Eröffnung: Montag, 4. Dezember, 19.00 Uhr
Einführende Worte: Katharina Manojlović
sponsored by: BKA Kunst; MA7-Kultur; Cyberlab
Den revolutionärsten Moment in der Entwicklung der Malerei nannte der Dadaist und Dichter Tristan Tzara die Erfindung der Collage und meinte damit den fundamentalen Bruch mit etablierten Formen künstlerischer Repräsentation. In den die Collage bestimmenden technischen Verfahren, im Kleben (frz.: coller), Kratzen, Schneiden, Reißen, Falten, Montieren, Assemblieren, Dekomponieren usw. steckt ein radikales Potential. Speisten sich die „Papiers collés“ der Kubisten aus Gebrauchtem, Verworfenem und dem vermeintlich Banalen, umschwärmen uns heute die vielfach reproduzierten, reformatierten und re-editierten Kopien eines beständig anwachsenden digitalen Debris.
Der aktuelle Schwerpunkt der FOTOGALERIE WIEN präsentiert in vier Ausstellungen ein breites Spektrum an Methoden und Verfahrensweisen der Collage in der zeitgenössischen Foto- und Videokunst. Sichtbar werden dabei die erzählerischen und autopoetischen Stärken dieser Kunstform ebenso wie ihre Innovationskraft als grundlegender, gerade im Einsatz neuer Technologien oder in räumlich-skulpturalen Erweiterungen zutage tretender Wesenszug. Stets lenken die Bilderdrifts auch anarchische, von Zufall und Spiel getriebene Energien.
Intim und fremdartig zugleich muten die von Alexandra Baumgartner und Anita Witek eingerichteten Räume an. Sie lösen Erinnerungen aus, aber keine Versprechen ein. Fotografien finden zusammen, indem sie einander zum Verschwinden bringen: Vorstellungen erlangen durch Abwesenheit Präsenz. Welcome Home, der Titel der Schau, lässt sich als Aufforderung an die BesucherInnen lesen, als übergroßer Fingerzeig am Eingang eines Gebäudes, dessen Innenleben kafkaesken Regeln zu gehorchen scheint. Wo befinden wir uns hier? Was suchen wir? Eine Collage Alexandra Baumgartners, Introspection, besteht aus Rahmen alter Spiegel, deren Flächen gegen schwarzes Glas getauscht wurden. Erzählen sie Die Geschichte vom verlornen Spiegelbilde? Oder bergen, wie für Alice, eine andere Welt? Einen Verlust an Transparenz allemal, der programmatisch für die Arbeiten beider Künstlerinnen steht: Sie machen sich die Indexikalität der Fotografie und ihren Abbildcharakter zunutze, um Wirklichkeiten zu erzeugen, die jenseits fotografischer Repräsentation liegen.
Alexandra Baumgartners Werke schöpfen aus gefundenen Fotografien. Oftmals sind es historische Portraits, an denen sie Eingriffe vornimmt: Autopsien, die das Material untersuchen, indem geschnitten und vernäht wird, übermalt und überklebt, durch Wegbrennen etwas entfernt oder Bildteile ineinander montiert werden. Ihre Bildkonstellationen analysieren nicht nur das fotografische Medium, sondern eröffnen, indem Fotografien und Objekte ihrer ursprünglichen Funktion enthoben werden, Zwischenräume, in denen manches verschoben wird und unheimlich wirkt. In einigen Bildern klaffen Löcher, die den Blick freigeben auf das, was dahinter liegt, oder die Angeschauten unseren suchenden Blicken entziehen.
Solche Auslassungszeichen finden sich auch im Werk Anita Witeks wieder. In der eigens für Welcome Home angefertigten Installationen der Künstlerin, die an Paravents erinnern, durchbrechen kreisförmige Ausschnitte das Trägermaterial: Ausstellungsraum und Bildebene fallen ineinander. Wie Baumgartner verwendet auch Witek Vorgefundenes. Ihre Collagen speisen sich aus einer umfangreichen Sammlung massenmedialer Reproduktionen, Zeitschriften und Postern etwa – Ephemera, bedenkt man ihre hergebrachte Funktion –, aus denen die zentrale visuelle Information entfernt worden ist. Übrig bleiben die mit dem Messer abgetrennten Hintergründe, Bildränder und Umrisse: Passformen für unser Begehren. Die berückende Schönheit von Witeks Collagen, das, was uns lockt, entsteht im Zusammenspiel von Ähnlichkeit und Differenz. Abstrakte Formationen, die auf sich selbst verweisen, paradox bleiben und dabei doch vertraut erscheinen. Wie das, woraus sie gemacht sind.
(textliche Betreuung: Katharina Manojlović)