Eröffnung: Montag, 1. März 2004, 19.00 Uhr
Die ausstellenden KünstlerInnen setzen sich auf unterschiedliche Weise mit dem Thema „Adoleszenz“ auseinander. Sie gehen der Frage nach, was diese Lebensphase auszeichnet, wie mit dem Erwachsen-Werden umgegangen wird und welche Probleme sich daraus ergeben können. Die KünstlerInnen arbeiten dabei zum Teil eigene Erfahrungen und Erinnerungen auf oder beziehen sich auf gesellschaftliche und politische Zusammenhänge.
Annabel Elgar: „In meiner Arbeit konstruiere ich Szenen, die den Verlust der Unschuld thematisieren und bewusst machen. Mich interessiert, wie ich mich selbst in diesen fikitiven Geschichten wiedererkenne, beziehungsweise mich von ihnen distanziere. Wichtig ist, dass die DarstellerInnen in einen dichten und ambivalenten, psychologisch aufgeladenen Raum eintauchen und die Geschichten eine Vielzahl verschlüsselter Details enthalten, die sich erst Schritt für Schritt hin zum vermeintlichen Drama, dessen ZeugInnen wir sind, entschlüsseln. Ich möchte Fotografien machen, in denen das Hauptaugenmerk auf der Enthüllung von Verletzlichkeit in all ihren Facetten liegt. Die Aufmerksamkeit der BetrachterInnen ist oftmals von den Figuren und deren Handlungen durch Nebenhandlungen und Details abgelenkt, oder auch dadurch, dass die Akteure so in ihrem eigenen Raum versunken sind, dass sie nur schwer fassbar werden. Zusätzlich sieht man sie oft nur von hinten oder in unkenntlichen Zügen. Diese Vielschichtigkeit und Irritation ist mir wichtig, um in meinen Bildern differenzierte Welten der Introspektion vermitteln zu können. Kleine und unauffällige Details sind als Metaphern zu lesen, die auf vergangene Geschehnisse hinweisen. Sie vermitteln ein Halbwissen, eine Ahnung über das, was wir sehen. Ein Ballon mit herausgelassener Luft, faulendes Obst, Partyfähnchen oder eine Blutkruste am Knie werden so zu potentiellen Bedeutungsträgern, die gleich wichtig sind wie die Haupthandlung selbst. Wesentliches Element meiner Arbeit ist die Beschäftigtigung mit meiner persönlichen Mythologie, die eng mit der ländlichen Landschaft Englands verbunden ist. Indem ich verschiedene Quellen wie etwa Kindheitserinnerungen, Malerei, Film und allgemeines Volkstum durchleuchte, versuche ich eine Ästhetik zu kreieren, die meiner Autobiografie innerhalb eines poetischen und gleichzeitig kritischen Diskurses gerecht wird.” (Annabel Elgar)
Ingar Kraus: Von den Kindern weiß man nichts.
Alle Leben seien gleich, sagte die Mutter, bis auf die Kinder. Die Kinder, da wisse man nichts. Stimmt, sagte der Vater, die Kinder, da weiß man nichts. (Marguerite Duras, Sommerregen)
Der Schacht musste sehr tief sein oder ihr Fall sehr langsam, denn sie hatte genügend Zeit, um sich zu blicken und sich darüber zu beunruhigen, was mit ihr geschehen würde. (Lewis Carroll, Alice im Wunderland)
„Seit einigen Jahren handeln meine Bilder von Kindheit und Adoleszenz. Mich interessiert dabei vor allem der Zustand des nicht klar definierten Körpers und Geistes, eine Art Zwischenzeit. Es geht mir dabei überhaupt nicht um das – rein äußerlich – spezifisch Jugendliche, wie bestimmte Kleidung o.ä. Ich suche in meinen Portraits nach einem Ausdruck für die Psyche und biographische Prägung der Kinder. Ich möchte einen authentischen Moment der Intensität und Konzentration abbilden, und die Melancholie, die sich vor allem in Zeiten der Transformation zeigt. Der Moment des Fotografierens gleicht dabei einer Art heimlicher Übereinkunft, in Abwesenheit aller Sprache.” (Ingar Krauss)
Evgeni Mokhorev, der in jüngster Zeit zum „Shooting-Star” der St. Petersburger Kunstszene avancierte, thematisiert in seiner Arbeit die Situation russischer Straßenkinder.: Kinder und Jugendliche, die außerhalb der Gesellschaft leben, für die es kein soziales Netz gibt, auf die scheinbar vergessen wurde und die vollkommen auf sich alleine gestellt sind. Der stille, feinsinnige Beobachter Mokhorev, lässt diesen Kindern vor seiner Kamera freie Hand; die Kinder inszenieren sich selbst. Umso überraschender sind die Haltungen, die diese sehr jungen Menschen für die Aufnahmen einnehmen. Sie scheinen erwachsener und sexuell herausfordernder als die so mancher Erwachsener, was aus ihren Lebensumstände, die ihnen das Kindsein verbieten und sie zum Erwachsenendasein zwingen, resultieren mag. Die spezifisch ambivalente Qualität in Mokhorevs Bildern liegt darin, dass er es trotz der Selbstinszenierung der Jugendlichen in ihrer coolen und herausfordernden Schau schafft, ihre Zerbrechlichkeit und Hilflosigkeit mit seiner Kamera einzufangen.
MARCELO PEROCCO
Marcelo Perocco: Teenagers: „Oft frage ich mich selbst, woher dieses Interesse, diese Besessenheit kommt. Ein Beispiel: ich steige in die U-Bahn und schon verfolge ich sie. Auch wenn ich müde bin, wenn ich mich lieber hinsetzen möchte, bleibe ich doch stehen, um sie aus der Nähe beobachten zu können und vielleicht auch ihre Gedanken erraten zu können, um ihnen im Geiste in ihrer Unsicherheit und bei ihren Missgeschicken beizustehen. Mich interessieren die Charakteristika eines jugendlichen Gesichts, noch nicht festgelegt durch die Spuren der Zeit und sich der unwiderstehlichen Schönheit des Unberührten nicht bewusst. Das Schöne als Inhalt seiner selbst. Was ich einfangen, was ich sichtbar machen will, ist die Zartheit und Zerbrechlichkeit ihrer Blicke, aus Augen, die noch nicht viel gesehen haben, die hungrig sind und von Unbekanntem träumen – und in denen gleichzeitig schon das Wissen um die Zukunft liegt.
Später, beim Durchsehen der Fotos, hatte ich oft das befremdende Gefühl, dass diese Menschen gar nicht mehr physisch existieren. Dieses Gefühl verstärkte sich noch, als ich durch Zufall auf der Straße einige meiner Modelle wiedertraf: jemand, der in meinem Kopf schon Teil einer fiktionalen Welt geworden war, verwandelte sich plötzlich zurück in ein körperliches, reales Wesen. Die Fiktion vermischt sich mit der Wirklichkeit, wie ein Traum von dem man nicht mit Sicherheit weiß, ob er gelebt oder doch nur geträumt wurde.” (Marcelo Perocco)
„Ich beschloss, mich selbst zum Opfer zu machen”:
Steven Tynans persönlich-fotografisches Projekt, eine fortlaufende Serie von großformatigen Polaroids, umfasst bereits mehr als 175 Bilder. In seinen Selbstinszenierungen zeigt er sich oft nackt oder nur leicht bekleidet an unterschiedlichsten Orten im Freien und im häuslichen Ambiente. Schonungslos offen, aber auch humorvoll beschreibt der Künstler seine Selbstportraits als Erkundungen „des Gefühls der Scham, der Verletzlichkeit und der Verantwortung”, als Mann mittleren Alters in der heutigen Zeit. Tynan präsentiert sich in seinen Arbeiten mit einer emotions- und ausdruckslosen Mimik und changiert thematisch zwischen kindlicher und erwachsener Selbstreflexion. Sein Werk lässt Interpretationen offen – den BetrachterInnen steht es frei, ihre jeweils eigenen Geschichten und Assoziationen in den Bildern zu finden.
Tynan macht sich selbst „zum Opfer” des fotografischen Blicks und somit unzähliger sozialer Projektionen. Seine Selbstportraits zeigen, in welcher Weise wir uns alle aktiv mitschuldig an der sozialen Kontrolle des Körpers machen. Von allen Körpertypen, die in unserer heutigen Kultur zur Schau gestellt werden, ist der plumpe weiße männliche Körper der, welcher am wenigsten gezeigt wird, trotz seiner privilegierten Machtposition innerhalb sozialer Hierarchien. Indem Tynan sich selbst exponiert, durchkreuzt er die oberflächlichen, modischen Darstellungen und regt zur Diskussion dieser gesellschaftlich sensiblen Themen und Emotionen an, um die Wahrnehmung auf die eigene Person zu schärfen. In diesem Sinne ist Tynans Arbeit eine Anlehnung an Peter Land und Vito Acconci. Gleichzeitig beziehen sich seine Bilder aber auch auf eine Reihe historischer und medialer Bildkonventionen, wobei der Bogen von Zitaten der Kunstgeschichte, über katholische Ikonografie bis zur Pornografie gespannt wird. Tynan arbeitete viele Jahre in London als Redakteur und Fotograf bei The Face und Sunday Times bis ihm bewusst wurde, dass er nicht länger „der Räuber” anderer Leute Leben und Bilder sein wollte. Von da an beschloss Tynan, sich selbst zum „Opfer” zu machen.