgefädelt von der Decke und erzeugen ein Gefühl des Unbehagens beim Betrachter. Mit dem Motiv des Babys trifft Margret Eicher den Kern biotechnologischer Visionen vom geklonten Menschen und damit die Ängste vor dem „Supermenschen” in unbeschränkter Zahl. Genozid und gezieltes Produzieren von ausgewählten Menschen liegen bekannterweise eng nebeneinander, und wenn ausgewählt werden kann, welche Art Mensch vervielfältigt werden soll, wird es auch bald Stimmen geben, die zu wissen glauben, welche nicht dafür „geeignet” sind. Noch tickt die gentechnische Bombe.
(textliche Betreuung: Sabine Schaschl)
Anhang/Ankündigung:
LIEBE FREUNDE DER FOTOGALERIE WIEN!
Auf Grund der Kunst-Einsparpolitik der Österreichischen Regierung und den daraus resultierenden Budgetkürzungen der Fotoabteilung des BKA-Kultur wie auch von Kulturkontakt und einer Entscheidung des neuen Fotobeirats, wurde unser Jahresbudget im Vergleich zum Vorjahr um 25 % gekürzt und wir müssen die für Juli angekündigte Ausstellung Fotografie aus Ungarn leider entfallen lassen.
Wir müssen die Entscheidung des neuen Fotobeirates zur Kenntnis nehmen, können aber nur vor weiteren Kürzungen des Kunstbudgets und Jahresbudgets von Seiten der Regierung und von Seiten des Beirates warnen, da kleine, innovative, Non-profit -Organisationen in weiterer Folge handlungsunfähig werden und die über Jahre geleistete „Aufbauarbeit“ zunichte gemacht wird.
Die im Raum „schwebende“ Diskussion der Zeitungstariferhöhung ist ebenfalls ein entscheidender Punkt für den Fortbestand unseres aufgebauten „Informationsschwerpunktes“, zu dem seit 1985 auch der Versand unserer BILDER-Einladungszeitschrift gehört. Fällt der Zeitungstarif für gemeinnützige Vereine, müssen wir neue Strategien, Lösungen finden, durch die eine regelmäßige Zusendung an insgesamt 2500 Interessenten im In- und Ausland weiter gewährleistet werden kann. Vorschläge sind willkommen.
Für die vielen positiven Reaktionen und Meldungen, betreffend Programm, Homepage, BILDER, im letzten halben Jahr möchten wir uns herzlich bedanken!
FOTOGALERIE WIEN