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Ausstellungen Austausch

FOTOKUNST AUS LETTLAND IN DER FOTOGALERIE WIEN

Austausch, Teil II

2. Juli 1997 – 2. August 1997

Arno Antums-Jansons (LV), Vilnis Auzins (LV), Guntars Bajars (LV), Arnis Balcus (LV), Gunars Binde (LV), Aldis Dublans (LV), Stanislavs Graholskis (LV), Aigars Jansons (LV), Dainis Karkluvalks (LV), Martins Krumins (LV), Aivars Liepins (LV), Astrida Meirane (LV), Andris Ozols (LV), Modris Rubenis (LV), Inta Ruka (LV), Aivis Smulders (LV), Egons Spuris (LV), Ina Sture (LV), Janis Zigurs (LV)

Die lettische Fotografie (1830–1996)

Bald nach ihrer offiziellen Einführung in Paris 1839 gab es die Fotografie auch in Lettland. 1850 wird als der Beginn der Geschichte unserer Fotografie gesehen, da die älteste Daguerrotypie, die sich in unserem Besitz befindet, auf 1850 datiert wird.
Die Geschichte der Fotografie in Lettland kann in fünf charakteristische Perioden eingeteilt werden:

1. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts

2. Die ersten zwei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts bis zur Unabhängigkeit vom zaristischen Rußland 1919

3. Lettlands Periode der Unabhängigkeit 1919 bis zum Zweiten Weltkrieg

4. 50 Jahre sowjetisch- russische Besatzung

5. Von der Unabhängigkeit 1991 bis zur Gegenwart

Die Letten, die eine Sprache sprechen, die dem Sanskrit verwandt ist, sind stolz auf ihr ethnisches Erbe und kulturelle Tradition, die einige Jahrtausende zurückreicht. Während unzähliger Okkupationen – deutsche, polnische, dänische, schwedische und – besonders vernichtend – die russische, hat sich ein Kern ethnischer Einmaligkeit gehärtet, überlebt und sich bei jeder möglichen Gelegenheit ausgedrückt. Eine davon ist die Fotografie.

Periode 1 wird durch Daguerro-, Ambro- und Ferrotypien repräsentiert, die der älteste Besitz des Museums sind. Sie wurden von reisenden Fotografen hergestellt, die meisten deutscher Nationalität, von denen sich manche permanente Studios in Riga einrichteten. Diese Bilder sind ausgezeichnete Aufzeichnungen und glaubhafte Informationsquellen zum Lebensstil der Mittelklasse. Wie überall in der Welt war für diese Klasse der Besitz von Fotografien eine Prestigesache und ein Luxus, den sie sich leisten konnte. Eine Analyse dieser Bilder zeigt, daß die Wahl des Gegenstands, der Komposition, der technischen Möglichkeiten und des Marketingaspekts vergleichbar mit den anderen europäischer Länder war.

Periode 2 Die Jahrhundertwende markiert den Beginn der rein „lettischen“ Fotografie, als zahlreiche lettische Fotografen ihre eigenen Firmen gründeten. Ungefähr 20 Fotografen dieser Zeit haben uns eine große Zahl Bilder hinterlassen – ein Erbe, das sowohl die lokale Geschichte als auch den Fortschritt der Fotografie dokumentiert. Eine wichtige Persönlichkeit ist der Fotograf Martins Buclers, der bereits zu Beginn des Jahrhunderts die Fotografie in einem weiteren kulturellen Kontext sah. Er untermauerte seine Theorien durch praktische Anwendung, versammelte Leute, die ein gemeinsames Interesse an der Fotografie hatten und begründete die Foundation für eine erste lettische Fotografengesellschaft. Er übersetzte technische Literatur aus zahlreichen europäischen Sprachen ins Lettische und publizierte 1906 das erste lettische Fotojournal STARI („Strahlen“).

Periode 3 Den Fotografen der lettischen Unabhängigkeitsperiode bis zum Zweiten Weltkrieg gebührt Anerkennung für den größten dokumentarischen Beitrag zum Erhalt der lettischen Kultur. Die Fotografie wurde einem großen Personenkreis zugänglich und so wurden originelle und talentierte Persönlichkeiten in der künstlerischen Fotografie ermutigt. Avantgardistische Ideen (Konstruktivismus, Surrealismus), die in den Nachbarländern populär waren, faszinierten die lettischen Fotografen nicht, abgesehen von jenen Fotografen, die eine Zeit lang im Ausland gearbeitet hatten (z. B. Carl Bauls). Die Entwicklung der künstlerischen Fotografie als ein Teil der Kunst und ebenso der erfolgreiche Beginn der Fotoindustrie in Lettland wurde durch den Zweiten Weltkrieg unterbrochen (z. B. wurde seit 1937 die populäre Kamera „Minox“ in Riga in der staatlichen Fabrik VEF produziert).

Periode 4 Wir verwenden den Begriff „Sozialistische Fotografie“ für die Zeit nach den historischen Veränderungen von 1940 und dem Verlust der lettischen Unabhängigkeit. Nach 50 Jahren sowjetisch russischer Okkupation kann die lettische Fotografie nicht in einem kurzen Bericht beschrieben werden. Die Fotografie der 1950er- und 1960er-Jahre ist einzigartig hinsichtlich der Fülle und Absurdität der Inszenierung. Die Anfangsjahre werden durch Janis Gleizds, Leonid Tugalev, Vilhelm Mihailovsky, und Egons Spuris repräsentiert. Jeder vertritt seinen eigenen, besonderen Stil.
Westliche ästhetische Konzepte durchdrangen nur langsam den Eisernen Vorhang und erst nach 1960 erhielten lettische Fotografen davon Kenntnis. Das Sowjetregime, das der Fotografie als schwer zu kontrollierendes Medium der Selbstverwirklichung stets mißtraute, verbot anfangs private Fotografie. Später versuchte man, sie durch Information über die Fotoclubs zu kontrollieren. Aber das Ergebnis war genau das Gegenteil: es stimulierte den Widerstandsgeist und das Talent kreativer Personen. Diese benutzten die scheinbar unschuldigen, von der Regierung definierten Symbole der „Realität“ um versteckte Botschaften zu übermitteln und wurden so zu Schauspielern in einem THEATER DER KÜNSTE. Das Verhängen eines Formenkanons bewirkte, daß die Künstler Motivation gegen Notwendigkeit tauschten. Viele bemerkenswerte Stücke wären nicht entstanden, wären sie nicht herausgefordert worden. Mitte der 1970er-Jahre benutzte eine Gruppe von jungen Leuten, die für das ethnografische Freilichtmuseum in Riga arbeitete, die erlaubte Forschungsarbeit und nutzte die Möglichkeit, eingeschränkte Gebiete Lettlands zu besuchen, mit dem Ziel, die „wirklichen Errungenschaften des Sozialismus“ zu dokumentieren. Die Bilder von Vilnis Auzins , Vitauts Mihalovski, Ugis Niedre, Modris Rubenis und anderer illustrieren diese neue Bewegung.
Lettische Fotografen, die am Anfang nur andere Clubs in der Sowjetunion herausforderten und meistens gewannen, erlangten den Ruf als beste Fotografen der Sowjetunion. Der Verfall der Kontrolle begann ernsthaft mit der Entdeckung eines Schlupflochs im Eisernen Vorhang, an deren Spitze eine internationale Organisation namens FIAP (Federation Internationale d’Art Photographique) stand. Wegen ihres nunmehr prominenten Status in der Sowjetunion, wurden lettische Fotografen als Vertreter des hohen kulturellen Niveaus der Sowjetunion zu internationalen Amateurausstellungen entsandt.
Der Gewinn prominenter Preise wie des „Silver Bowl“ des französischen Staatspräsidenten François Mitterand blendete Moskaus Auge noch mehr, so daß Moskau die ethnischen Fußstapfen nicht sah, welche sie hinterließen. Später ein kritischer Punkt als die internationale Anerkennung der Unabhängigkeit Lettlands auf dem Spiel stand. Tatsächlich eine einzigartige Herausforderung für die Fotografie.
Die 80er Jahre brachten eine breite Vielschichtigkeit in den Reihen der jungen Fotografen sowie die Einführung neuer Stilrichtungen und Techniken. Besonders wichtig war die ethische Haltung unseres populären Fotografen Egon Spuris, der in einem bis dahin in Lettland nie gesehenen vereinfachten Stil arbeitete. Dieser wurde von Andrejs Grants, Gvido Kajons und Inta Ruka aufgenommen und weiterentwickelt.
Ende der 1980er-Jahre nahmen Andrejs Grants, Valts Aivars Liepins, Raitis Purins, Uldis Briedis, Inta Ruka, Martins Zelmenis und viele andere weltweit an internationalen Ausstellungen teil. Zusammen mit littauischen und estländischen Fotografen schufen sie das Konzept der „Baltischen Fotografie“ im Unterschied zur „Sowjetischen Fotografie“. Begabte Fotografen aus anderen Ländern waren ebenso in Lettland tätig: hier könnte man besonders Vilhelm Mihailovsky und Leonid Tugalev nennen.

Periode 5 Und nun? Thematische Restriktionen sind aufgehoben. Alte Herausforderungen haben sich in Luft aufgelöst, Fotomaterial ist leichter zugänglich geworden. Ideale werden in Frage gestellt. Wirtschaftskonzerne haben politische Gefahren ersetzt. Ernsthafte neue Initiativen formieren sich nur sehr langsam. Generell gibt es jetzt die Tendenz, den von der Sowjetregierung gesponserten Kitsch durch „modernen“ westlichen Werbekitsch zu ersetzen. Die Fotografie ist besonders aktiv im Fotojournalismus, aber auch der künstlerische Bereich ist stark vertreten. Wie im Westen kann die Fotokunst keine ökonomische Basis für die materielle Existenz bieten, obwohl mehr als 20 brilliante Persönlichkeiten im professionellen Fotogeschäft Bilder von hohem künstlerischen Wert schaffen, die der Grafik und Malerei Konkurrenz machen.
Die neueste Fotokunst hat die Tendenz, sich mit Grafik und Malerei in einem „Media-Mix“ zu verbinden. Künstlern, die diese Bewegung repräsentieren und in den letzten zwei bis drei Jahren Werke in dieser modernen Art ausgestellt haben, sind Ina Sture, Janis Zigurs, Martins Krumins, Artis Saulits-Koknevics, Uldis Balga, Ivars Avotins und Aldis Dublans. Nach der Wiederherstellung der Unabhängigkeit in Lettland eröffneten sich den Fotografen neue Zukunftsperspektiven. Das lettische Museum für Fotografie und die Vereinigung lettischer Berufsfotografen wurde gegründet. Eine große Zahl von Fotografen nehmen weltweit an Fotokunstausstellungen und internationalen Projekten teil, auch bei Aktivitäten der lettischen Nationalkommission der UNESCO. (Vilnis Auzins, Direktor des Fotomuseums Lettlands)

Kulturaustausch Österreich – Lettland

Den ersten Kontakt mit Lettland knüpfte ich 1994 in Salzburg, wo ich Frau Mudra Grundule kennenlernte, die ein Kulturmanagementseminar besuchte. Sie brachte mich mit Herrn Vilnis Auzins, dem Direktor des Fotomuseums von Lettland, zusammen. Sehr bald war uns klar, daß wir gemeinsam mit Fotografie etwas machen wollten.
1995 wurde ich eingeladen, in Lettland eine Ausstellung zu machen. Dies bot Gelegenheit, das Land zu besuchen, erste Eindrücke der lettischen Fotografie zu bekommen und persönlich ein Konzept für eine weitere Zusammenarbeit zu entwickeln.
Die Idee eines österreichisch-lettischen Kulturaustausches war bald geboren. Unter dem Thema „Lebensräume“ sollten österreichische Fotografen in Lettland und lettischen Fotografen in Österreich Erfahrungen und Eindrücke sammeln und dokumentieren.

Der erste Teil fand 1996 statt. Die gesamte Fotogruppe OSTWIND fuhr nach Riga, stellte im Fotomuseum von Lettland aus und hatte dann ca. zwei Wochen lang Zeit, mit lettischen Fotografen in Kontakt zu kommen. Wir sahen alle Bereiche der lettischen Fotografie, lernten Land und Leute kennen, fotografierten gemeinsam und genossen die lettische Gastfreundschaft.

Der zweite Teil findet nun 1997 statt. Lettische Fotografen zeigen ihre Werke in der FOTOGALERIE WIEN und in der Galerie station3. Gleichzeitig zeigt die Gruppe OSTWIND Fotografien ihrer Eindrücke, die sie 1996 gewonnen hat, im Projektraum im WUK.
Die lettischen Künstler werden eine Woche in Österreich verbringen, österreichische Fotoinstitutionen kennenlernen, Lebensräume erforschen und Kontakte knüpfen.
Eine gemeinsame Ausstellung ist 1998 in Riga geplant. (H. H. Capor / OSTWIND – Verein zur Förderung künstlerischer, photographischer Projekte)