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Ausstellungen

KIM KEEVER / NORITOSHI MOTODA

6. Oktober 2002 – 6. November 2002

Kim Keever (US), Noritoshi Motoda (JP)

 

Kim Keever: „Nach meiner Übersiedelung nach New York 1979 widmete ich mich vorerst jahrelang der Malerei, bis mir das Malen an sich zu langweilig wurde. So entschied ich mich 1991 zur Fotografie zu wechseln – jedenfalls zu meiner Art von Fotografie. Damals bewunderte ich die Versionen der wundervoll gefärbten Selbstdarstellungen Cindy Shermans auf Cibachrome. Ich setzte mich mehrere Monate damit auseinander, wie ich derart prächtige eigene Landschaften kreieren könnte, wobei alles auf die Wahrnehmung purer Landschaft ausgerichtet sein sollte und ich keine zusätzlichen Elemente wie Spielzeug-Wagen, Puppen oder andere Figuren verwenden wollte. Ich hatte vor, die Aufnahmen mit einer Großformatkamera (4×5-Inch) zu machen, ohne mich darum zu kümmern, ob einige Bereiche der Landschaften ins Abstrakte kippen würden. Diese Regeln wende ich noch heute auf alle meine Arbeiten an.

Die Hälfte des kreativen Prozesses verbringe ich in meinem Studio, um diese 4×5-Inch-Dias von den Aquarium-Settings in meinem Apartment zu machen. Erst wenn die Filme entwickelt sind, stellt sich heraus, ob etwas Interessantes oder nur Durchschnittliches dabei entstanden ist. Die meisten Bilder sind eher durchschnittlich, aber manchmal erlebe ich eine wunderbare Überraschung und empfinde Stolz, wenn eine Aufnahme wirklich gelungen ist. Tatsache ist, dass ich keine Vorstellung davon habe, ob das Produkt interessant sein wird oder nicht, bis ich den Film sehe. Üblicherweise mache ich die Aufnahmen so schnell wie nur möglich mit einer Kamera diesen Formates und nach 7 bis 8 Einstellungen weiß ich gar nicht mehr, was ich wirklich aufgenommen habe. Es ist aber notwendig, so schnell zu sein, da die Farbe, die ich in das Wasser gieße, um die Wolken zu erzeugen, sehr rasch zerfließt und sich – wie echte Wolken, wenn sie durch Gebirgspässe ziehen – unberechenbar um die Gips-Berge herum bewegt. Es macht so viel Freude, die Farbwolken durch das Wasser ziehen zu sehen, und alles wirkt so real. Es ist, als ob ich einen Film ansehen würde, oder in diese von mir geschaffene Lilliput-Welt hineinversetzt wäre. Ich glaube, im Grunde meines Herzens bin ich ein Träumer.

Nach einiger Zeit beginnen die Gipsberge zu erodieren und rund um sie wachsen „Schutthalden“. Nun helfe ich ein wenig nach, um richtige Flusstäler entstehen zu lassen, was mich dann an die Erosion, die echte Berge über Millionen von Jahren durchlaufen, erinnert. Wenn ich für einige Monate mit dem gleichen Modell arbeite, „waschen sich“ die Berge zu Hügeln herunter und mit zunehmendem Grad an Auswaschung entwickeln die Modelle ein Eigenleben, und jeder Rest, der möglicherweise auf „von Hand gebaut“ schließen ließ, verliert sich. Ein kleines System beginnt immer mehr einem großen zu gleichen. Ähnlich, wie wenn man zum Beispiel eine Küstenlinie von etwa 50 Meilen Strand genauer betrachtet und dann die gleichen linearen Muster erkennt, die sich auf einem Abschnitt tausender von Strandmeilen zeigen. Bei einem Aufwand von 100 Stück Film gibt es vielleicht ein Bild, das tatsächlich gelungen ist. Aber ich mag diese Art zu arbeiten. Es würde ewig dauern, 100 vergleichbare Malereien zu machen, und am Ende müsste ich dennoch das Beste auswählen. Oft fragt man mich, ob ich das Malen vermisse, und ich muss gestehen: nicht wirklich. Nun bin ich doch schon einige Zeit Künstler und kann sagen, dass dies die wichtigste Arbeit ist, die ich je gemacht habe, und sie macht mich sehr glücklich.
Bei der Herstellung der Arbeiten muss ich sehr aufpassen. Das Aquarium, mit dem ich arbeite, fasst über 400 Liter Wasser und ich befinde mich im 6ten Stock eines Wohnhauses. Schon zweimal habe ich durch einen Fehler meine zwei unter mir lebenden Nachbarn überflutet. Das erste Mal haben sie mir irgendwie verziehen, aber als es ein weiteres Mal passierte, wurden sie verständlicherweise wütend und ich musste ziemlich viel für die Deckenreparaturen bezahlen. So versuche ich jetzt noch vorsichtiger zu sein, um eine drittes derartiges Ereignis zu vermeiden. Ich habe nun verschiedene Klappen und andere Vorsichtseinrichtungen für das Auffüllen und Entwässern des Beckens, fürchte mich aber ständig ein wenig vor einem weiteren Unfall. Ich träume sogar davon, dass es wieder passiert und kann nur jedem davon abraten, diese Technik zu verwenden, wenn er Nachbarn unter sich hat.“ (New York, 2002)

Die Haut der Geister (Johannes Lothar Schröder): Japanische Popsängerinnen sind Noritoshi Motodas Idole. Er sammelt nicht nur ihre CDs und Videos, sondern auch Poster und Fanzines, die er als Rohstoffe für seine Installationen und Performances verwendet. Das Shizuka Kudo-Video und dazugehörige Fotos zeigen ihn in seinem Zimmer im ländlichen Fukuoka, wie er seine Zeit, umgeben von Abbildungen seiner Lieblingssängerin, verbringt. Ihre große Anzahl erlaubt es dem Fan, sie zu filmähnlichen Sequenzen zusammenzustellen, die sich in einer mit der Musik von Shizuka Kudo trancehaft werdenden Stimmung zu einer virtuellen Figur verdichten. Auf diese Weise entstehen hunderte von Ansichten, die durch Reflexe auf den Hochglanzdrucken, durch Verzerrungen auf den sich wölbenden Seiten und perspektivische Verkürzungen eine zusätzliche Körperhaftigkeit bekommen. Indem Motoda die Durchdringung von erotischen Reizen des Modells mit der Sinnlichkeit der druckgrafischen Erzeugnisse sichtbar werden läßt, eröffnet er den Blick auf die Wirkung des Glamours jenseits der Oberflächen von Märkten, Marken und Medien.

„Intimität und Kommunikation“:  Als Höhepunkt des Shizuka Kudo-Projekts errichtete Motoda 1999 das Shizuka Kudo Haus als Installation für die Shizuka Kudo Performance. Je nach Version bilden dicht gestellte Säulen aus Kunststoffbechern oder übereinandergestellte Plexiglasquader die Wände. Sie sind nach einem Schema mit zusammengeknüllten Zeitschriftenseiten sowie vor den Scheiben klebenden Fotos gefüllt, so dass sich Friese und Muster durch die Fassaden ziehen. Mit Magazinseiten bestückte Leinen und Bambusstäbe bilden die Decke. In ihr gipfelt die Transparenz der gesamten Konstruktion, die es dem Künstler erlaubt, im Inneren mit seinen Bildern zu hantieren und zu meditieren und gleichzeitig dem Publikum Einblicke zu lassen.
Die Installation hält die Grenzen zwischen Intimität und Kommunikation offen, wodurch sie zu einer Art von Tempel wird, in dem sich die Versenkung eines Fans als Ritual mitteilt. Agierend im Spannungsfeld zwischen der Macht, die er über sein Idol zu erlangen sucht, und dem Einfluß, den die Popkultur über ihn hat, zeigt er sich als Protagonist eines Massenphänomens in den Konsumgesellschaften. Und vielleicht ist gerade Japan als Land mit seinen zahlreichen Schreinen prädestiniert, derartig exzessive Formen des Kults um Popstars hervorzubringen. Mit ihnen teilen Fans ihr Leben auf eine Weise, wie es ihren Vorfahren mit Naturerscheinungen, Geistern und Gottheiten hielten, die sie bis heute in den allgegenwärtigen Shintoschreinen verehren.

„Teehaus und Puppentheater“: Motodas Installationen kommen mit ihrer nur ihn selbst oder wenige Personen fassenden Grundfläche dem Konzept des Teehäuschens nahe. Besonders ihre fragile und halbtransparente Konstruktion, die mit geringfügigen Eingriffen in die Umgebung auskommt, spricht ebenso dafür, wie die in einem frühen Stadium des Kudo-Projekts (1996) verwendeten Äste und Zweige. Die spätere Hinwendung zu Materialien aus der Kunststoffindustrie ersetzt den traditionellen Naturbezug und vergegenständlicht die Übertragung traditioneller ästhetischer Haltungen in die von Waren und Medien geprägte Umwelt.
Die Aufmerksamkeit, die dabei den Oberflächen zukommt, läßt sich durch ästhetische Prämissen auflösen, wie sie in Japan im 17. Jh., durch Monzaemon Chikamatsu entwickelt, einmal gültig waren. Seine Theorie des Jôruri-Theaters verlangte es, den Theaterpuppen eine so starke Ausstrahlung zu verleihen, dass ihre Wirkung die von Schauspielern des Kabuki übertreffen sollten. Seine Aufmerksamkeit galt den Hüllen der Puppen, unter denen bis zu drei Hände von Puppenspielern die Bewegungen erzeugen sollten, die menschliche Zustände suggerierten. Deshalb wurden Kleidung und Habitus der Puppen als eine Haut/Membran definiert, die beim Zuschauer den zwingenden Eindruck menschlicher Gefühlsregungen hinterlassen sollte. Der Schein des Menschlichen sollte allein durch die Wirkung von Oberflächen vermittelt werden und damit dem Wesen des Seins Ausdruck verleihen. Dieser ästhetischen Prämisse entspricht Motoda sogleich dreifach, denn sowohl das Haus, die Oberfläche der Bilder und schließlich ihre fotografische Reproduktion, bilden eine Membran zwischen Schein und Wirklichkeit, steigern den unmittelbaren Eindruck auch lebloser Materialien und hinterlassen starke Gefühlsregungen.

„Der Fan als öffentlicher Pygmalion“: Motodas Umgang mit dem Abbildungsmaterial verkehrt die These Walter Benjamins von dem Verlust der Aura durch Reproduzierbarkeit in ihr Gegenteil. Bei Motoda sind es die vervielfältigten Abbilder und ihre mediale Multiplizierbarkeit, die das Modell verlebendigen und letztlich den Eindruck der lebenden Person nicht nur ersetzen, sondern für den Fan sogar übersteigen. Die Ästhetik der Theaterpuppen aus der japanischen Edo-Zeit, die die Anziehungskraft von Schauspielern überbieten sollte, überträgt Motoda auf die Oberflächen von Hochglanzdrucken und deren fotografischer Reproduktion. In seinen Performances verlebendigt er Bildmaterial bis hin zur Abformung, die zu einem sinnlichen Erlebnis wird. Zwar steht diese Art der Bildschöpfung durch den Pygmalionmythos in einer langen Tradition, doch zieht die ambulante und ephemere Gestalt, die Motoda dem Objekt seiner Sehnsucht gibt, die Zuschauer unmittelbar mit in das Geschehen hinein. Die Resonanz, auf die er stößt, wenn er seine Installationen und Performances auf Straßen, Plätzen und in Einkaufszentren zeigt, geben einem Alltagsphänomen einen künstlerischen Stellenwert, der seine Präsenz sowie die Ausstrahlung der Objekte erhöht.
Neben den Installationen geben Videos, Fotosequenzen und -cluster den Zuschauern die Möglichkeit, Motoda stellvertretend dabei zu beobachten, wie er sich in der von seiner Kunstwelt umhüllten Medienwelt in einen Zustand begibt, in dem die Grenzen zwischen Sein und Schein verwischen, und Ich-Grenzen sich auflösen. Der Fan erlebt die wechselseitige Übertragungen von Eigenschaften zwischen Ding- und Lebenswelt und huldigt einer im traditionellen Sinne dysfunktionalen Beziehung: Er verkehrt mit Geistern und macht sie zu seinen Begleiterinnen.