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Ausstellungen

GISELA ERLACHER / DORIS KRÜGER / DORIS MAXIMILIANE WÜRGERT

5. April 2001 – 28. April 2001

Gisela Erlacher (AT), Doris Krüger (AT), Doris Maximiliane Würgert (DE)

 

Petra Schröck, Eigenheim von Gisela Erlacher: Hinter einem gepflegten Rasen liegt eine Villa mit vorgesetztem Säulenportikus, stufenförmigem Aufgang und repräsentativen Dreiecksgiebel. Die architektonisch strenge Symmetrie erscheint allein durch die Setzung zweier jüngst gepflanzter Bäume gestört. Blickfang eines anderen Hauses – mit schmucklos verkleidetem Holzgiebel und einem Eingangsgeländer mit eingesetzten Wagenrädern – ist ein aufgemaltes Stückchen Heimatmalerei, ein pflügender Bauer mit Pferdegespann. Auch wenn keine Hausbewohner zu sehen sind, ihre Anwesenheit hinter diesen äußeren Fassaden ist spürbar.

Gisela Erlacher setzt sich in ihren Fotoarbeiten mit Räumen auseinander, deren Architektur von den Menschen spricht, die diese Räume benutzen. Ihre jüngste Fotoserie mit dem lakonischen Titel Eigenheim zeigt in vielgestaltigen Beispielen die Außenhaut – die frontalperspektivisch, giebelseitig aufgenommene Hausfassade – von typischen Einfamilienhäusern in Niederösterreich und Wien. Was auf den ersten Blick anonym, austauschbar und gesichtslos erscheint, trägt beim genaueren Hinsehen Spuren des Individuellen. Der Betrachter ist versucht, Zuordnungen und Bezüge zwischen dem Erscheinungsbild der Fassade und den „Eigenarten” der Hausbewohner herzustellen: Farbwahl der Fassade, Gestaltung der Vorgärten, Details wie liebevolle Blumenarrangements, applizierte Fassadenbilder, allerlei Kleinskulpturen (Gartenzwerge, Löwen, Vogelhäuschen) illustrieren anschaulich dieses Verhältnis. Trotz einer neutralen Architektur kollektiver Entwürfe vermitteln die Fotografien ein aufschlußreiches Bild der Bauherren „my home is my castle”) – von den schlichten Hausformen der Nachkriegszeit über Standardisierungen der1960er-Jahre bis in die eklektizistischen 1990er-Jahre. Der Künstlerin geht es weniger um eine distanziert dokumentarische Bestandsaufnahme, als vielmehr um eine allgemeine Topographie des modernen Eigenheimes mit seiner Maske von Architekturabsichten und -bemühungen. In der fotografischen Tradition von Bernd und Hilla Becher stehend, die ihre Serien von Fachwerkhäusern konsequent in dokumentarischen Typologien zusammenfassen und sie wie „anonyme Skulpturen” wirken lassen, lenkt Erlacher den Blick der/s BetrachterIn subtil auf das Spezifische und Charakteristische. Bei den Bechers wird die Fotofolge zum Instrument einer systematischen Wiedergabe bestimmter Bautypen, Gisela Erlachers subjektive Auswahl hingegen erzählt verborgene Geschichten, die das Alltägliche und Gewöhnliche neu erleben lassen.

 

Marie Röbl, Symptomatische Phantomräume: Doris Krügers mehrteilige Arbeit under construction besteht aus weißen Metalltafeln mit schwarzer Rasterzeichnung, auf denen bunte, geometrische Bildfragmente mittels Magnethaftung angebracht, verschoben bzw. re-kombiniert werden können; sie entspricht strukturell annähernd einem Brettspiel (Tangram). Der Titel verweist auf Krügers Material- bzw. Bildqelle – das Internet –, denn der Terminus ist für im Auf- bzw. im Umbau befindliche Websites gebräuchlich. In der englischen Redewendung klingt außerdem an, dass hier etwas einer Konstruktion „unterworfen wird“. Vorgeführt werden operationale Bedingungen und Darstellungsverfahren bestimmter Bildmedien, die an der Konstruktion und Repräsentation von Räumen beteiligt sind. Die dabei verhandelten bzw. angewandten Medien sind im Internet veröffentlichte Architekturfotografie sowie das Computerprogramm „Photoshop”. Die Räume, die dabei bearbeitet bzw. durchlaufen werden, sind einerseits der zentralperspektivische Illusionsraum der fotografischen Aufzeichnung sowie andererseits räumliche Aspekte von Handlungsfeldern – metaphorische Räume, wie das Internet oder der „Graphic User Interface” am Computer. Spuren dieser Bildräume und Raumbilder werden schließlich in den Realraum (zurück)geführt.

Doch verfolgen wir den schrittweisen Transformationsprozess ausgehend von Krügers Bildauswahl: überwiegend unmöblierte, (menschen)leere, öffentliche Innenräume, etwa Turnsäle, Schulungsräume, Fabriks- oder Ausstellungshallen, die alle auf ähnliche, frontalperspektivische Weise fotografiert wurden und im Internet auf diversen Homepages zu finden sind. Diese Räume wurden also bereits Mediatisierungen unterworfen, bevor die Künstlerin auf den Plan trat. Die Bilder dieser Räume dienen spezifischen Zwecken – etwa der Vorstellung einer Lokalität zur identifikatorischen Verortung einer Institution oder der Präsentation eines eben fertiggestellten Gebäudes auf der Homepage eines Architekturbüros. Der dokumentarische Charakter, den diese Zusammenhänge offenbar erfordern, schlägt sich in formal strengen, meist weitwinkeligen Aufnahmen nieder, die jeweils alle fünf elementaren raumbegrenzenden Flächen – Boden, Rückwand, Decke und zwei Seitenwände – ins Bild nehmen. Diese „Guckkasten”-Struktur der Aufnahmen suggeriert Totalität – sowohl Vollständigkeit der Räumlichkeiten als auch vollständige Überblickbarkeit, und kann somit als ein Emblem für die Zentralperspektive gelten: die Konstruktion einer kohärenten, homogenen Raumillusion, die sich auf Naturkräfte (Licht-Strahlengesetze) beruft und auf einen imaginären körperlosen Betrachter hin organisiert ist. Als eine machtstrategische Verknüpfung von Diskursen und Praktiken, also als „Dispositiv” ist die Zentralperspektive von außergewöhnlicher Dominanz und Permanenz. Abgesehen von kulturtheoretischen Aspekten der Mediatisierung ist mit der Veröffentlichung der ausgewählten Raumbilder im Internet aber auch auf technischer Ebene ein wesentlicher Schritt erfolgt: Die indexikalische fotografische Analogaufzeichung wurde einer medialen Transformation, nämlich der Digitalisierung, unterzogen. Dies ermöglicht eine Weiterbearbeitung der Fotografien im „Digital Darkroom”. Hier nun wird die stringente Struktur der Zentralperspektive sozusagen auf eine Spitze ihrer zwangsläufigen Logik getrieben: Die Bilder der jeweiligen Räume werden auf ein „Idealraummaß” hin verzerrt; alle Räume werden gleich hoch, gleich breit und gleich tief gemacht, wofür im Photoshop-Programm die fünf Elementarflächen eines jeweiligen Raum-Guckkastens extra zu bearbeiten sind. Die Eingriffe der Künstlerin in die perspektivischen Raumbilder beginnen also mit einer Zerlegung. Die Einzelteile werden dann auf jeweils verschiedenen „Ebenen” als geometrisch zweidimensionale Figuren verzerrt. Bei dieser Entstellung werden also nicht die Räume als Ganzes proportional verändert, sondern die Seitenlängen aller einzelnen Flächen werden so gestreckt bzw. gestaucht, dass sie in das vorgegebene Raster des „Idealraumes” passen. Die entstehenden Raumbilder weisen zwar noch alle Symptome der ursprünglichen Fotos auf, insofern kein Pixel verlorengegangen ist, sind aber in ihrem räumlichen Zusammenhang „gestört” – wie in einem Phantombild, in das alle Individual-Merkmale eingetragen wurden und das dennoch disparat wirkt. Dieser Mangel an Homogenität wird schließlich durch eine Re-Individualisierung ausgeglichen, indem jedem Raum eine eigene Farbtönung zugeordnet wird. Und nun also kann gespielt werden: Die Beweglichkeit der Raumbildteile erlaubt die Konstruktion neuer hybrider Raumphantome. In diesen synthetischen Bildern ist die raumillusionierende Wirkung der Zentralperspektive weitgehend in ausgeprägten Flächenmustereffekten aufgehoben. Krügers Dekonstruktionsprozess darf also nicht nur aufgrund seiner technischen Bedingungen so genannt werden, denn sie legt die Konstruiertheit von Raumdarstellung mittels Perspektive augenfällig bloß (die übrigens auch im Zeitalter digitaler Bildmedien präsent bleibt, denn der algorithmische Charakter der Perspektivkonstruktion lässt es mittlerweile auch zu, perfekte 3-D-Modelle am Computer zu errechnen). Wesentlich ist dabei auch die Verlegung der Konstruktionsarbeit vom (metaphorischen) Handlungsraum des „Graphic User Interface“ des Photoshop-Programms in den Realraum der Fotogalerie, wo anstatt des Symbol-Händchens am Bildschirm nun wirklich Hand angelegt werden kann. Denn damit verweist Krüger auf eine Diskussion im Spannungsfeld illusionärer und virtueller Räumlichkeit – also den Wechsel vom externen, körperlosen zum involvierten Betrachter elektronischer Interaktivität. Dass hier digitale Raumkonstruktion nachstellbar wird, die auf entstellte Raumprojektionen zurückgeht, ist wohl als eine ironische Brechung von Modellen räumlicher Fiktion bzw. Simulation zu lesen, die allzu euphorische Utopien von neuen virtuellen Handlungsräumen kritisch unterläuft.

 

Georg Schöllhammer. Vom Atem der Dinge: Zwei Vasen auf einem Bord. Ein Sessel an einer Wand. Oder ein Bett vor einer. Ein Schreibtisch. Objekte, alleingelassen in einem ganz abstrakten, fast ortlosen Raum. Doris Maximiliane Würgert erzählt in ihren Fotobildern vom stillen Leben der Formen. Ihre Fotografie verallgemeinert räumliche Zustände. Sie läßt dabei alle gesellschaftlichen Kodierungen außen vor und zieht sich auf eine fast lapidare Darstellung von Objekten zurück. Alles, was diesem Projekt nicht dient, ist aus ihm verdrängt. Es ist ein Interesse an den Grenzzuständen von Fotografie und Malerei, das sich mit einem an der kulturellen Transformation von Motiven des Modernismus der 1960er- und 1970er-Jahre verbindet, das in dieser Arbeit einen Punkt gefunden hat, von dem aus der Affirmation dieses Modernismus als Ambient-Folie gegenwärtiger kühler Lebensstilkonstruktionen gegengesteuert wird. Was Würgerts Fotografie dagegen vorlegt, ist ein Analysemodell der Raumvorstellungen dieses Modernismus.

Sie scheinen fast zu atmen, die Objekte, auf die sich der Blick der Fotografie konzentriert, als wären sie Portraits. Die Kontextreduzierung der Raumfiguren, welche Würgerts Objektportraits umgeben, machen die körperliche und psychische Konditioniertheit der Subjekte in den öffentlichen Räumen und in der Arbeitswelt korporativer Büros jener Zeit nahezu körperlich spürbar. Die Standardisierungsgedanken modernistischer Designutopien entgegnet Würgert gleichsam mit der Aura der Dinge, die aus ihr entstanden. Das kehrt das herrschende kulturpessimistische Bild der Vereinzelung der Subjekte in der Massengesellschaft jener Jahre positiv um. Wie das Bild einer kleinen Revolte gegen die tödliche Passivität dieser Gesellschaft wirken diese Portraits. Würgerts ins Bild setzen dieser Leere verliert sich aber nicht in einem hedonistischen Spiel mit historischen Differenzen. In ihrer Negation des Sozialen und des Ökonomischen und ihrer Behauptung von Form und Abstraktion wird der nostalgische Blick auf diese Formenwelt kritisiert. Der „Standort” der BetrachterInnen wird zum bestimmten Gesichtspunkt, von dem aus einzelne Horizonte, Perspektiven und Tiefendimensionen dieser historischen Verortung sich entfalten können. In einem Wechselspiel von Zentrierung und Dezentrierung, von Homogenisierung und Dehomogenisierung des Raumes mag dann vielleicht auch sichtbar werden, welche Illusion des sozialen, ökonomischen oder auch künstlerischen Lebensraumes das Projekt Modernismus verfolgte: als symbolisches Mittel und politisches Werkzeug. So baut Doris Maximiliane Würgerts Arbeit eine fragile Brücke zwischen Beobachtung und Beobachtetem, oszilliert zwischen objektiven und subjektiven Motiven sowie der körperlichen Beschreibung des Realen.