Eröffnung: Montag, 1. September, 19.00 Uhr
Einleitende Worte: Lucas Gehrmann
Finissage: Dienstag, 27. Jänner 2004, 19.00 Uhr: Katalogpräsentation, 20.00 Uhr: Filmvorführung: Studio, Sigrid Kurz und Karl-Heinz Klopf, 2000; By Way of Display, Karl-Heinz Klopf, 2003)
Der dritte und letzte Teil des Schwerpunktes ist dem Thema Gesellschaft gewidmet. In dieser Ausstellung werden gesellschaftlich relevante Themen und Problemfelder kommentiert, wobei sich ein Bogen von reportageähnlichen Werken bis hin zu fiktiven Collagen spannt.
Um das Portrait einer dem Künstler unbekannten Frau geht es in der Arbeit The Long and Extraordinary Life of Madame Pune“(2002) von Marco Dellacand alias Gordon MacDonald. Oder richtiger: um den Versuch einer Dokumentation ihres Lebens auf der Basis von gefundenem Foto- und Tagebuchmaterial sowie den Erzählungen einer anderen Frau, die Madame Pune als ihre Vormieterin gekannt hatte. Mit diesem Rechercheprojekt geht der britische Künstler und Universitätslehrende für Fotografie der Frage nach, inwieweit Bilder und Geschichten ein Leben zu repräsentieren vermögen bzw. ob letztlich nicht alle Rekonstruktionen doch eher Konstruktionen ihrer Verfasser sind. Und: wird nicht jedes Leben zu einem besonderen („extraordinary“) Leben, wenn nur die überlieferten herausragenden Momente dieses Lebens als Dokumente übrig bleiben?
Alexandra von Hellberg sammelt keine biografischen Dokumente, sondern „die Widersprüche und die Erinnerungen unserer fröhlichen, oft aber auch gequälten Gesellschaft“ (Lucio Pozzi): Souvenirkitsch und religiöse Devotionalien, röhrende Hirsche und betende Hände, süßliche Madonnen und leuchtende Gondeln.
Ihre aufmerksam ausgewählten Objekte setzt sie sodann zu bunt und schrill glitzernden Kollagen zusammen, die sich zur Wunderkammer einer skurrilen „heilen“ Welt verbinden, die sie nicht ohne Ironie mit Campy World betitelt. „Ihre Welt offenbart sich als Märchen-, als Wunschwelt: Hier gibt es keine Grenzen von Raum und Zeit, keine Gegensätze. Alles begegnet sich in schwereloser Harmonie“, schreibt Birgit Göbel, doch zugleich kippt auch „die Sentimentalität des einzelnen Objektes nicht selten ins Bedrohliche und entpuppt sich als hilflose Projektion einer unerfüllten Sehnsucht nach Glück.“ (Marion Piffer-Damiani)
Ganz ohne Abbildungen von Menschen kommt Sabine Jelinek in ihrer als dialogische Text-Bild-Installation konzipierten Videoarbeit Break Dance (2000) aus. Eine „subjektive Kamera“ zeigt von einem sich drehenden Karussell aus in permanenter Wiederholung Bilder dieses Vergnügungsgeräts und seiner Umgebung im Wiener Prater. Dazu singt ein weiblicher Popstar aus Ex-Jugolslawien ein orientalisch anmutendes Lied über unerfüllte Sehnsüchte, dessen Text in deutscher Übersetzung eingeblendet wird.
Inhaltlich thematisiert Sabine Jelinek, deren künstlerische Arbeit sehr häufig sozialkritisch motiviert ist, die Situation jugendlicher ImmigrantInnen aus Ex-Jugoslawien oder der Türkei in Österreich an einem gezielt gewählten Standort: Der Wiener Prater, von seiner Gründungsidee her dem „gemeinen“ Volk in Österreich gewidmet, ist für viele von ihnen – oft aus „zweiter Generation“ – ein beliebter Treffpunkt.
Künstlerisch erzeugt sie hier – wie oft auch in ihren fotografischen Arbeiten – Hyperrealitäten, die den Realitäten des Traums, des Unbewussten und der Erinnerung näher sind als der „objektiven“ Wirklichkeit. In Break Dance dreht sich alles fast unterbrechungslos im Kreis – die persönlichen Sehnsüchte der unsichtbaren Protagonistin ebenso wie ihre Wünsche und Träume nach einem besseren Leben in Österreich.
Die Hauptdarstellerinnen in Balance (2000) von Ruth Kaaserer sind drei jugendliche Freundinnen, die sich selbst definieren als Optimistin, Pessimistin und eine, die alles nimmt, wie es kommt. Sie leben in Wien, ohne hier geboren worden zu sein. Sie reden über das Leben in dieser Stadt und ihre BewohnerInnen, über deren Umgang mit anderen Menschen und mit der Natur, über Männer und worüber diese nicht reden, über Schönheitsideale und die Unaufrichtigkeit des einzelnen, über die Bedeutung von Freundschaften, Musik, über ihre Wünsche und Zukunftspläne.
Aus drei durchaus unterschiedlichen Perspektiven entwickelt sich ein gemeinsames Reflektieren über unsere Zeit und das eigene Ich. Zwischen die Gespräche sind musikvideoartige Clips eingebaut, die in derselben Umgebung aufgenommen wurden, in der die drei Freundinnen auftreten – im Wohn- und Freizeitambiente am Stadtrand. Dokumentation und Inszenierung bilden in diesem Video ebenso eine „Balance“ wie die drei Positionen zusammen – und das kritische Potenzial von so mancher getätigten Aussage setzt der lockeren Freizeitstimmung gleichermaßen ihr Gegengewicht.
Wie unterscheiden sich die Lebensbedingungen von StadtbewohnerInnen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen von denen der majoritären Gesellschaft? Wie sehen diese Differenzen aus? Inwieweit werden MigrantInnen durch „multikulturelle“ Vorstellungen der jeweiligen Mehrheitsgesellschaft stigmatisiert? Diesen konkreten Fragen geht Martin Krenn in seinem Projekt City Views nach.
Als work in progress entstehen in Zusammenarbeit mit MigrantInnen in mehreren europäischen Städten eine mit Text kommentierte Fotoserie und ein Video. Während der Aufenthalte in den Städten führen die am Projekt Beteiligten durch ihre Stadt und schlagen jeweilige Orte als Motive vor. Besonderes Interesse wird auf urbane Orte gelegt, die sich in Zwischenbereichen ansiedeln, kaum wahrgenommen werden oder durch die Machtverhältnisse innerhalb der Gesellschaft eine andere Codierung erfahren – wie z.B. das Wiener Rathaus als bürokratisch mühsame „Einbürgerungsmaschine“ für MigrantInnen einerseits und als Kulisse für multikulturelle Freizeitveranstaltungen andererseits. Die Art, wie die fotografische Aufnahme erfolgen soll, wird ebenso wie die definitive Auswahl der Fotos gemeinsam festgelegt. Diese wird durch Textkommentare von den am Projekt Beteiligten ergänzt.
Martin Krenn, der sich bereits seit 1995 schwerpunktsmäßig dem Thema Migration widmet, schafft hier eine multiperspektivisch-demokratische Form der Dokumentation, die der gewohnten einäugigen Sicht der fotografischen Aufnahme modellhaft
gegenüber steht.
Ausgangspunkt der Fotosequenz zu SCREEN TEST : IN SPACE (2003) von Karl-Heinz Klopf und Sigrid Kurz ist ihr interaktives Internetprojekt SCREEN TEST : IN SPACE, das für die 5. Medien und Architektur Biennale Graz 2001 konzipiert wurde. „Screen Test“ ist ein im Filmkontext verwendeter Begriff für Probeaufnahme. Das Projekt basiert auf Textfragmenten aus Filmen, die zu neuen Konstellationen zusammengefasst sind und thematisch unterschiedliche Mikroszenen bilden. In Form von Textbildern wird urbane Sphäre anhand von unterschiedlichen Themen wie territorialer Anspruch, private Interaktionsräume, Imagination und Reflexion zu Stadt und Raum symbolhaft behandelt.
SCREEN TEST : IN SPACE ist in vier Szenen gegliedert: area (politischer Raum) – less or more (theoretischer Raum) – apartment (privater Raum) – corner (öffentlicher Raum). Die einzelnen Textbilder verhalten sich wie Keyframes eines längeren Handlungsablaufes. Die User können durch Mausklick und Tastatureingabe von Keyframe zu Keyframe in die verschiedenen, verlinkten Szenen eintauchen und Entscheidungen über deren Fortgang und Wendung treffen. Die Auslassungen zwischen den Keyframes bieten Raum für die gedanklichen Projektionen der User. SCREEN TEST : IN SPACE ist ein spielerisch, interaktives Netz-Stück … to play with what we inhabit and what inhabits us.“ (Sigrid Kurz / Karl-Heinz Klopf)
Der schwedische Fotograf Jens Olof Lasthein bereiste zwischen 1994 und 1999 mehrmals Länder des ehemaligen Jugoslawiens, wo er sich das tägliche Leben in und am Rande von Kriegsschauplätzen zum Thema seines Fotozyklus Moments in Between machte. Seine meist panorama-formatigen Farbfotografien konzentrieren sich auf gewöhnliche Situationen und nicht auf Kämpfe oder Greueltaten konventioneller Kriegsfotografie. Gezeigt werden außer den sichtbaren Zerstörungen vor allem auch die subtilen Nachfolgen eines Krieges, die Not, die Menschen auch abseits von Kriegslinien erleiden müssen, ihre Machtlosigkeit, manchmal auch ihre Hoffnung. „Er erzählt eine Geschichte, die jedem passieren könnte, egal wann oder wo; eine Geschichte über chaotische Existenzen, Kraftlosigkeit, unbegrenztes Warten und Ruhelosigkeit. Es ist auch eine Geschichte über die Entschlossenheit und die Energie, die man braucht, um zu überleben.“ (Barbara Psenner). Lastheins Blick ist dementsprechend unaufdringlich, er weckt nicht die voyeuristische Lust der Betrachter, sondern führt zu Einsichten und Nachdenklichkeit.
„Es liegt eigentlich auf der Hand, dass sich der Künstler und Fotograf selbst ablichtet (früher oder später), um einen momentanen Zustand (eine Befindlichkeit) festzuhalten – und ein Dokument seiner Existenz zu schaffen“, schreibt der Fotokünstler Paul Albert Leitner. Seine fotografische Endlosserie Kunst und Leben. Ein Roman versammelt zahlreiche Selbstdarstellungen – und ist zugleich auch ein enzyklopädischer Versuch, die reale Welt, die er sich reisend betrachtet, zu ordnen. Nach langen fotografischen Rundgängen durch Städte zwischen St. Petersburg und Daressalam erschöpft im Hotelzimmer gelandet, inspiriert ihn dieser Ort nicht selten zu „meist schrägen“ Selbstinszenierungen. Häufig stehen diese dort per Selbstauslöser entstandenen Portraits in Verbindung mit anderen Selbstdarstellern aus der (Kunst-)Geschichte – von Max Beckmann bis zu Che Guevara. Letzterer lieferte die Idee für die Fotoarbeit Selbst im Hotel, die Paul Albert Leitner in seinem Hotelzimmer in Karlsbad zeigt. Er schreibt dazu in Erinnerung eines Zitats: „Oftmals fotografierte sich Che Guevara mit Selbstauslöser. Sein Körper eingefroren in der Zeit: das Portait des Künstlers als verlorene Figur (…). Diese Gemeinsamkeit hat mir gut gefallen.“ Paul Albert Leitners Fotoarbeiten beruhen auf stets sorgfältig ausgewählten Sujets, die er nur unter bestimmten Lichtbedingungen und mit kompositorischem Gefühl aufnimmt. Seine Welt ist nie flüchtig, so wie er sie für sich selbst am liebsten zu Fuß aneignet.
Didi Sattmanns Fotoserie Coole Kids (1995–97) ist ebenfalls in Wien entstanden, weniger aber im persönlichen Lebens- und Wohnkontext der Jugendlichen, sondern in der „Szene“: auf Free-Partys, bei Open Air-Konzerten oder in Hip-Hop- und Techno-Tempeln wie Gasometer, Arena und Flex. Seine Bilder zeigen eine bunte, bewegte und lebensfrohe Alternativkultur, denen zugleich aber auch – wie so oft bei „dokumentarischen“ Fotos – eine verborgene Ambivalenz zu Grunde liegt. „Graffitis“, sagt Didi Sattmann, „könnten genauso wie extreme Piercings oder eine rosarote Irokesenfrisur in erster Linie Aufschreie sein, die sagen sollen: Seht mich doch endlich an, ich bin auch hier!“ Es geht also nicht allein um die Darstellung äußerer Erscheinungsformen einer internationalisierten – weil überall von gleichen Musikrichtungen und Outfits getragenen – Jugendkultur, sondern auch um die Infragestellung der gezeigten Inhalte und Umstände.
Die Fotoserie Coole Kids bedurfte keiner eigenen Inszenierung des Fotografen, es bedurfte aber seines eigenen Eintauchens in diese spezifische Welt, um außer reiner Oberfläche und der Vermittlung „globalisierter“ Konformitäten auch Momente des persönlichen Lebensgefühls ihrer einzelnen „BewohnerInnen“ erfassen zu können. Und: „Fotografieren bedeutet nicht allein eine Entscheidung über das Abbilden, sondern immer auch über das Weglassen von Wirklichkeit. Fotografieren heißt manchmal auch, die Kluft zu überwinden, die sich scheinbar auftut zwischen Schönheit und Wahrheit.“ (D. S.)
(textliche Betreuung: Lucas Gehrmann)