Eröffnung: Montag, 10. Mai 2004, 19.00 Uhr
Filmabend im FOTOGALERIE-KINO mit Animationsfilmen und Kurzfilmen von Franz Bermüller und Gunda Gruber: Freitag, 28. Mai 2004, 19.00–20.00 Uhr (Franz Bergmüller: Jesus, 2000, Dracula, 2002, Tarzan, 2003; Gunda Gruber: Sex and Suds, 2002, Franz I, 2003, Franz II, 2003) In diesen Filmen nimmt der private Lebensbereich der beiden KünstlerInnen eine zentrale Rolle ein. Mithilfe verschiedener filmischer Animationstechniken, vor allem der Animation von Fotovorlagen, werden u.a. auch klassische Filmgenres auf sehr persönliche Weise interpretiert.
Unter dem Stichwort Privat präsentieren wir drei KünstlerInnen, die der Frage nachgehen, wie das Öffentliche auf vielfältigen Ebenen in den Bereich des Privaten eindringt. Durch den Blick auf die Intimität der eigenen Privatsphäre reflektieren die Künstler das strukturierende Element des Gesellschaftlichen und Politischen. Die Frage, die man sich unweigerlich stellen muss ist, wieviel Privatheit tatsächlich innerhalb der eigenen vier Wände übrig bleibt beziehungsweise möglich ist.
Studien der Zärtlichkeit in einer globalisierten Welt:
Arnis Balcus war erst 16 Jahre alt, als einige seiner Fotoarbeiten für eine Ausstellung ausgewählt wurden. Danach freundete er sich bald mit der progressiven lettischen Kunstszene an, wandte sich mutig an die westliche Welt und war einer der ersten „global men“ seiner Generation in Lettland. In einer Ausstellung Mitte der 1990er-Jahre zeigte er aufwendig inszenierte Selbstportraits, in denen er sich in narzisstischer Stimmung als hübscher Jüngling präsentierte. Inspiriert von den performativen Fotografien von Hannah Wilke und Cindy Sherman, inszenierte er sich in verschiedensten konstruierten Gestalten und Rollen. Danach tauschte er jedoch als Bürger der globalisierten Welt und Vielreisender das Equipment und die aufwendigen Inszenierungen im Studio gegen die Themen und Ästhetik des „Snapshot“. Er fing an in der Tradition von KünstlerInnen wie Nan Goldin, Wolfgang Tillmans und Ryan McGinley zu arbeiten, welche die Kamera auf die eigene Generation fokussieren. Ähnlich wie sie benutzt Arnis Balcus die Fotografie um „die Barriere zwischen Öffentlichkeit und Privatsphäre zu durchbrechen. Die Kamera ist sowohl Teil ihres Lebens, als auch eine Komplizin bei der Konstruktion einer Welt, die sie für sich selbst erschaffen wollen. Die Ergebnisse zeigen das Portrait einer Generation, die schlau mit visueller Kultur umzugehen versteht und die sich dessen bewusst ist, wie Identität durch die Fotografie kommuniziert werden kann.“ (Sylvia Wolf)
In den Arbeiten von Arnis Balcus erkennt man schnell, dass er eine Intimität mit den Menschen sucht, deren Lebenswege er quert. Dem introvertierten und etwas schüchternen Künstler dient die Kamera als Möglichkeit zur Annäherung an Freunde oder Unbekannte und fixiert gleichzeitig die emotionale Beziehung zwischen ihm und der fotografierten Person. Es ist vielleicht die Naivität und die Sehnsucht nach Herzlichkeit, die einst in der Seele fast jedes Sowjet-Menschen lebte und die den Fotografen allein mit einer stilistisch distanzierten Aufnahme von Mitmenschen nicht zufrieden sein lässt. Er sehnt sich nach wahren und sehr persönlichen Augenblicken der Intimität, des Vertrauens, der Verwirrung und der Freude. Auch die in dieser Ausstellung gezeigten Studien über Sexualität sprechen von Zärtlichkeit und Vertraulichkeit. Arnis Balcus sagt: „Es ist die Kleidung, die uns unterschiedlich macht. Nackt sind wir einander ähnlich. Deshalb kann manchmal auch der Körper eines anderen Menschen mein Selbstportrait sein. Sich auszuziehen erfordert ein hohes Vertrauen, ein gegenseitiges Vertrauen.
Auf allen Bildern ist der Autor auch ein Teilnehmer und ist genauso verwirrt und schüchtern wie seine Freunde. Aus den gemeinsam durchlebten Gefühlen entstehen Freundschaften die oft über mehrere Jahre dauern. Seine Selbstportraits sind das Ergebnis der Selbstreflexion seiner Teenagerjahre. Sie entstehen in Momenten der Ruhe und Einsamkeit. Derartige Offenheit eines Fotografen gelingt nicht oft. (Anda Klavina, Februar 2004, Riga)
Die Fotoobjekte von Franz Bergmüller erinnern in ihrer Präsentationsform an Exponate einer naturhistorischen Sammlung. Das Besondere dieser an die Wand gepinnten Miniaturen, die die Spezies Mensch zum Inhalt haben, liegt jedoch in ihrer Beweglichkeit. In der Tradition von Hampelmännern und aufziehbaren Spielzeugfiguren können sie sich für einen Augenblick aus ihrer Starrheit lösen und werden lebendig. Sie bleiben jedoch fremdbestimmt: geschaffen, um von außen manipuliert zu werden, gleichzeitig aber ein Eigenleben zu entwickeln. Diese Form der Darstellung lässt das Spannungsfeld zwischen Anpassung und Abhängigkeit versus Wunsch nach Freiheit und Entfesselung spürbar werden.
Franz Bergmüller verleiht mit diesen Figuren seiner ambivalenten Haltung gegenüber gesellschaftlichen Normen und alltäglichen Zwängen Ausdruck und impliziert damit einen Versuch des Ausbruchs aus scheinbar vorgegebenen Handlungsmustern. (S. Rohringer / B. Daxbacher)
Mustergültige Rapporte: Everyday Patterns ist der Titel der mehrteiligen Installation von Klaus Pamminger, in der sich die mediale Verfasstheit von Wahrnehmung öffentlicher und privater Bereiche in vielfältigen Mustern über das gesamte Interieur des Wohnraums ausbreitet. Die visuellen Vorlagen bilden Berichterstattungen aus TV-Sendungen: Screenshots signifikanter medialer Ereignisse werden digital transformiert. Spiegelungen, Drehungen, farbliche Veränderungen, das Freistellen von Objekten und Hinzufügen von Elementen erzeugen musterartige Rapporte. Tapeten und Textilbezüge als alltägliche Schon- und Verschönerungsformen sowie tapetenartige Bilder werden zu Manifestationen des medialen Allltags. Berichte gerinnen zu Rapporten, deren Kontextualisierung durch die Komprimierung der Motive codiert ist. So ist die Kriegserklärung von George W. Bush gegen den Irak aus dem TV-Weltjournal vom 08.01.2003 zunächst nicht erkennbar, vielmehr scheint eine Tapete als Bildformat dem Interieur als autonomes Element hinzugefügt. Alle Teile der Installation funktionieren eigenständig, sie fügen sich aber insgesamt zu einem Arrangement.
Was im originalen Bericht ganz unverhohlen unter dem Vorwand Strengthening America’s Economy als Textfolie im Hintergrund vor Bushs Rednerpult propagiert wird, entzieht sich im patternförmigen Bild der schnellen Lesbarkeit. Es sind nicht die repetitiven Berichterstattungen und die Konstruiertheit von medialen Formaten als solche, die Klaus Pamminger freilegen will: Er selektiert und transformiert diese, um sie in andere Wahrnehmungskontexte einzubinden. Das private Ambiente des Wohnens ist dergestalt eingekleidet in ornamentale Bezüge, dass deren profane mediale Herkunft sich nicht sofort erkennen lässt: Muster dominieren über Motive, und wenngleich sich in allen patterns konkrete Bezüge erkennen lassen, tauchen diese ab ins Fragmentarische, abstrakt Wahrnehmbare. Eine Diskontinuität von Narrationen wird evoziert, regelmäßige Rapporte werden zu Garanten von Kontinuitäten. Die Dichte und Vielfalt der ornamentalen Ausstattung auf engstem Raum suggeriert eine klaustrophobische Atmosphäre. Und der intime Blick in einen Spiegel wird irritiert durch eine Tapete im Hintergrund, deren Musterung sich aus marschierenden nordkoreanischen Soldaten generiert.
Mit zunehmender Erschließung der Motive wächst das Unbehagen und das Misstrauen in diesem Ambiente, das zunächst noch durch spezielle artifizielle Anfertigungen ein Flair von exklusiver Behaglichkeit zu verbreiten vermochte. Selbst die mediale Scheinerlösung durch das TV-Programm bleibt verwehrt: Auf dem Monitor läuft eine von Klaus Pamminger rapportartig verfremdete Fernsehshow in Endlosschleife. Nichts ist, was es scheint: Getarnt als dekorative Oberflächenmuster können Realitäten lediglich auf Distanz gehalten werden, letztendlich dringen sie aber ins Bewusstsein. Entgegen der Ereignishaftigkeit medialer Berichterstattung haftet den Mustern etwas Zähes, Langsames an, weil die in sich abgeschlossenen motivischen Parzellen der jeweiligen Musterrapporte den Blick an sich ziehen und in vielen Varianten miteinander kombiniert werden können. Bezüge jenseits eines gesamtheitlichen Eindrucks von Tapetenmustern stellen sich ein. Gefangen in symmetrischen Systemen und deren zahlreichen kombinatorischen Möglichkeiten, wechseln abstrakte Wahrnehmung und Wahrnehmung von realen Motivsplittern je nach Distanz.
Die Verstrickung optischer und rationaler Dichotomien lässt keine Lücken frei für Unvorhersehbares: Die Everyday Patterns rollen als Texturen einer „Wiederkehr des Immergleichen“ ab, Monotonie und Langeweile verbinden sich harmonisch zu phantastischen Formen. Der Erschließung der Motive aus dem medialen Bereich folgt eine Einschließung ins Ornamentale, eine Implementierung in den privaten Mikrokosmos mittels digitaler Technik. Was einer vorsätzlichen Marginalisierung mit romantischer Konnotation gleichkommt, lässt sich konträr dazu auch als innovatives Bezugssystem interpretieren: Realitätsfragmente können auf diese Weise mit einem abstrakten artifiziellen Formenvokabular gegengelesen werden. Die Installation, deren BesucherInnen von einem all-over von Patterns umhüllt werden, dehnt sich zu einer Wohnlandschaft aus, in der sich Idylle nicht als Oberflächenphänomen beschreiben lässt, zumal die TV-Berichterstattung das untrennbar damit verwobene Ausgangsmaterial bildet. Die Muster treten als Symptome mit eigener Dynamik in Erscheinung; diese zeigen sich nicht deutlich, aber sichtbar. Eine rosa Blumentapete fürs Kinderzimmer kann sich aus der Nähe als kriegshetzerisches Szenario entlarven. Mustergültige Codes stehen nicht zur Verfügung. (Nicola Hirner)