Eröffnung: Montag, 30. August um 19.00 Uhr
Einleitende Worte: Claudia Marion Stemberger
„Was konstituiert Identität heute?“, fragt das kuratorische Team der FOTOGALERIE WIEN anlässlich des Themenschwerpunkts für das Jahr 2010. Die dreiteilige Ausstellungsserie fokussiert Identität der Gegenwart in ihrer vielfältigen wie prozessualen Gestalt, ebenso wie die gezeigten künstlerischen Positionen die gleichsam unabschließbaren und vor allem uneindeutigen Facetten der Identitäten heutiger spätmoderner Subjekte widerspiegeln: Die KünstlerInnen visualisieren, wie die miteinander verwobenen Ausformungen personaler und kollektiver Identitäten zwischen Selbst- und Fremdbestimmung paradox changieren.
Das Themenfeld der zweiten Ausstellung Identitätsstiftung hinterfragt die ambivalenten Interpretationsmodelle der Identitätsstiftung, die je nach Kontext zwischen Identifikation und Ideologisierung divergieren: Kollektive Identität ist nach Jan Assmann immer nur „so stark oder so schwach, wie sie im Denken dund Handeln der Gruppenmitglieder lebendig ist […]“. Sie ist Ausdruck dessen, was Personen an einheitlichen Selbst- und Weltbeschreibungen miteinander verbindet und auf welche Weise sich Individuen damit identifizieren.
Identitätsstiftung gerät jedoch unter Ideologieverdacht, sobald sich in Gesellschaften die Annahme kultureller Homogenität oder geschichtlicher Kontinuität abzeichnet.
Der manipulative Gebrauch des Identitätsbegriffs zur Stiftung einer symbolischen Einheit zeigt, wie dieser zur Konstruktion von Großgruppen instrumentalisiert wird. Solche Universalisierungstendenzen entlarven sich als normierende Suggestion, welche die begriffliche Verwandtschaft von Identität mit Autonomie umso bedeutsamer erscheinen lässt.
Nicht nur Identität, auch Identitätskonstruktion reflektiert Oreet Ashery in ihrer Intervention in Delhi: Für Portrait Sketch (2006) kleidet sich Ashery zunächst als jüdischer Mann und lässt sich von einem Straßenkünstler ein Portrait anfertigen. Noch am selben Tag erscheint sie dort erneut, mit Palästinensertuch, und verlangt wiederum ein Portrait. Asherys performative Intervention bedeutet nicht nur ein „cross-cultural dressing“, das sich der Stereotype des Judentums und des Islam bedient, sondern ebenso eine Konfrontation mit Geschlechteridentitäten. Auch Can I Join You Just This Once? (2007) wirft ein Schlaglicht auf religiös getriggerte Geschlechterdifferenzen, als Ashery bei einer Demonstration anti-zionistischer orthodoxer Juden in London aufgefordert wird, sich aufgrund ihres (weiblichen) Geschlechts von der Gruppe zu entfernen.
Hubert Blanz entwickelt seine Arbeit Public tracks (2010), die im Rahmen des European Month of Photography 2010/2011 bei Mutations III. Public Images – Private View erstmals ausgestellt wird, für die FOTOGALERIE WIEN zu einer Audio-/Videoinstallation weiter. Ausgehend von einer beliebigen Person auf Facebook verknüpft Blanz zunächst die Namen der Kontakte zu einem zweidimensionalen Netzwerk. Indem der Künstler dieses nun für die Audio-/Videoinstallation in die Dreidimensionalität überträgt, navigieren die BetrachterInnen durch das digitale Netzwerk. Anders als virtuelle Identitäten, wie in Second Life oder Chat-Foren, enthalten Identitäten in Facebook durchaus authentische Aspekte. Dieser virtuelle Raum als Spielwiese alternativer Identitätsentwürfe darf daher nicht als Verfremdung einer realen Identität oder als Täuschungsmanöver interpretiert werden, sondern versteht sich als Mittel der Selbsterkundung, wirkt sich doch eine virtuelle Identitätserfahrung auf das reale Identitätserleben aus.
Katharina Cibulkas Videoinstallation getting my name up there (2009/2010) konfrontiert die BetrachterInnen mit einem Reality Check, der weder als Scheitern noch als Dokumentation missverstanden werden darf. Zehn Jahre nach ihrem Film fireflies (1999) befragt Cibulka fünf Musikerinnen erneut nach ihren Lebensträumen. Doch nun löst die Künstlerin den biografischen Erzählstrom von den Bildern – eine Irritation, die bei den BetrachterInnen nicht notwendigerweise Verwirrung auslöst, sondern die fortlaufende Variabilität von Identität markiert. Cibulkas Videoarbeit stressed out (2006) ist eine Aneignung der Performance Waiting (1972) von Faith Wilding. Während Wildings Zeitbezug als Kritik an Vorstellungen von linearen Identitätsentwürfen im Kontext von Erik Eriksons Stufenmodell psychologischer Entwicklung gelesen werden kann, spricht Cibulkas Bezug zur Gegenwart davon, wie das heutige selbstbestimmte Identitätsmodell durchaus zweischneidig erlebt wird: „Stressed out about not knowing what to want, what to choose“, lautet eine Textzeile.
Shahram Entekhabis Augenmerk gilt häufig der Hinterfragung von kulturellen und geschlechtsspezifischen Identitäten. Seine Figuren migrantischer Doppelgänger exponieren prototypische männliche Identitäten und die damit verbundenen Klischees. In seinen drei performativen Videoarbeiten Mehmet, Mladen, und Miguel (2005) finden besonders die Einflüsse medialer Stereotypisierungen auf die Zuschreibungen kultureller ebenso wie männlicher Identität Berücksichtigung. Nicht nur seine eigene, migrantisch geprägte Identität steht dabei im Zentrum, sondern vor allem zahlreiche ‚fremde‘ kulturelle Identitäten, die der Künstler humorvoll überzeichnet. Entekhabi pointiert das Aggressionspotential von und gegen MigrantInnen und verweist gleichzeitig auf die (negative) mediale Instrumentalisierung von Lebenswelten der ‚Anderen‘.
In ihrer Serie Sammlungen (2007/2008) zeigt Astrid Korntheuer bizarre Arrangements von Alltagsobjekten, die von PrivatsammlerInnen in winzigen Privatmuseen ausgestellt werden. Jenseits des dokumentarischen Aspekts von Korntheuers Fotografien lässt die Fülle der inszenierten Objekte den einzelnen Schlumpf oder Fußball-Fanartikel zugunsten eines unfreiwilligen Wandteppichs in den Hintergrund treten. Was wie eine Wunderkammer der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts anmutet, verschafft Gegenständen, die einen Ausdruck von Alltagskultur vermitteln, mithilfe des laienhaften Ordnungssystems eine neue Relevanz. Indem die Hobby-SammlerInnen den Gegenständen retrograd eine besondere Bedeutung zuschreiben, vermag deren subjektive Reihung für eine Gemeinschaft Sinn und auch Identität zu stiften.
Für ihre performative Serie Front (2005–2007) führt Trish Morrissey die Indexikalität des Mediums der Fotografie mit dem anzweifelbaren Realitätsversprechen von Familienportraits zusammen. An den Stränden von Großbritannien und Australien tauscht die Künstlerin in (ihr unbekannten) Familien- und Freundesgruppen mit einer weiblichen Person, zumeist der Mutter, die Rolle. Erst der serielle Charakter von Morrisseys vermeintlichen Schnappschüssen entlarvt die zunächst ‚unauffällig‘ wirkende Künstlerin gleichsam als Kuckuck, der die Grenzen zwischen ‚eigenem‘ und ‚fremdem‘ Familiennest überschritten zu haben scheint: Die familiären Rollenbilder geraten ins Wanken.
(textliche Betreuung: Claudia Marion Stemberger)