Eröffnung: Montag, 3. Mai 2010 um 19.00 Uhr
Einleitende Worte: Claudia Marion Stemberger
Begleitprogramm / Gespräch und Filmvorführung:
Friedl Kubelka, 20. Mai um 19.00 Uhr
„Was konstituiert Identität heute?“, fragt das kuratorische Team der FOTOGALERIE WIEN anlässlich des Themenschwerpunkts für das Jahr 2010. Die dreiteilige Ausstellungsserie fokussiert Identität der Gegenwart in ihrer vielfältigen wie prozessualen Gestalt, ebenso wie die gezeigten künstlerischen Positionen die gleichsam unabschließbaren und vor allem uneindeutigen Facetten der Identitäten heutiger spätmoderner Subjekte widerspiegeln: Die KünstlerInnen visualisieren, wie die miteinander verwobenen Ausformungen personaler und kollektiver Identitäten zwischen Selbst- und Fremdbestimmung paradox changieren.
Die Eröffnungsausstellung Identität – Biografie reflektiert die Relation von Biografie und Identität als „Entwicklungslinie alltäglicher Identitätsarbeit“. Wie lässt sich biografische Selbsterfahrung heute bewältigen? Wie je nach Lebensphase und Handlungsaufgaben jeweils unterschiedliche, widersprüchliche und divergente Teilidentitäten in einer Biografie dominieren, die es im Wechselspiel mit den Anforderungen von außen und von innen zu synthetisieren gilt, zeigen auch die für den Auftakt des Jahresschwerpunkts ausgewählten KünstlerInnen. Insbesondere der Seriencharakter aller fünf künstlerischen Statements verweist indirekt auf die fragmentierte wie inkonstante Beschaffenheit heutiger Subjekte.
Conny Habbel legt in ihrer Serie Go and fight! (ab 2002 – work in progress) die Kontingenz privater sozialer Strukturen sensibel offen. Die akribische Detailgenauigkeit, mit der sie „unbedeutsame“ Fotografien aus privaten Beständen vor Ort in originalen Settings rekonstruiert, verweist darauf, wie sich Rollen spezifisch während bestimmter Lebensphasen konstituieren. Gleichzeitig illustrieren die reinszenierten Aufnahmen Gefühle von Haltlosigkeit einer jungen zeitgenössischen Generation, deren retrospektiver Blick auf die eigene Biografie nicht nur eine sehnsüchtig aufgeladene Nähe zur persönlichen Vergangenheit herstellt, sondern vor allem ein unheimliches Gefühl aufkeimen lässt.
Als pointierte De-/Konstruktion virtueller (pseudo-digitaler) Identitäten lesen sich Peter Köllerers Verfahren, welche die sinnentleerten Betreffzeilen von Spam-Mails auf eine sinnlichere Ebene transferieren. Für The Person (2008) überträgt er Sprache von der Kommunikations- in die Bildebene, indem er die Staccato-Sätze mit der Schreibmaschine abtippt und die Papierblätter anschließend seriell rahmt. Auch für seine Serie Zeichen und Wunder (2008) erprobt der Künstler das Potential möglicher Verschiebungen zwischen Sinnverlust und Sinnverheißung. Hier entlockt Köllerer den anonym konstruierten Cybersubjekten zunächst die emotionalisierten Untertöne ihrer Betreffzeilen und ritzt deren Wortfolgen in Baumrinde ein.
Die Jahresportraits von Friedl Kubelka haben sich in den Kanon der Kunstgeschichte eingeschrieben: Unter Bezugnahme auf das erste Jahresportrait (1972–73) beschreibt Abigail Solomon-Godeau Kubelkas serielles Verfahren und die damit einhergehende Fragmentierung als vorausweisende Ablehnung homogener oder unverrückbarer Identitäten. Seit fast 40 Jahren portraitiert sich die Künstlerin zyklisch alle fünf Jahre über ein Jahr hindurch täglich. Für die in der FOTOGALERIE WIEN ausgestellten Auto-Portraits negiert die Künstlerin zwar aufgrund der Bildselektion den implizierten Seriencharakter, unterstreicht aber gleichzeitig die Kontinuität der Melancholie in ihrer Lebensgeschichte.
Nicht ihrer eigenen Biografie, sondern der ihres Vaters folgt Liza Nguyen in chronologischer Reihenfolge und dabei insbesondere jenen Orten in Paris, an denen dieser seit seinem Studienabschluss lebte und arbeitete. Ihr Buch My father (2003) reiht irritierend menschenleere Aufnahmen im Dämmerlicht aneinander, aus denen einige Fenster in gleißendem Licht herausstrahlen. Der früheren Heimat ihres Vaters begegnet Nguyen in Souvenirs du Vietnam (2004/05): Die 19 unterschiedlichen Haufen Erde, die die Künstlerin von ihrer Vietnamreise mitnahm, zielen zwar auch auf Fragen von Verortung und Migration, jedoch vor allem darauf, wie sich die traumatische Kriegs-/Geschichte in das kollektive Gedächtnis eingegraben hat.
Die ausgewählten Fotografien, multi-medialen Installationen und auch die filmische Arbeit von Natascha Stellmach verdeutlichen, dass sich ein Individuum in keinem machtfreien Raum bewegt. Stellmachs vielschichtiger, imaginierter wie realer Blick auf ihre eigene Biografie legt auf geradezu unheimliche Weise frei, wie sich ihre ausgewanderte Familie in Australien mit den ideologisierten Bildern ihrer (vermeintlich) deutschen Identität konfrontiert sah. Stellmachs The Book of Back verdeutlicht, wie Selbstkonstruktion im Sinne einer narrativen Identität dialogisch hergestellt wird: Solche Narrationen verknüpfen vergangene Erlebnisse mit der Gegenwart und betonen Identitätsarbeit als unabschließbaren Umbauprozess.
(textliche Betreuung: Claudia Marion Stemberger)