Interview mit Frau Ute Eskildsen zur Ausstellung, „Aspekte deutscher Fotografie nach 1945” (Essen, 21.12.1993)
Das Interview wurde von Heinz Cibulka geführt, für die Publikation gekürzt und von Frau Ute Eskildsen in der vorliegenden Form autorisiert.
H C.: Frau Ute Eskildsen, sehen Sie die Auswahl dieser ausgestellten Bilder in einer geschlossenen historischen Linie in Bezug auf die deutsche Kunstgeschichte, im Speziellen auf die der Fotografie, wenn ich dahei folgende Kategorien anführe: Piktorolismus, Neue Sachlichkeit, Bildnisfotografie, Surrealismus in der Fotografie, Life-Fotografie, Fotomontage, Bauhaus, Propaganda-Kriegsfotografie … – und jetzt die Fotografie noch 1945?
U.E.: Das angeführte Gemisch von Begriffen verbindet Genres mit Methoden, die angewandte Fotografie mit der künstlerischen. Hier ist Differenzierung notwendig – aber angesichts der vorrangig zeitgenössischen Arbeiten Ihrer Auswahl wäre zu der angesprochenen historischen Linie grundsätzlich zu sagen, daß es in der heutigen deutschen Fotografie sicher Verweise auf Tradition gibt.
Sie können zum Beispiel sagen, in dieser Auswahl gibt es Fotografen, die an die Neue Sachlichkeit erinnern, bzw. überhaupt auf Sachlichkeit verweisen, die den Deutschen gern grundsätzlich zugeschrieben wird. Aber diese Arbeiten als direkte Fortsetzung einer ,,geschlossenen” historischen Linie zu bezeichnen, damit habe ich Schwierigkeiten.
Natürlich haben Bernd und Hilla Becher einen Bezug zu August Sander, ob aber z.B. Kilian Breiers Arbeit eine Fortsetzung der Fotografie der 1920er-Jahre ist, da müßte man weiter ausholen. Er war Schüler von Otto Steinert, und Steinert reaktivierte mit seinen Studenten in den 1950er-Jahren die experimentellen Techniken der 1920er-Jahre. Ein geschlossenes Bild gibt diese Auswahl nicht, aber ihr Zugriff bezieht sich mit wenigen Ausnahmen vornehmlich auf eine fotografische Praxis, die an der Abbildqualität der Fotografie orientiert ist, also direkte Fotografie.
H. C.: Welche FotografInnen halten Sie für bestimmend, was die Entwicklung der künstlerischen Fotografie in Deutschland nach 45 betrifft?
U.E.: Einflußreich waren zwei Schulen, Otto Steinert an der Folkwangschule für Gestaltung in Essen und Bernd Becher an der Kunstakademie Düsseldorf.
H. C.: Wie würden Sie den Wandel der künstlerischen Fotografie aus den Ansprüchen der Gesellschaft ableiten?
U.E.: Das ist nicht spezifisch auf ein Land bezogen zu sehen, wobei zu sagen ist, daß es in den 1950er- und 1960er-Jahren in Deutschland nur eine minimale Auseinandersetzung mit der künstlerischen Fotografie gegeben hat, da es weder eine dezidiert künstlerische Ausbildung für Fotografie noch eine Infrastruktur für das ,,Kunstfoto“ gegeben hat. Es gab bestimmte Positionen, wie die der ,,generativen Fotografen”, die sich in den 1960er-Jahren informationstheoretisch orientierten.
Man kann sagen, noch bis in die späten 1970er-Jahre hinein war das fotografische Interesse in Europa vorrangig an der Zeitschriftenfotografie orientiert. Heute hingegen entstehen Arbeiten, die ausschließlich im Umfeld der Galerien, Museen und des Kunstmarktes existieren und rezipiert werden.
H.C.: Mit dem Beginn der 1960er-Jahre entstehen Arbeiten mit Fotografie im konzeptuellen Bereich. Da sind für die Fotografie Wege eröffnet worden, die ursprünglich nicht für die Fotografie gedacht waren, aus welchen sich aber interessante konzeptuelle wie auch poetische Linien entwickeln konnten. Zum Teil habe ich Impulse für meine Arbeit aus dieser künstlerischen Bewegung gezogen. Was glauben Sie hat dieser Schub künstlerischer Aktivität für die Fotografie gebracht?
U.E.: In den späten 1960er-Jahren haben KünstlerInnen unbefangen zu fotografieren begonnen oder fotografieren lassen. Ein Bereich war die Dokumentation von Aktionen und Happenings, von denen das Foto überdauerte und inzwischen nicht selten als Edition kultiviert wird. In jedem Fall waren es die KünstlerInnen, die unbelastet von fotografischen Konventionen die spezifischen Darstellungsmöglichkeiten demonstrierten. Das Foto wurde von ihnen als Element, als Versatzstück in eine Veranschaulichung einbezogen. Sehr viel wurde damals mit Bild und Text gearbeitet – eine Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von realer und fotografierter Wirklichkeit. Diese späten 1960er- und frühen 1970er-Jahre werden gern insgesamt als medienkritische Praxis verstanden. Ich meine aber, daß ein Großteil dieser Arbeiten einen sehr poetischen Charakter hat. Zur Zeit gibt es Fotoarbeiten, an denen ein Zugriff auf die 1960er- und 1970er-Jahre trotz zeitüblicher Ästhetisierung erkennbar ist. Großformate, schwere Rahmen, perfekte, elektronisch retuschierte Glanzabzüge stehen dem provisorischen Charakter der damaligen Fotoarbeiten entgegen.
H.C.: Es hat so etwas Skizzenhaftes gehabt, es ist nicht so sehr um monumentale Präsentationsformen gegangen, vielmehr um Entwürfe von Ideen.
U.E.: Es ging nicht um eine endgültige Aussage einer künstlerischen Arbeit, sondern um die Diskussion und Befragung künstlerischen Arbeitens.
H. C.: Eine Frage noch zur Wirklichkeit bzw. Realität. In welcher Weise ist in dieser Zeit nach 1945 mit diesem Begriff in Deutschland umgegangen worden?
U.E. In den 1950er-Jahren dominierte das überzeitliche Interesse, es ging um die Gestaltung und Abstraktion der Wirklichkeit. In den 1960er- und 1970er-Jahren verbreitete sich eine Vorstellung von der fotografischen Qualität, die sich auf die Erfassung realer Zustände bezog – was, wie bereits erwähnt, von den FotokünstlerInnen unterlaufen und kritisiert wurde. Eine erweiterte Auseinandersetzung mit unterschiedlichen fotografischen Arbeits- und Präsentationsweisen auch im Zusammenhang anderer künstlerischer Bildmittel hat sich Anfang der 1980er-Jahre entwickelt.
H.C.: Welche Theorien deutscher DenkerInnen halten Sie für wichtig, bzw. für nachhaltig wirksam?
U.E.: Bezogen auf die Fotografie sind die KritikerInnen und ProtagonistInnen der Fotografie der Weimarer Republik wesentlich – allen voran Benjamin, aber auch Kracauer, Moholy-Nagy, Franz Roh und Raoul Hausmann. Es ist wichtig festzustellen, daß aber erst Wolfgang Kemps 1979 erschienenes Buch ,,Theorie der Fotografie II” diese Texte im internationalen Zusammenhang zugänglich machte. Das war also spät, was darauf verweist, daß die fotografische Ausbildung, die in Deutschland vornehmlich an Fachhochschulen stattfindet, wenig foto-theoretische und historische Begleitung anbietet. Andererseits verweist die späte Entdeckung der Texte zur Fotografie ganz eindeutig auf das Defizit im wissenschaftlichen Lehrbereich, z.B. im Unterschied zum Medium Film.
H. C.: Ist die Fotografie ein geeignetes Mittel, um akute Probleme eines Landes aufzuwerfen, bzw. analytisch auftufächern. Sehen Sie das in den ausgewählten Arbeiten verwirklicht?
U.E. Ich denke, daß jedes Bildmittel geeignet sein kann, akute Probleme aufzuwerfen. Der zwar beschädigte, aber immer noch existierende Glaube an die Fotografie als Verdoppelung der Wirklichkeit gibt weiterhin der Fotografie im Zusammenhang mit Ihrer Frage eine Sonderstellung. Ob sich dieses Mißverständnis noch aufheben läßt bevor die traditionelle Fotografie von den elektronischen Bildern in der alltäglichen Benutzung gänzlich eingeholt ist, wage ich zu bezweifeln. Die Fotografie ist ein Bildmittel, das im Gegensatz zu anderen schon als Bildverfahren auf einen gesellschaftlichen Zustand verweist. Der Umgang mit diesem Verfahren, dessen Steuerung, erwirkt möglicherweise eine analytisch gerichtete Wahrnehmung. Aber wenn es darum geht, ob FotografInnen die Probleme eines Landes aufwerfen, stellt sich sogleich die Frage, wo dies geschehen kann, wer es zeigen oder drucken wird – heute. Ich denke, daß Ihre Bildauswahl, die versucht einen Bogen von den 1950er- zu den 1980er- und 1990er-Jahren zu schlagen, sehr wohl auf die Konstellationen eines Landes verweist, aus denen in Ost wie West Arbeitskonzepte entwickelt wurden, die sich aber in der Definition der Autorenschaft und damit in ihrem Verständnis des fotografischen Bildmittels auch im Zusammenhang historischer Bezüge unterscheiden.
H. C.: Die Dynamik der maschinell erzeugten Bilder, jener Bilder, die aus den Möglichkeiten der neuen elektronischen Maschinen zwanghaft in unsere Wahmehmungsrituale quellen – diese Dynamik hat einen Wandel der Wertigkeit der Bilder und des Bildes an sich ergeben. Bleiben die fotografischen Bilder, die mit herkömmlicher Sorgfalt und Bedächtigkeit entwickelt worden sind, im Tempo, in der Verständlichkeit und damit in der Wirksamkeit zurück oder ist das maschinell erzeugte Bild nicht schon immer in Bewegung gewesen und dies in die elektronischen Maschinen hinein ? Es ist anzunehmen, daß es nicht die letzte Maschine sein wird, die Bilder macht. Ist ein neuer Schritt eine Fortsetzung der Aneignung unserer Welt mit maschinellen Organen?
U.E.: Die herkömmlichen ,,Maschinenbilder” werden sich weiterhin auf das Terrain der Museen, Galerien und Archive zu- bewegen und die Vermittler und Historiker beschäftigen. Fotografie war und ist ein technisches Bildmittel und mit neuen Technologien werden neue Bilder, aber auch andere Wahrnehmungsweisen und Orte entstehen.