Eröffnung: Montag, 12. März um 19.00 Uhr
Einführende Worte: Katharina Manojlović
sponsored by: BKA Kunst; MA7-Kultur; Cyberlab. Dank an: Anja Manfredi, Mihai Şovăială, Miha Colner, Lisl Ponger und Gabriele Rothemann
Den revolutionärsten Moment in der Entwicklung der Malerei nannte der Dadaist und Dichter Tristan Tzara die Erfindung der Collage und meinte damit den fundamentalen Bruch mit etablierten Formen künstlerischer Repräsentation. In den die Collage bestimmenden technischen Verfahren, im Kleben (frz. coller), Kratzen, Schneiden, Reißen, Falten, Montieren, Assemblieren, Dekomponieren usw. steckt ein radikales Potential. Speisten sich die Papiers collés der Kubisten aus Gebrauchtem, Verworfenem und dem vermeintlich Banalen, umschwärmen uns heute die vielfach reproduzierten, reformatierten und re-editierten Kopien eines beständig anwachsenden digitalen Debris. Der aktuelle Schwerpunkt der Fotogalerie Wien präsentiert in vier Ausstellungen ein breites Spektrum an Methoden und Verfahrensweisen der Collage in der zeitgenössischen Foto- und Videokunst. Sichtbar werden dabei die erzählerischen und autopoetischen Stärken dieser Kunstform ebenso wie ihre Innovationskraft als grundlegender, gerade im Einsatz neuer Technologien oder in räumlich skulpturalen Erweiterungen zutage tretender Wesenszug. Stets lenken die Bilderdrifts auch anarchische, von Zufall und Spiel getriebene Energien.
Im Fokus der dritten Schau des Schwerpunkts 2017/18 stehen Arbeiten, die ein jeweils spezifisches Thema oder Motiv aufgreifen und ins Zentrum ihrer Reflexion stellen. Deutlich wird dabei das Vermögen der Collage, Alltägliches so zu verfremden und Wirklichkeiten so zu verdichten, dass sichtbar wird, was jenseits von Abbild und Repräsentation liegt und außerhalb gewohnter Sehweisen. Räume entstehen, die eigenen Gesetzen gehorchen; visuelle Konstellationen, die abstrakt bleiben und zugleich dokumentarischen Charakter entfalten, weil sie explizit auf das Reale verweisen, Vorhandenes aufgreifen, Zeugnis ablegen. Ihr kritisches Potential ergibt sich nicht zuletzt daraus, dass sie aus dem Wirklichen schöpfen, um es zu zerlegen, zu überzeichnen und zu verrücken. So lassen sie die Dinge erscheinen, wie sie nie waren – und zeigen dennoch, wie sie sind. Die künstlerische Dekonstruktion, die verfremdende Aneignung von vorgefundenem Bildmaterial und seinen Mechanismen, legt offen, wie Bilder funktionieren und welche Ideologien sie transportieren.
Das von Adam Broomberg & Oliver Chanarin konzipierte und vom Londoner MACK-Verlag gemeinsam mit dem dort ansässigen „Archive of Modern Conflict“ herausgegebene Künstlerbuch Holy Bible (2013) präsentiert sich, in schwarzes Leder gebunden und mit in Gold geprägtem Titel, auf den ersten Blick als antiquarische Bibelausgabe. Tatsächlich handelt es sich um eine exakte Reproduktion der King James-Bibel (1604–1611), jedoch ergänzt um Fotografien des Archivs zu Krieg und Gewalt, die den Text überlagern und vage Bezug auf darin rot markierte Textpassagen nehmen. Der Hypothese des israelischen Philosophen Adi Ophir folgend, wonach Gott sich vorwiegend durch Katastrophen offenbaren würde, untersucht das Künstlerduo, wie Gewalt visuell Evidenz erlangt. Holy Bible kann als Fortführung ihres Künstlerbuches War Primer II (2011) gelesen werden: Dieses wurde von Bertolt Brechts Kriegsfibel (1955) inspiriert, in der der Autor Fotos aus Zeitungsausschnitten zum Zweiten Weltkrieg mit eigenen Gedichten kombinierte.
In Tanja Demans Videoinstallation Abode of Vacancy (2011) werden modernistische Architekturen als Idee und Utopie ins Bild gesetzt – eine „nicht-narrative Fiktion“ (Deman), die die Künstlerin aus einer Serie von Tableaus konstruiert hat. Ihr Interesse gilt dem Raumerleben und der kollektiven Erinnerung und Wahrnehmung (ererbter) architektonischer Strukturen. Subtile Bewegungen unterlaufen den sich anfänglich einstellenden Eindruck, es handle sich um Standbilder; sie sind Teil der Inszenierung und Illusion eines autonomen Gebäudes. Demans Komposition von Einstellungen lässt uns in leerstehende Gebäude und Wüstenlandschaften eintauchen. Tatsächlich handelt es sich um Ausschnitte aus Küstenlandschaften Kroatiens und der Niederlande. Die Leere als Bleibe oder Behausung – so lässt sich der Titel des Videos verstehen. Umso deutlicher erscheinen die Bewegungen der Natur: von Bäumen im Wind, von Schatten …
Historisches Bildmaterial und die Rolle der Fotografie als Disziplinierungswerkzeug untersucht Bernhard Hosa in seiner Serie Auf der Suche nach dem richtigen Bild (2012). Für die vom französischen Kriminalisten und Anthropologen Alphonse Bertillon (1853–1914) entwickelte Methode zur Personenidentifizierung anhand von Körpermaßen, die sogenannte Bertillonage, wurde das damals neue Medium mit Gewinn eingesetzt. Zur Annahme, Charakter und Identität eines Menschen ließen sich durch die Vermessung äußerer Merkmale bestimmen, war es nicht mehr weit. Hosa dekonstruiert die reproduzierten Portraits – historische Fahndungsfotos (Mugshots) – durch Faltungen, um sie neu zusammenzusetzen. Klammern halten die Bildränder zusammen und erinnern dabei an die zusammengeflickten Körperteile operierter oder obduzierter Menschen; monströs erscheinen die fragmentarischen, zerstückelten Gesichter. Was im Ausgangsbild der Typisierung dient, um das „Subjekt“ zu definieren (und letztlich zu stigmatisieren), verschwindet.
In Petra Jansovás Serie Andere Dimensionen der Schönheit (2015) stehen die in der (historischen) Werbung der Kosmetikindustrie propagierten Schönheitsideale und -maßnahmen im Zentrum. Einige der gezeigten Arbeiten gleichen Stillleben, Arrangements, die von der Vergänglichkeit (always, so der Titel einer Arbeit) erzählen und historische Vanitas-Motive zitieren. Die im Bild konservierte Feuchte erinnert an das Versprechen von Körpercremes und erzählt von der Angst vor Verfall und Austrocknung. Vieles wirkt maskenhaft, das Gesicht steht als Palimpsest im Zentrum: es wird gewaschen, geschabt, gesalbt und gerieben. Die Sichtbarmachung anderer Bildebenen, etwa der Rasterung der reproduzierten Werbesujets, und die gewählten Bildausschnitte lassen das Dargestellte ins Surreale kippen: Rituale und Gesten werden unheimlich. In der Betrachtung jener von Petra Jansová vorgenommenen Zurichtungen am (fotografischen) Objekt aktualisiert sich auch unsere Wahrnehmung.
Iosif Királys Arbeiten untersuchen die Beziehung zwischen Raum, Zeit, Wahrnehmung und Erinnerung, so auch das im Jahr 2000 begonnene Projekt Reconstructions, und „[…] machen auf die Verbindungen und Synchronisierungen aufmerksam, die manchmal unter Menschen, Dingen und Ereignissen auftreten können“ (Kiraly). Den Mitteln, die hier zum Einsatz kommen, haftet etwas Provisorisches an. Es gibt Verbindungslinien, die nachzuzeichnen nicht unbedingt zu eindeutigen Ergebnissen führt, jedoch Fragen aufwerfen, Imaginationsräume eröffnen und zeigen, dass die Dinge sich, wenn wir sie erinnern, nicht so einfach abstecken lassen, wie Fotografien es suggerieren. Wie etwa gehen das Persönliche und das kollektiv Erinnerte zusammen? War hier einmal etwas anders – und für wen? Auch der panoramatische Blick bietet nur Ausschnitte einer bestimmten Perspektive und erweist sich schließlich als Illusion.
Stephanie Kiwitt interessiert die alltägliche urbane Lebenswelt, ihre Beschaffenheit und Strukturen, insbesondere aber auch die Architektur von Orten heutiger Konsumkultur mit ihrem Warenfetischismus. Die Raum- und Formensprache von Discountern untersucht sie in dem Buchprojekt Capital Decor (2011), einem 12,73 m langen Leporello, für das die Innenansichten von Supermärkten nahtlos aneinandergefügt wurden – für die Künstlerin ein „fotografischer Bildraum, der bei höchstmöglicher Abbildhaftigkeit eine zugleich künstliche Anordnung hervorbringt“. Ende und Anfang verschwimmen, Architekturen, Werbesprache und Verpackungsdesign verwandeln sich in eine Art Endlosschleife, in einen stark verdichteten Raum. Die Aufbereitung des Bildmaterials, seine Angleichung durch das Schwarz-Weiß und die Rasterung verleihen ihm einen gleichförmigen Rhythmus und eine Monotonie, die in der Soundarbeit zum Buchobjekt nochmals akzentuiert wird: Dafür hat Kiwitt die in den Fotografien fragmentarisch dokumentierte Schrift – Slogans, Produktnamen etc. – notiert und durch einen Sprecher verlesen lassen.
Ausgangspunkt von Tim Sharps Fotoinstallation Capital Offence (2014/2018) sind die prekären Bedingungen traditioneller Landwirtschaft im Kontext neoliberaler Verwerfungen und der Bedrohung durch das Freihandelsabkommen NAFTA und globalen Landraub. Die in der Arbeit abgebildeten Umzäunungen aus Dosenblech werden von Bauern in ländlichen Gebieten Südmexikos aufgestellt, um kleine kommunale Parzellen abzugrenzen: Großindustrie und Kleinbauerntum prallen hier aufeinander. Sharp versteht Capital Offence nicht als „Statement, sondern als visuelle Umsetzung eines diskursiven Netzes mit mannigfaltigen Knotenpunkten und Verbindungsfäden“. Auf dem vom Künstler – als Hintergrund für die gerahmten Fotografien der Umzäunungen – entworfenen Wallpaper setzen sich bestimmte Motive der Nahrungsmittelindustrie fort. Die darauf abgedruckten Ikonen der Konsumkultur und industriellen Massenproduktion sowie des politischen Widerstands gehen neuerlich in Architektur über. Der Rückverweis auf Demokratisierungsprozesse im Wohnraumdekor, der Mittel- und Arbeiterschichten einst die Tapete brachte, kehrt die Ambivalenzen eines globalisierten Wirtschaftsraums hervor.
(textliche Betreuung: Katharina Manojlović)