Eröffnung: Montag, 15. Dezember 2014 um 19.00 Uhr
Einleitende Worte: Elke Krasny
Finissage und Katalogpräsentation: Mittwoch, 28. Jänner, 19.00 Uhr
sponsored by: BKA Kunst, MA7-Kultur, Cyberlab, Bezirkskultur Alsergrund
Das zeitgenössische „Ich“ ist ein bedrängtes. Es muss sein „Ich“-Kapital behaupten zwischen den technologisch expansiven sozialen Netzwerken und der neoliberal geforderten leistungsnachweisenden Selbstveröffentlichung. Das „Ich“ muss ebenso effektiv wie affektiv agieren. Gleichzeitig erfolgt ein Dauerzugriff auf die zunehmend entprivatisierten Daten.
Die FOTOGALERIE WIEN zeigt in ihrem diesjährigen Schwerpunkt Biografie künstlerische Arbeiten, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven mit dem komplexen Thema der Lebenserfahrung auseinandersetzen. Das kuratorische Team hat in intensiver dialogischer Auseinandersetzung mit den teilnehmenden KünstlerInnen, die in den Medien Fotografie, Video und Film arbeiten, diese dreiteilige Ausstellungsserie mit den Titeln: Ich, Wir und Du entwickelt.
Die dritte Ausstellung Biografie – Du stellt künstlerische Arbeiten vor, die projektiv, lustvoll, kritisch, analytisch oder dekonstruktiv eine andere Biografie als die eigene entwerfen. Wie kann ein real-imaginiertes oder ein dokufiktionales DU zum Austragungsort vorstellbarer Biografik werden?
„Ich ist ein anderer” (car Je est un autre) schrieb der französische Dichter Arthur Rimbaud in einem Brief an Paul Demeny im Jahr 1871. Wenn das DU als ein ICH verhandelt wird, und das ICH immer schon ein Anderer gewesen ist, dann erhöht sich der Komplexitätsgrad des DU. Dieses wird gleichzeitig als imaginierter Austragungsort erreichbarer Nähe und unerreichbarer Ferne eingesetzt. Sowohl die Differenz wie auch die Parallelität zur eigenen Biografie wird künstlerisch aktiviert. Fragen von destabilisierter Subjektivität, fragwürdiger Identitätskonstruktion, postkolonialer Positioniertheit, Transvestitismus, operativer Geschlechtsumwandlung, transgressiver und queerer Geschlechtlichkeit, Durchbrechung von Normativität, Konstruktionen von Whiteness und Blackness oder spekulativen, albtraumartigen Projektionen kennzeichnen die Arbeiten.
Irene Andessner arbeitet seit vielen Jahren intensiv mit dem Medium des Porträts. Sie setzt Tableaux Vivants und Rollenbilder ein. Bis zur Mitte der 1990er-Jahre war es das eigene Porträt, das Andessners Arbeit prägte, seit diesem Zeitpunkt sind es viele andere, denen Andessner ihr Gesicht geliehen hat. Sie wird die Andere, sie wird viele andere. Ob die italienische Renaissancemalerin Sofonisba Anguissola oder die mexikanische Malerin Frida Kahlo, ob die österreichische Fotografin Alice Schalek oder die Madonna del Arte, sie alle sind Andessner gewesen, oder umgekehrt, sie alle sind von Andessner verkörpert worden. Ihre Re-enactments als Porträt verleihen vergangenen Frauenfiguren ein neues Gesicht, holen sie in die Gegenwart zurück. „Ich bediene ein Bild der Frau, das sich andere machen“, sagt die Künstlerin. In der FOTOGALERIE WIEN werden einzelne Bilder aus verschiedenen Serien gezeigt, wodurch Andessner innerhalb der Ausstellung immer wieder als eine „Andere“ erscheint. Unter anderem werden Hedwig Reinau, Dorothea von Brandenburg, Donne Illustri, I.M. Dietrich, Constanze, Gwen John und Barbara Blomberg gezeigt.
Alessia Bernardini arbeitet daran, subjektive Erzählperspektiven in Lebensgeschichten zu entfalten. Im Zentrum der Arbeit Becoming Simone steht eine Narration, die mit den einfachen Mitteln von Fotografien, wie sie in Familienfotoalben verwendet werden, und kurzen Texten, die man ebenfalls in solchen Alben findet, eine komplexe Biografie aufrollt. Das bis ins kleinste Detail liebevoll gestaltete Künstlerbuch wird in einem Video aufgeblättert. Wir sehen Angelina als Kind, als junges Mädchen. Sie wächst heran. Im Alter von 51 Jahren entscheidet sich Angelina, durch eine operative Geschlechtsumwandlung der Mann zu werden, der sie immer schon gewesen ist. Angelina wird Simone. Ihr Projekt ist, wie Bernardini betont, „eine Untersuchung, die auf Erinnerungen, Mut, Unbehagen, Träumen und Erwartungen“ beruht. In dem Künstlerbuch überlagern einander ebenso subtil wie einfach die Vergangenheit und die Gegenwart, Entmutigung und Mut.
Eva & Adele verweigern jegliche biografische Angaben. Sie sind das Kunstwerk. Am Kunstwerk sind sie zu messen. Folglich findet sich als biografische Angabe Körpergröße, Oberweite, Taille und Hüfte, in Zentimetern. Sie haben sich selbst erfunden. Sie haben ihre Zeit erfunden. Sie kommen aus der Zukunft. Diese hat im Jahr 1989 begonnen; seit damals koexistieren Eva & Adele in wechselseitiger Abhängigkeit, sie sind immer mit ihrem DU unterwegs. Nur gemeinsam treten sie auf. Auf Vernissagen erscheinen sie. Die Dokumentation ihres Lebenskunstwerks ist häufig an diejenigen delegiert, mit denen sie bei Ausstellungseröffnungen kommunizieren. Die anderen fotografieren, senden die Fotos zu, die im Atelier Teil des Kunstwerks Eva & Adele werden. Sie machen sich immer identisch zurecht, haben feinrasierte Köpfe, sie sind bunt geschminkt, oft pink gekleidet. Sie betonen: „Wir vereinen beide Geschlechter in uns. Wir arbeiten für das Recht, dass jeder Mensch sein eigenes Geschlecht selbst bestimmen kann, ohne dass er sich dafür operieren lassen muss, sondern dass jeder kreativ und frei mit seinem Körper umgehen kann. Und das setzten wir durch unsere Auftritte massiv ins Bild.“ In der Ausstellung wird das Polaroid-Diary (im Original 15 Meter lang) gezeigt. Jedes Polaroid ist das erste Foto, bevor sie – nach Malerei im Gesicht und Feinrasur – öffentlich werden. Es dient der künstlerischen Selbstvergewisserung.
Bei Fourdummies handelt es sich um ein fiktives Performance-Kollektiv, das seit einigen Jahren existiert. Do-it-collectively, so lautet das Credo des fiktiven Kollektivs, das sich mit Fragen von AutorInnenschaft und linearer Geschichtsschreibung sowie den Möglichkeiten situativer und partizipativer Performance auseinandersetzt. Durch das Abhandenkommen sämtlicher Bilddateien ihres künstlerischen Schaffens hat Fourdummies den Verlust der eigenen Geschichte beziehungsweise die Befreiung von der Dokumentiertheit der künstlerischen Vergangenheit zum Ausgangspunkt für eine kollektive Rekonstruktion gemacht. Beim Imagetanz-Festival 2014 hätte eine Retrospektive unter dem Titel A Haptic Avatar of Visual Perfection gezeigt werden sollen.
Nun wurden ZuschauerInnen und PassantInnen um Hilfe gebeten, die Geschichte der vorangegangenen Performances WE WILL, FaFourite Quotes, Cake Four Everyone und Camp Carevane neu zu finden. Aus diesem Prozess resultieren die Fotografien der Serie Image Recovery, von denen eine Auswahl in der Ausstellung gezeigt wird.
Sara-Lena Maierhofer verbindet in ihrer künstlerischen Arbeit die Vorgangsweisen des investigativen Journalismus, der Regenbogenenthüllungspresse, aber auch die Methoden der wissenschaftlichen Recherche. Das Dokufiktionale bestimmt die Form dieser Arbeit, eine ungewöhnliche, nahezu ans Unglaubliche grenzende Biografie steht im Zentrum des Interesses. Dear Clark verfolgt das Leben eines Hochstaplers und Heiratsschwindlers, der viele Leben führte. Er ist der berühmteste Con Man, den es je gab. Mit bürgerlichem Namen Christian Karl Gebhartsreiter, erscheinen die gewählten Namen mehr Gewicht, mehr Einfluss, mehr Geschichte zu versprechen. Sie klingen besser, sie klingen nach mehr, sie lauten Christopher Crowe oder Clark Rockefeller. Sie sind eines Heiratssschwindlers, eines Hochstaplers würdig. 2010 nahm der Fernsehfilm „Who is Clark Rockefeller?“ seine Spur auf und entrollte die Lebensgeschichten des am längsten vom FBI gesuchten Betrügers, der vorgab, ein Nachfahre der Rockefellers zu sein. Sara-Lena Maierhofer setzt in ihrer Arbeit Fiktion, Täuschung und Spekulation ein, um jegliche Faktizität fraglich werden zu lassen. In der Ausstellung werden ein Fotobuch und ausgewählte Fotografien gezeigt.
Anja Teske veröffentlichte im Jahr 2012 das Buch Zuckerpuppe, das auf ihren Fotografien und Texten beruht. Der Untertitel des Buchs lautet Stefan und Juwelia. Sie sind eine Person, sie sind zwei Ichs. Sie sind mit Anja Teske und ihrer Kamera vertraut, befreundet. Acht Jahre lang haben die vier, Stefan, Juwelia, Anja Teske und die Kamera, an der Existenzaufzeichnung gearbeitet. „Fotografien geschossen und Texte gesammelt von Anja Teske“ steht auf dem Cover des Buchs. Ein Essay von Wolfgang Müller, der 1982 als Herausgeber von „Geniale Dilettanten“ ein Manifest der Westberliner Szene versammelt hatte, widmet sich der Transvestitenszene und ihrer Geschichte. Die Fotografien von Anja Teske zeigen Juwelia zu Hause in ornamentaler Opulenz, immenser Farbigkeit und verletzlicher Transgression. „Wenn ich das erreiche, was ich will, dann bin ich 1000 Jahre“, schreibt Stefan/Juwelia. „Er gibt ihr den Raum, den sie braucht“, betont Anja Teske.
Stacey Tyrell setzt die Konventionen und Mittel der Porträtfotografie ein, um die üblichen stereotypen Blicke auf „Whiteness“ und „Blackness“, auf ethnische Zuschreibungen, kritisch zu exponieren. Der Titel ihrer Arbeit, Backra Bluid, ist eine Zusammensetzung, die mit den Mitteln der Sprache die Ambiguität und Hybridisierung in ihren Fotografien ausdrückt. Backra Bluid verbindet die Karibik und Schottland. Backra, white master oder white person, ist archaischer karibischer Slang mit westafrikanischen Wurzeln. Bluid, Blut oder Verwandtschaft, ist ein schottisches Wort. Die Afro-Kanadierin Stacey Tyrell schlüpft als Schwarze in die Rolle weißer Mittelschichtfrauen, nimmt Posen ein, zieht die entsprechenden Kleidungsstücke an, um die greifbare Realitätsdimension der Frauen und Mädchen, die sie darstellt, zu unterstreichen. Der westliche Imperialismus, das Erbe des Kolonialismus, wird in Stacey Tyrells fotografischem Projekt durch die Inkorporierung der historischen Konventionen der Porträtmalerei subtil verdeutlicht.
Stephanie Winter setzt sich in ihren Arbeiten, die Zeichnungen, Installationen, aber auch Videos umfassen, mit Fragen von Fiktion, Erinnerung und Bewusstsein auseinander. Der Titel ihrer Arbeit, Der Doppelgänger, verweist auf Heinrich Heines 1827 erschienenes Gedicht mit dem gleichen Titel. Dieses wurde im Buch der Lieder, im dritten Teil, Die Heimkehr, veröffentlicht und ein Jahr später von Franz Schubert in „Der Schwanengesang“ vertont. 2009 entstand Stephanie Winters Der Doppelgänger, ein auf 35 mm gedrehter, vierzehnminütiger Film. „Mir graut es, wenn ich sein Antlitz sehe – Der Mond zeigt mir meine eigne Gestalt. / Du Doppelgänger! du bleicher Geselle! / Was äffst du nach mein Liebesleid“ (Heine). Stephanie Winters Protagonist ist ein Reisender, der, wiewohl er in letzter Minute auf einem Sitzplatz im Zug landet, nur der eigenen Zerrissenheit entgegenfährt. Die Introspektion führt zu Traumgesichtern, dunklen Ahnungen und Phantasien. Es gibt kein Entrinnen.
(textliche Betreuung: Elke Krasny)