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COLLAGE I

METHODE

5. September 2017 – 14. Oktober 2017

Astrid Busch (DE), Vincent Delbrouck (BE), Caroline Heider (DE), Herbert Hofer (AT), Paul Albert Leitner (AT), Lilly Lulay (DE), Nicolás Rupcich (CL), Anna Vogel (DE), Christina Werner (AT), Sinta Werner (DE)

BILDER | Kataloge | Schwerpunkt: COLLAGE 2017 / 2018

Eröffnung: Montag, 4. September, 19.00 Uhr
Einführende Worte: Katharina Manojlović

sponsored by: BKA Kunst; MA7-Kultur; Cyberlab
Kooperationspartner: Galerie Stieglitz 19, Antwerpen (NL)

Den revolutionärsten Moment in der Entwicklung der Malerei nannte der Dadaist und Dichter Tristan Tzara die Erfindung der Collage und meinte damit den fundamentalen Bruch mit etablierten Formen künstlerischer Repräsentation. In den die Collage bestimmenden technischen Verfahren, im Kleben (frz. coller), Kratzen, Schneiden, Reißen, Falten, Montieren, Assemblieren, Dekomponieren usw. steckt ein radikales Potential. Speisten sich die Papiers collés der Kubisten aus Gebrauchtem, Verworfenem und dem vermeintlich Banalen, umschwärmen uns heute die vielfach reproduzierten, reformatierten und re-editierten Kopien eines beständig anwachsenden digitalen Debris. Der aktuelle Schwerpunkt der FOTOGALERIE WIEN präsentiert in vier Ausstellungen ein breites Spektrum an Methoden und Verfahrensweisen der Collage in der zeitgenössischen Foto- und Videokunst. Sichtbar werden dabei die erzählerischen und autopoetischen Stärken dieser Kunstform ebenso wie ihre Innovationskraft als grundlegender, gerade im Einsatz neuer Technologien oder in räumlich-skulpturalen Erweiterungen zutage tretender Wesenszug. Stets lenken die Bilderdrifts auch anarchische, von Zufall und Spiel getriebene Energien.

Die erste Ausstellung ist der Collage als künstlerischer Methode gewidmet. Ihr konsequenter Einsatz prägt das Werk der teilnehmenden KünstlerInnen. Was bedeuten die Kollisionen und Überlagerungen von Bildfragmenten für unsere Wahrnehmung? Wie wirken sich Eingriffe in das Trägermaterial eines Bildes auf seine Inhalte aus? In den gezeigten Arbeiten werden medienspezifische Eigenschaften der Fotografie auf die Spitze getrieben, Ordnungsprinzipien und Handhabungsweisen von Bildern, Nutzeroberflächen und Archiven werden offengelegt. Dabei sind Operationen des Übersetzens und Abstrahierens zentral: Übermalungen und Ritzungen der fotografischen Oberfläche entziehen Bildern ihre Reproduzierbarkeit; eingebaute Bildstörungen unterlaufen Effekte, die das fotografische Medium selbst hervorbringt, etwa seine Indexikalität und Transparenz. Die Installation unterschiedlicher Werkstoffe und Medien zu multiperspektivischen Assemblagen erweitert nicht nur gängige Vorstellungen von der Materialität der Fotografie, sondern auch deren Präsentationsformen: Werk und Umgebung beginnen einander zu unterwandern, wir BetrachterInnen werden Teil des Geschehens.

In Astrid Buschs Ausstellungsbeitrag, einem Ausschnitt aus der Installation all colors agree in the dark, überlagern sich unterschiedliche Elemente und Lichtprojektionen zu einer multimedialen Inszenierung, die in einen Dialog mit dem Ausstellungsort tritt und die BesucherInnen in neue Räume eintauchen lässt. Im Zentrum steht das Licht unFd seine Bedeutung für unsere Wahrnehmung von Raum, Form und Farbe. Für ihre Collagen arrangiert Busch unterschiedliche Materialien, darunter Versatzstücke aus Kunst und Alltag, zu leuchtenden Assemblagen, die sie anschließend fotografisch ins Bild setzt. Ein Schreiben mit Licht, das immersive Qualitäten entfaltet und zugleich die In-Szene-Setzung von Kunst reflektiert.

Vincent Delbroucks wild-bunte, anarchisch anmutende Wandcollagen und Bücher schöpfen aus dem intensiven Erleben von Orten und Landschaften ebenso wie aus Lektüren. In ihnen verbinden sich Bild- und Textfragmente persönlicher Obsessionen mit gefundenen Objekten und Fiktionen zu gemäldeartigen Erzählungen, deren Bindemittel die Farbe ist. Um Chaos, Unordnung und Weltfülle einzufangen, arrangiert Delbrouck seine Bilder zu rhizomartigen Konstellationen, die nicht linear lesbar sind, sondern traumartig, intuitiv und zyklisch funktionieren. Das „Ergebnis einer einfachen Auseinandersetzung mit einem Zustand der Verrücktheit … der Wirklichkeit ohne die üblichen Codes, Hierarchien, Raster …“ (Delbrouck).

In der Serie Wiener Werkstätte verarbeitet Caroline Heider Modeaufnahmen der 1920er-Jahre von Madame d’Ora (Dora Kallmus) und Arthur Benda. Durch Faltungen, Schnitte und andere, die Bildinformation verdeckende Eingriffe treten Bildoberfläche und -träger in ein Spannungsverhältnis. In den Fokus gelangt das vormals Nicht-Sichtbare, Ausgeblendete, wie etwa Ausschnittsmarkierungen auf dem Negativ. Während der Modellkörper verschwindet, wird jener des Bildes sichtbar: Irritationen, die ritualisierte Blickregime stören und den Akt der Bildbetrachtung bewusst erfahrbar machen. In Heiders performativen Faltungen überformen – wie in den ursprünglichen Motiven, den Reformkleidern der Wiener Werkstätte – innovative Schnitte überkommene Repräsentationen und dekorative Muster.

Die Arbeiten Herbert Hofers untersuchen unter Berücksichtigung spezifischer Eigenschaften des fotografischen Mediums und Materials die Bedingungen und Möglichkeiten von Wahrnehmung, Erinnerung und Erkenntnis. In einem ausschließlich analogen Verfahren wird der Abbildung eines Gegenstandes seine invertierte und zugleich gestürzte oder gespiegelte Doppelung hinzugefügt, indem die zumeist identen Aufnahmen eines Farbnegativfilms einerseits und eines Diapositivfilms andererseits aufeinandergeklebt werden; dieses „Sandwich“ wird dann im Labor vergrößert. Die so entstandenen Bilder mögen realen Vorbildern ähneln, durch die Überlagerung einander zuwiderlaufender Perspektiven verweigern sie sich aber eindeutigen Lesarten und entziehen sich zudem der Erinnerbarkeit.

Als „Anhänger der Alles-hat-mit-Allem-zu-tun-Theorie“, der „Ausschweifung und Papier“ liebt, bezeichnet sich Paul Albert Leitner. Kein Motiv, das es nicht gibt im über gut dreißig Jahre angewachsenen Oeuvre des Flaneurs und Sammlers von Fotofundstücken, welches bei aller Universalität eine unverwechselbar subjektive Bildsprache auszeichnet. Betitelt, datiert und mit Film- und Bildnummern versehen, erinnern Leitners Collagen-Stillleben an Karteikarten. Sie präsentieren die auf Karton geklebten Fotografien als Teil eines universellen Bezugssystems, das einen stetig anwachsenden Fundus neuer Bezüge und Möglichkeiten birgt: eine Art archivarischer Weltaneignung, die das interpretierende Auswählen und Ordnen der Bilderfülle ebenso ausmacht wie der Akt des Fotografierens selbst.

Lilly Lulays Interesse gilt der Fotografie als Kulturtechnik und Alltagsware, insbesondere ihrer Rolle in der Produktion und Dokumentation von Erinnerung und sozialen Praktiken. Ihre Arbeit speist sich deshalb zumeist aus privaten Quellen und Archiven. Ausgangsmaterial der Arbeit _Liquid Portrait fbarchive19012016_, die aus einer Skulptur und einer bewegten Assemblage besteht, ist der visuelle Inhalt eines Facebook-Accounts. Die Prints der ursprünglich digitalen Dateien hat Lulay einer manuellen Postproduktion unterzogen, indem sie sie mithilfe eines Skalpells zerlegt hat. Im Video sehen wir zu, wie das, womit die Ökonomie der Aufmerksamkeit sozialer Netzwerke beständig gefüttert werden will, Schicht für Schicht wieder abgetragen wird. Das Material bilden die Silhouetten und Bildhintergründe der ausgeschnittenen Objekte und Personen. Dabei entstehen malerisch-skulpturale Gebilde, die, kaum gesehen, auch schon wieder aus dem Blick geraten.

Im Fokus der Arbeit des chilenischen Künstlers Nicolás Rupcich stehen die Produktionsmittel und materiellen Bedingungen der digitalen Medien unserer Zeit und die Frage, wie sie Gesellschaft und Wahrnehmung prägen. In der Videoarbeit EDF erblicken wir Landschaften aus dem Torres del Paine National Park in Patagonien, Chile. Während wir sie betrachten, sehen wir zugleich ihrer Auslöschung zu. Objekte, die wie fremdartige Monolithe wirken, schieben sich bedrohlich ins Bild und verstellen unseren Blick. Eine „fade to black“ Transformation, die sich dadurch auszeichnet, dass die Zeichen der Tilgung sich ins Bild einschreiben, indem sie Räumlichkeit simulieren: Der Löschvorgang wird Teil der bildlichen Realität.

Wann ist eine Fotografie noch eine Fotografie? Für ihre Serie Ignifer hat Anna Vogel die in Nachrichtenbildern zu sehenden Löschflugzeuge mithilfe digitaler Bildbearbeitungstechniken entfernt. Übrig bleiben Wolkenformationen, die rätselhaft im Bild schweben und dabei surreal wirken. Anfangs vornehmlich aus dem eigenen Archiv schöpfend, verwendet die Künstlerin zunehmend Fundstücke aus dem Internet – oft Klischees: vielmals gesehene Ansichten, die auf adoptierten Denkmustern und Sehweisen basieren. Eine Art sehnsüchtige „Platzhalter“, deren Leerstellen Vogel durch Eingriffe ins Material, Übermalungen oder Ritzungen etwa, auffüllt und Fotos so in Unikate umarbeitet, die sich der Reproduzierbarkeit entziehen.

Sinta Werners Arbeiten setzen häufig bei Transformationsprozessen an, etwa von dreidimensionalen in zweidimensionale Strukturen und umgekehrt. Die Künstlerin untersucht, wie Räumlichkeit im Bild entsteht, dabei werden die Realitätseffekte des fotografischen Mediums hintertrieben. In Dekodierung der reflektierten Oberflächlichkeit wird ein digitales Bildbearbeitungstool, das Polygon-Lasso aus Photoshop, zur LED-Skulptur. Als deren Grundlage dient eine Fotoarbeit, die den geometrischen Rhythmus einer Fassade durch Faltungen wiederholt. Erneut fotografiert, gedruckt und nochmals in Falten gelegt, überziehen irritierende Schatten den Bildinhalt. Die Serie Von Strömungen und Störungen legt anhand von Ansichten ikonischer Bauten kulturelle Sehweisen offen, indem Strukturen dem Bildträger eingeschrieben werden und Bildstörungen die Repräsentationsfunktion von Fotografien durchkreuzen.

(textliche Betreuung: Katharina Manojlović)