Eröffnung: Montag, 12. Mai um 19.00 Uhr
Einführende Worte: Elke Krasny
sponsored by: BKA Kunst; MA7-Kultur; Cyberlab; Collegium Hungaricum, Wien
Das zeitgenössische „Ich“ ist ein bedrängtes. Es muss sein „Ich“-Kapital behaupten zwischen den technologisch expansiven sozialen Netzwerken und der neoliberal geforderten leistungsnachweisenden Selbstveröffentlichung. Das „Ich“ muss ebenso effektiv wie affektiv agieren. Gleichzeitig erfolgt ein Dauerzugriff auf die zunehmend entprivatisierten Daten. Die FOTOGALERIE WIEN zeigt in ihrem diesjährigen Schwerpunkt Biografie künstlerische Arbeiten, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven mit dem komplexen Thema der Lebenserfahrung auseinandersetzen. Das kuratorische Team entwickelt in intensiver dialogischer Auseinandersetzung mit den teilnehmenden KünstlerInnen, die in den Medien Fotografie, Video und Film arbeiten, diese dreiteilige Ausstellungsserie mit den Titeln: Ich, Wir und Du.
Die erste Ausstellung der Trilogie Biografie ist dem Autobiografischen gewidmet. Die eigenen Erfahrungen von Kindheit, Familie, Krankheit, Religion, die oft an die Grenzen des Kommunizierbaren gehen, sowie unterschiedliche Methoden der Selbstbeobachtung bestimmen die künstlerischen Auseinandersetzungen. Die Präzision der Ausstellung Ich liegt darin, dass das „Ich“ weder reduktiv noch deskriptiv auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner der Gegenwart, sondern als Erfahrbarkeit des eigenen Erlebens in transgressiven Konstruktionen, De-Konstruktionen und Re-Konstruktionen zur öffentlichen Erscheinung gebracht wird.
In ihrem Langzeitprojekt Kinderwunsch exponiert Ana Casas Broda die intime Beziehung zum eigenen mutterwerdenden Körper und zu den wachsenden kindlichen Körpern ihrer beiden Söhne. Die Stärke radikaler Verletzlichkeit spricht aus diesen fotografischen Selbsterfahrungen. Maternität wird als komplexes Werden begriffen, dessen Veränderung immer Alterität beinhaltet, sich nicht von der Erfahrung der Kinder isolieren lässt.
Christoph Burtscher zeigt Arbeiten an einem Wunder – Neun Versuche zu HIV-, Blut- und Heiligenbildern. Er verbindet die Erfahrung von Religion – er ist in einem kirchlichen Internat zur Schule gegangen – mit der Lebenserfahrung HIV. Blut ist die direkte Verbindung zwischen Wunder und Krankheit, zwischen Heiligen und Aids, zwischen Hoffnung auf Heilung und Zerfall. In der Körperflüssigkeit und ihrer konkreten Abstraktion in seiner künstlerischen Arbeit verbindet sich das Verehrte und das Ausgestoßene.
Der uneinholbare Tag der eigenen Geburt wird als Geburtstag gefeiert. In streng konzeptueller Obsession verfolgt Hermann Capor seit 22 Jahren mit den 12 Fotos eines Rollfilms die Veränderungen im Lauf dieses Tags vom Morgen bis zum Abend, die Veränderungen eines Lebens durch den Verlauf dieses Tages. Die Spielregeln dieser Geburtstagschronik beinhalten, dass jedes Foto der Filmrolle aufgebraucht werden muss und dass keines der Fotos, auch wenn im Moment der Aufnahme etwas schief gegangen sein sollte, weggelassen werden darf.
Krisztina Fazekas-Kielbassa bearbeitet die traumatisierenden Erfahrungen des Missbrauchs durch ihre Mutter und zeigt damit auf, dass auch die Potenzialität der künstlerischen Bearbeitung selbst an ihre schmerzhaft erfahrenen Grenzen stößt. Die Grenzerfahrung von Leid, Schmerz, Missbrauch ist unauslöschbar. Die Künstlerin macht diese Unauslöschbarkeit präsent. Zugleich legt ihre Arbeit Zeugnis davon ab, dass es möglich ist, sich gegen die Sprachlosigkeit, das Ohnmächtig-Werden gegenüber dem Erfahrenen künstlerisch zur Wehr zu setzen.
Brigitte Konyen bearbeitet in Une enfance (im)possible avec mon père die starke Konvention des Fotoalbums, der man unhinterfragt Glauben schenkt. So wie es im Fotoalbum erscheint, ist es gewesen. Mit den wenigen Fotografien, die sie von ihrem Vater besitzt, erzeugt sie eine neue, eine imaginierte, eine gewünschte Kindheit, in der ihr Vater plötzlich anwesend ist, während ihre reale Kindheitserfahrung von seiner Abwesenheit geprägt war.
Anja Manfredi verwendet für die Serie Summer 2013 Foto-Entwicklerschalen als Pflanz-Schalen. Metaphorisch und real verkörpern Pflanzen den Widerspruch zwischen ordnender Kultivierung und ungebändigtem Wildwuchs, zwischen umhüteter Sorge und transgressivem Ausbruch, zwischen Pflege und Widerstand. In ihrer Arbeit Eine Geste wird belichtet (2010–2013) überschreitet sie die Fläche der Fotografie hin zum Raum, die Statik der Fotografie hin zur Bewegung im 16 mm-Film und der Übersetzung der einzelnen Kader in einen Vorhang mit abstrakten Zeichen einer Choreografie.
Rudolf Strobl konstruiert fotografisch Erinnerungen. Nichts wird dabei dem Zufall überlassen. Erinnerungen müssen geplant werden. Zwischen Dokumentation und Fiktion nimmt er so die Beziehung zu seinen Eltern, denen in diesem künstlerischen Prozess auch ein Mitspracherecht eingeräumt wird, und auch die Räume seiner Kindheit fotografisch auf. Aus der Serie Fenster wird eine großformatige Fotografie gezeigt, in der die Reduktion eines Raums auf Fenster und Vorhang die Sicht verschließt und so den Spielraum für vorstellbare Erinnerungen eröffnet.
Der historische „Elephant Man“ verkaufte seine gedruckte Biografie an das Publikum der Freakshow, in der er im viktorianischen London auftrat. I first saw the light, so ihr Beginn, ist der Titel von Phillip Warnells 16 mm-Film. Wir sehen aber nicht den „Elephant Man“, sondern ein Zeugnis der Arbeit seiner Hände, eine Spur seiner körperlichen Präsenz. Während eines Aufenthalts im Royal London Hospital fertigte Merrick ein Kartonmodell einer Kirche an. Dieses bis heute erhaltene und in einer Vitrine exponierte Objekt wird minutiös von der Kamera erfasst, umkreist, vermessen. Warnells Film verfolgt ein Leben zwischen transhumaner Überschreitung, Spektakel und Biopolitik.
(textliche Betreuung: Elke Krasny)