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ABSTRAKT IV

HERWIG KEMPINGER

2. Dezember 1999 – 15. Jänner 2000

Herwig Kempinger (AT)

Kataloge | Schwerpunkt: ABSTRAKT 1999

Der Schwerpunkt der FOTOGALERIE WIEN 1999 wurde mit dem Überbegriff Abstrakt beschrieben. Der Terminus „abstrakt“ sollte die formale Klammer zwischen jenen vier künstlerischen Positionen bilden, die in periodischen Abständen mit je einer Einzelausstellung den Raum der Galerie bespielten: beginnend mit Mina Mohandas, gefolgt von Kilian Breier und Inge Dick, abschließend mit Herwig Kempinger (…). Der Begriff „ abstrakt“ ist in diesem Ausstellungszyklus als rein formale Klammer zu verstehen (…). Mit Abstrakt ist keineswegs die Programmatik der Ausstellungsreihe beschrieben, um inhaltliche Paradigmen auf einen Punkt zu bringen. Vielmehr bearbeiten alle vier KünstlerInnen unterschiedliche Themenfelder, wenngleich durchaus Überkreuzungen in den Ideen und Ansätzen zu bemerken sind: Bei Inge Dick und Kilian Breier geht es um Abmessungen von Licht und Zeit, Mina Mohandas und Herwig Kempinger stellen mit ihrer Arbeit flüchtige und temporäre Volumina her.

„Diskussionsbeiträge zu einer Art von immaterieller Skulptur“:
ein Gespräch mit Herwig Kempinger, geführt von Maren Lübbke

M.L.: Es ist naheliegend mit einer Frage anzufangen, die dieses BILDERheft betrifft, denn Du hast Dich entschlossen kein Bildmaterial zu zeigen, wie es das Konzept dieser BILDERhefte vorsieht, sondern an diese Stelle ausschließlich Text zu setzen. Warum?

H.K.: Meine Arbeit lässt sich extrem schlecht reproduzieren. Und das empfinde ich auch immer ein wenig als Vorteil – auch wenn es komisch klingen mag –, weil ich es gut finde, dass sich eine Arbeit nur in ihrer tatsächlichen Präsenz zeigen lässt. Ich mag das schnelle Durchblättern nicht. Obwohl es von praktischem Nutzen ist, wenn sich eine Arbeit gut reproduzieren lässt. Ich lege das aber nicht von vornherein in meiner Arbeit an, sie wird nur immer so, es endet immer mit schwer reproduzierbaren Arbeiten. Ausserdem gefällt mir der Zusammenhang mit dieser Abstrakt-Ausstellung ganz gut, denn es ist ja ganz interessant, wenn man zur Abwechslung nur einen Eindruck von der Arbeit bekommt, indem man über sie liest.

M.L.: Du hast Dich entschieden, in der Ausstellung eine Serie von Arbeiten zu zeigen, die von der rein formalen Erscheinungsweise her zweidimensional sind – unabhängig davon, was sich an Raum in den Arbeiten selbst zeigt. Mit Deinen Arbeiten reagierst Du gewöhnlicherweise aber in hohem Masse auf eine Raumsituation, die Du über die reine Reproduktion der Fotografien in einem Katalog nicht wiedergeben kannst. Mir schien es, dass auch das möglicherweise ein Grund ist, die Bilder nicht im BILDERheft zu zeigen. Oder zeigt sich der installative Gedanke auch in den zweidimensionalen Arbeiten selbst?

H.K.: Wenn sie gut funktionieren, dann verändern Arbeiten immer einen Raum, wenn sie schlecht funktionieren, dann verändert der Raum die Arbeiten. Ich finde es interessant, wenn man mit kleinen Eingriffen Räume transformieren kann, sie auf eine andere Ebene bringen kann. Auch die Bilder – die in diesem Fall eine ganz klare Begrenzung haben, anders als bei einer Rauminstallation, bei der man von vornherein auf eine Raumsituation eingeht – machen das durch, wenn man sie an der Wand montiert. Nur macht man das eben jedesmal anders. So als hätte man eine gewisse Anzahl von Elementen zur Verfügung, die man einer Gegebenheit entsprechend anders zusammenstellt – die in sich funktionieren und die mit dem Raum auf eine gewisse Weise umgehen. Das ist, wenn man so will, ein installativer Charakter, ich würde es aber eigentlich nicht so streng sehen.

M.L.: Um konkret auf die Bilder sprechen zu kommen: Es ist eine Arbeit, die sich aus einer gedanklichen Nähe zur Skulptur entwickelt hat.

H.K.: Das gilt für alle meine Arbeiten und ist kein Spezifikum der Werkgruppe, die ich zeigen werde.

M.L.: Vielleicht können wir zunächst den Begriff der Skulptur, der deinen Arbeiten unterliegt, klären: Denn es erscheint zunächst kurios, dass ein Künstler die Idee verfolgt, die Skulptur ihrer Dreidimensionalität zu entheben, um sie in die Zweidimensionalität zu überführen. Mir ist klar, dass die Skulptur heute keineswegs materiell an den dreidimensionalen Raum gebunden sein muss. Spätestens die Vertreter der Konzeptkunst haben durchgesetzt, dass sich Skulptur auch in anderen als den traditionellen Erscheinungsweisen konkretisieren kann, im Kopf zum Beispiel … Aber Du verfolgst ja keine konzeptionelle Absicht und forderst den Betrachter auf, Gedankenarbeit zu leisten, sondern es geht Dir um das Moment des Verflüchtigens und Du hast einmal des Begriff des Wasserdampfes – als ideale Skulptur – verwendet.

H.K.: Ich verfolge dabei ein persönliches Problem, denn ich habe vor langer Zeit festgestellt, dass sich dreidimensionale Arbeiten nie ideal präsentieren lassen. Es gibt jedesmal eine andere Raumsituation, eine andere Lichtsituation, man kann herumgehen, kurz: Man ist von den jeweiligen Verhältnissen in einem gegebenen Raum abhängig und die sind meist nicht ideal. Deshalb schiebe ich mittels Fotografie das dreidimensionale Objekt in den zweidimensionalen Raum, denn in diesem zweidimensionalen Bereich kann ich die Parameter bestimmen. Letztendlich hat mich aber dann mehr interessiert und interessiert mich bis heute, dass die zweidimensionale Fläche die zeitgenössische Form von Raum ist. Man kann davon ausgehen, dass die Wahrnehmung von Welt oder Realität heute hauptsächlich über die Zweidimensionaliät der Medien abläuft: Fernsehen, Film oder in den letzten Jahren über das Internet, den Computer. Wir nehmen also Informationen über unsere Umwelt, unser soziales Umfeld in erster Linie zweidimensional auf. Und ein weiterer Gedanke, der es mir interessant erscheinen lässt, mit Raum im zweidimensonalen Bereich zu arbeiten, ist, dass Raum ja in gewissem Sinn ein Anachronismus geworden ist, weil es genau das ist, was wir am wenigsten zur Verfügung haben, eine endliche Ressource, die ein Privileg geworden ist, die sich nur Wenige entsprechend leisten können.

M.L.: Du eröffnest damit einen weiten Verweisungszusammenhang, der gesellschaftliche, auch kritische Phänomene miteinbezieht … Aber am Ende bleibt die Absicht, ein transzendenten Raum zu öffnen?

H.K.: Der aber natürlich ein rein imaginärer ist.

M.L.: Tatsächlich? Das ist mir nicht unbedingt klar. Denn wenn Du eine weiße Fläche fotografierst, auf der sich Schatten abzeichnen, die ich zunächst gar nicht wahrnehme, sondern nur dann, wenn ich meinen Blick schweifen lasse, eröffnet sich doch ein konkreter, wenn auch flüchtiger Raum. Oder meinst Du imaginär im politischen Sinne von: eine Vorstellung von – meinetwegen gesellschaftlichen – Verhältnissen entwickeln?

H.K.: Wenn man streng von der Wahrnehmung herangeht, ist der Raum in meiner Arbeit natürlich ein rein imaginärer. Es ist kein illusionistischer, es ist ein imaginärer Raum. Denn eine Form von Illusionismus versuche ich immer zu vermeiden. Darum gibt es auch nicht so etwas wie Perspektive oder ähnliches – diese gängigen klassischen Hilfsmittel, um Raum auf einer Fläche zu erzeugen. Imaginär ist der Raum sehr wohl, denn er existiert nur in deinem Kopf. Die Fläche bleibt ja tatsächlich eine Fläche. Wir könnten aber natürlich auch sagen, dass alles, was das Gehirn wahrnimmt keinesfalls imaginär ist, aber das ist ein völlig anderes Thema.

M.L.: Okay. In diesem Zusammenhang fallen mir natürlich Maler wie Marc Rothko ein. Obwohl er in einem ganz anderen Medium arbeitet: Siehst Du Dich in der Nähe zu solchen Positionen?

H.K.: Alle diese Etikettierungen sind nur für den Diskurs interessant, für die Arbeit selbst spielen sie überhaupt keine Rolle – ob wir es nun mit Malerei, Fotografie, Film oder irgend etwas anderem zu tun haben, ist gleichgültig. Aber natürlich glaube ich, dass man als Künstler nur mit einem Vokabular arbeiten kann, dass sich auf eine Auseinandersetzung mit dem stützt, was gerade passiert und was bereits geschehen ist. Man beschäftigt sich damit, weil das einfach der Bereich ist, in dem man arbeitet. Man könnte natürlich eben so gut sagen, dass Einflüsse von einer gewissen formalen Vorgangsweise stammen oder von einer bestimmten Musik, die man gerne hört, von gewissen Orten, an die man gerne reist oder von Büchern, die man gelesen hat. Oft aber ist die Arbeit dann dem entgegengesetzt. Ich kenne viele Leute, deren Arbeit sehr reduziert ist, aber die dann zum Beispiel unglaublich opulente Musik lieben. Es ist ja nicht immer so, dass jemand, der sparsam arbeitet, dann auch ein sparsames Leben führt – oft ist ja genau das Gegenteil der Fall. Sonst könnte man sich ja selbst nicht ertragen.

M.L.: Würdest Du sagen, dass es in Deiner Arbeit einen absurden Sprung gibt? Denn Du bedienst Dich einerseits dem Medium der Fotografie – als ein Objektivität suggerierendes Medium –, gehst andererseits weg von dem, was der Fotografie nachgesagt wird, nämlich Abbild von Realität zu sein.

H.K.: Das stimmt nicht ganz. Alles, was Du in meinen Arbeiten siehst, gibt es ja tatsächlich. Ich kann nur das Werkzeug gegen den Strich verwenden und die grundlegenden Eigenschaft des Werkzeuges: dass etwas vor der Linse gewesen sein muss, um es dann auf das Bild zu bringen …

M.L.: Das stimmt schon. Wobei Du dann aber extrem weggehst vom Dokumentationscharakter, den die Fotografie hat.

H.K.: Ich richte bloß meine Aufmerksamkeit auf sehr einfache Elemente …

M.L.: Wenn ich dem folge, ist es dann doch eine konkrete Arbeit, weniger eine abstrakte.

H.K.: Ich glaube ja noch immer, dass es keine abstrakte Fotografie gibt – als strenge Bezeichnung, obwohl diese Bezeichnungen ohnehin so langweilig sind, wirklich so fad.

M.L.: Mir geht es weniger um Stilfragen, sondern eher um den Gedanken: Gibt es überhaupt ein Bild, das Realität abbildet – nicht im Sinne seines Authentizitätsgehalts, sondern eher verbunden mit der Frage: Welche Parameter sind entscheidend, um ein Bild als ein realistisches dingbar zu machen. Ein gemaltes Bild setzt sich immer aus abstrakten Flächen zusammen, selbst wenn es am Ende realistisch erscheint. Es geht mir gerade darum, einen Weg zu finden oder eine Argumentationslinie, die Kategorisierung abstrakt versus real aufzulösen. Und zwar nicht, weil ich Kategorisierungen grundlegend sinnlos finde, sondern weil man damit neue Parameter zur Betrachtung von Bildern in den Diskurs einführen könnte.

H.K.: Das kann man natürlich bis zur Absurdität verfolgen: Das schönste Urlaubsfoto ist eigentlich eine abstrakte Zusammensetzung von Molekülen, die sich so arrangiert haben, dass wir Mama und Papa im Wasser sehen. Letztlich kommt es nur auf den Abstand des Auges an. Aber ich weiss nicht, ob dieser Zugang unglaublich sinnvoll ist, weil man dann unweigerlich in einer Art von Physik endet, die den Zugang zu Kunst oder zu einer Arbeit nicht erleichtert. Im Gegenteil. Im Bereich der Kunst ist es eher sinnvoll, möglichst grosse Strukturen und grosse Zusammenhänge zu sehen, anstatt immer weiter zu zerteilen. Der Gedanke, „Wie sehe ich ein Bild überhaupt an?“, entfernt einen ja von dem, was man ansiehst – sehr modisch in den letzten 20 Jahren. Wie nehme ich Kunst wahr, wie schaue ich auf etwas, wie sehe ich etwas. Der Prozess wird mehr thematisiert, als das Ding selbst – was auch einmal interessant und durchaus legitim ist, aber man darf sich dann nicht wundern, wenn der ursprüngliche Gegenstand der Betrachtung auf der Strecke bleibt oder verschwindet. Was diesbezüglich wirklich von Interesse ist, wurde ja schon in der ersten Hälfte des Jahrhunderts gesagt – zum Beispiel von Wittgenstein. Was wir jetzt erleben ist die Ausschmückung, der jeweils modische Zuckerguss.

M.L.: Fernab von Diskurstheorie: Die Troubled Walls sind also eindeutig mit der Aufforderung an den Betrachter verbunden, den Blick schweifen zu lassen?

H.K.: Weiterführungen der Wahrnehmung oder Unterbrechungen.

M.L.: Die sich nur auf das Bild beziehen? Oder wie ist das mit dem Umraum?

H.K.: Das Bild soll sich als Bild zu erkennen geben, es muss sich deklarieren, aber sehr wohl mit seinem Umfeld eine Art von verändernder Beziehung eingehen.

M.L.: Formal verhält es sich ja so, dass Du die Flächen versiegelst, dickes Glas vor das Fotopapier gibst, das den Umraum durch Spiegeleffekte mit ins Bild lässt. Der Raum lässt sich unendlich fortsetzen. Es gibt keine Rahmung.

H.K.: Aber es gibt eine Grenze.
M.L.: Es gibt eine Grenze, indem das dicke Glas einen beinahe objekthaften Charakter herbeiführt.

H.K.: Genau, durch dieses hermetische Versiegeln definiert es sich ganz eindeutig als etwas vom Untergrund zu Unterscheidendes.

M.L.: Geht es Dir in Deinen Arbeiten rein um das Aufbrechen bestimmter Wahrnehmungskategorien, um die Erzeugung einer neuen oder spezifischen Seherfahrung? Oder würdest Du – gerade auch vor dem dem Hintergrund Deiner installativen Arbeiten, in denen Du zum Beispiel mit den Ecken eines Raumes gearbeitet hast (Brigitte Huck sprach hier sehr einleuchtend von der „Umstülpung“ der Wahrnehmung des Raumes) – auch sagen, dass das ein Statement zum White Cube ist und all dessen, was an diesem Raum haftet und an diesem Raum klebt? Geht es Dir auch um einen Kommentar zu einer bestimmten Ausstellungssituation oder schärfer formuliert: um eine institutionelle Kritik?

H.K.: Mich interessiert, mit möglichst sparsamen Eingriffen eine gegebene Raumsituation zu verändern, mit ganz kleinen oder mit möglichst kleinen Eingriffen etwas Vertrautes zu etwas Fremdem zu machen. Da haben sich bei einigen Installationen die Raumecken gut geeignet, weil das ein Bereich ist, der von der Kunst nie bespielt wird. Das Eck ist etwas, wo für Kunst kein Platz ist. Andererseits kann man dort unglaublich viel bewirken, weil sich genau dort der Raum als geschlossener Raum definiert, man kann ihn dort aufbrechen. Meine Arbeit ist zwangsläufig immer eine Art von Stellungnahme zu dem, was ein Besucher einer gewissen Institution erwartet, wenn er einen Raum betritt. Für mich war bei den Arbeiten, die sich auf die Ecken konzentrieren, interessant, dass sie den Teil, wo normalerweise Kunst stattfindet, ignorieren: Der erste Blick fällt ins Leere. Aber sehr wohl war die weiße Wand, diese Leere, Teil der Sache. Man spannt eine Klammer, wo man nicht sagen kann, das dazwischen gehört nicht dazu, sondern das wird natürlich Teil des Ganzen. In dem Augenblick, wo man etwas in Bereiche verlegt, wo normalerweise keine künstlerischen Eingriffe erwartet werden, sehen die Leute im ersten Augenblick nichts, sie schauen sich um und denken: Der Raum ist leer.

M.L.: Aber Du siehst Dich in diesem Zusammenhang nicht in einer Reihe von Künstlern, die mit ihren Arbeiten institutionskritische Anliegen verfolgen?

H.K.: Viel wichtiger sind doch Wahrnehmungserfahrungen. Ich kann ja in dem Augenblick, wo ich mir überlege, was ich wie mache, nur von der Position des Betrachters ausgehen. Ich kann nicht ausgehen von der Position der Institution oder besser: ich könnte schon, aber es interessiert mich nicht. Mich interessiert vielmehr der Mensch, der da reinspaziert und sich das anschauen will. Das ist die Position, mit der ich mich identifizieren kann, die kenne ich gut, da ich selbst ständig in dieser Situation bin. Es ist mir einfach näher. Das ist vielleicht ein naiver Zugang, aber ich kann mich besser damit auseinandersetzen, weil es mir vertraut ist. Ich muss die Positionen, mit denen ich mich beschäftige, möglichst gut kennen. Ich muss über alle möglichen Enttäuschungen oder Erwartungshaltungen Bescheid wissen, um mit diesem Vokabular umgehen zu können. Ich arbeite nicht für eine Institution, ich arbeite – ich sage das jetzt ganz naiv – wiederum nur für Menschen, die die Sachen, die ich mache, ansehen. Und mich interessiert dieser kürzere Weg ein bisschen mehr. Die Institution ist mir wirklich herzlich egal. Institutionen sind ein wenig wie die Garage fürs Auto. Aber wenn man mit 160 über die Autobahn fährt, denkt man auch nicht an die Garage.

M.L.: Ich habe selten einen Künstler getroffen, der von sich behauptet, er arbeitet für den Betrachter. Die Theorie der Rezeptionsästhetik, wie sie die Kunstgeschichte entwickelt hat, ist mir schon vertraut, aber die meisten Künstler – zumindest die, denen ich bislang begegnet bin, würden sagen – sie arbeiten für sich oder sie arbeiten, weil sie eine Aufgabe zu erfüllen haben – die sich aber meistens nicht so unmittelbar mit dem Betrachter verbindet, sondern sogenannte „höhere Ziele“ verfolgt.

H.K.: Wir sind alle Betrachter. Du kennst das ja selbst auch. Wir gehen ständig in Museen und in Galerien und es ist ja nicht so, dass der Künstler nie Betrachter ist. Der Künstler ist mehr Betrachter als er Künstler ist. Das ist eine Rolle, die sehr vertraut ist. Letztlich ist es die Instanz, mit der man sich zu beschäftigen hat. Eine Institution ist etwas Unpersönliches. Sie hat einen gewissen Stellenwert in der Gesellschaft, wo man sagt: Kunst gehört ins Museum oder Kunst gehört nicht ins Museum oder die Galerie muss kommerziell sein oder informativ. Das kann man natürlich diskutieren, nur hat das tatsächlich, ehrlich gesagt, in meiner Arbeit keine Bedeutung. Das ist mir einfach zu fern.

M.L.: Würdest du sagen, dass Du mit deinen Arbeiten eine romantische Haltung einnimmst?

H.K.: Wie kommst Du auf den Gedanken, dass da eine romantische Haltung sein könnte? Wo ist das romantische Element?

M.L.: Oh  weiha… Eine romantische Haltung wäre vielleicht so etwas, wo es um einen Prozess von Verinnerlichung geht. Ich komme darauf, weil es in Deinen Fotografien möglicherweise um den Versuch geht, einen grenzenlosen Raum zu schaffen, einen Raum, der unendliche Tiefen und Weiten hat und in den man sich hineinversenken kann oder auch darin verschwindet.

H.K.: Verschwindet man darin? Ich denke, man wird wieder auf sich selbst zurückgeworfen. Jedes Bild ist eine Art von Schnittstelle, wo etwas von dir hineingeht und wieder etwas zurückgeworfen wird. Im Idealfall unterscheiden sich die beiden ein wenig, so dass das ursprüngliche Gefüge etwas verändert wird.

M.L.: Wenn es um Entgrenzung des Raumes, Weite, Tiefe, auch um Unendlichkeit geht, um einen transitorischen Prozess (siehe Wolkenmotiv in Deiner Arbeit) und das Thema des Sich-Verflüchtigens so wesentlich ist und Du versuchst, Licht in seiner elementaren, aber nicht fassbaren Erscheinung zu sich selbst zu verhelfen – dann hat das weniger etwas mit Entmaterialisierung zu tun (das auch), sondern auch mit einer geistigen Haltung, für die ich romantisch jetzt spontan einigermassen treffend finde.

H.K.: Ich finde interessant, wie Du das als romantisch interpretierst. Auf diese Idee wäre ich nie gekommen. Ja, es stimmt natürlich: Es geht um diesen Gedanken des Verschwindens der Grenzen, der klaren Abgrenzungen, um das räumliche Empfinden ohne klare Begrenzung. Mich irritiert oder stört, wenn jemand sagt, dies oder jenes beginnt hier und hört da auf. Und dann geht man auf die andere Seite und dann fängt es noch immer hier an und hört da auf. Diese klaren Definitionen vom Raum, der das dreidimensionale Objekt einnimmt, stören mich. Man kann sagen, dieses Umfeld ist ideal, jenes nicht, aber letztendlich gehört es nicht dazu. Ich bin am Gegenteil interessiert: Wie schaffe ich es, diese Grenzen zu eliminieren. Wäre es möglich, eine Skulptur ohne klare Begrenzung tatsächlich im Raum zu machen würde ich es wahrscheinlich tun. Es geht nur technisch noch nicht. So sind alle meine zweidimensionalen Arbeiten eigentlich nichts anderes als Diskussionsbeiträge zu einer Art von immaterieller Skulptur. Beiträge zur Immaterialität, die man dann wiederum nur mit Material realisieren kann – leider! Und darum ist es vielleicht ganz gut sich über die Ausstellung zu unterhalten, weil man so dem Bild vielleicht näher kommt, als wenn es in einen Katalog gedruckt wäre. Vielleicht ist das romantisch. Ich weiss es nicht. Vielleicht ist dieses Hinterher-Laufen romantisch. Weil ich ja gleichzeitig weiß, dass diese Versuche auf der Fläche, diese zweidimensionalen Vorschläge immer nur, wie gesagt, Beiträge zu einer Überlegung sein können. Das sind nur Gedanken dazu. Was heißt eigentlich romantisch?

M.L.: Wenn ich böswillig wäre, könnte ich sagen: Eine romantische Haltung ist eine an den konkreten Umständen des Lebens vorbeigehende, weltfremde Haltung. Bezogen auf Deine Arbeiten könnte ich sagen: Wenn eine räumliche Entgrenzung gelingt, ist das ein Abheben in eine andere Dimension.

H.K.: Und wenn man es gutwillig interpretieren würde?

M.L.: Dann würde ich vielleicht sagen: Ein Romantiker klebt nicht an die Dingen. Und bezogen auf Deine Arbeiten: Abheben in eine andere Dimension ist ja nichts Schlechtes.

H.K.: Würdest Du einen Künstler wie Turrell als Romantiker bezeichnen?

M.L.: Vielleicht. Oder doch eher: Nein. Denn obwohl ich Turrell sehr bewundere mit seinen Installationen, die dich entheben von einer ganz konkreten Bewegung in einem Raum und dein ganzer Körper durch das Licht – physisch – in seinen gewohnten Bewegungsmechanismen gestört wird, stören mich die Nachbilder, die du aus der Installation mit raus nimmst und dir sprichwörtlich vor Augen führen, dass du gerade einem optischen Phänomen erlegen bist, dass zurückzuführen ist auf Reizungen der Retina.

H.K.: Worüber wir sprechen ist dann eigentlich ganz etwas anderes. Anscheinend geht es immer um einen diskursiven Prozess. Dass man etwas aussendet und – wie ich vorher schon kurz erwähnt habe – etwas zurückkommt, das einen dann ein wenig verändert, das etwas beeinflusst. Es geht eher um eine diskursive Sache, bei der man nicht in eine bekannte Bodenlosigkeit fällt, sondern etwas von der anderen Seite kommt. Das ist ja der Idealfall des Kunstwerkes. Wenn die Information, die zurückkommt, deine Struktur etwas aus dem Lot bringt, aus der gewohnten Position ein bisschen wegrückt. Das wäre letztendlich die ideale Situation, sei es intellektuell, sei es emotional. Nichts besser als das, passiert leider zu selten. Das heisst, eigentlich ist die Auseinandersetzung mit einem Kunstwerk immer eine ganz persönliche. Weil man es natürlich, indem man es ansieht, total verändert. Vielleicht ist diese ganze Auffassung unglaublich romantisch.

M.L.: Das Romantische als eine Form von selbstreferenzieller Wahrnehmungsschärfung. Man nimmt etwas in Augenschein und es öffnet sich ein Raum. Und daran kann ich meine eigene Wahrnehmung überprüfen oder er gibt mir etwas anderes zurück. Das wäre dann der Prozess, der in diesem Raum stattfindet …

H.K.: Und wenn du rausgehst, ist das alles weg?
M.L. Vielleicht gehst du raus und denkst auf einer wie auch immer gearteten Ebene weiter. Entweder du denkst Wow, das hat mir einen ganz bestimmten Kick verschafft, das war sozusagen transzendierend, oder du hebst es auf eine intellektuelle Ebene, nach dem Motto: Wozu ist die Fotografie heute nicht alles imstande?!

H.K.: Und wo ist der transzendente Bereich dabei?

M.L.: Wegführung vom Material? Oder doch: abdriften in space …?
H.K.: Das Wort ist so belastet. Wenn ich Transzendenz höre, sehe ich vor mir immer meditierende Yogis oder ähnliches. Das interessiert mich ja überhaupt nicht. Aber ja, wenn es uns wegführt vom Material: wunderbar! Das Material ist ja nur solange wichtig, als es Vehikel ist, ein Transportmittel für irgend etwas anderes. Material als primären Bedeutungsträger lehne ich ab. Insofern kann ich dem, was Du sagst zustimmen: Wenn transzendent das ist, was mich vom jeweiligen Materialcharakter wegführt.

M.L.: Wie geht es Dir mit der Erfahrung, am Computer zu arbeiten? Denn dort gibt es ja gar kein konkret fassbares Material mehr, sondern nur noch „abstrakte“ Daten.

 

H.K.: Ich habe den Computer ganz gern, weil man alles mit einer gewissen Ruhe und Gelassenheit machen kann. Man sitzt davor und hat alle Zeit der Welt, kann speichern, wenn man später weitermachen will. Beängstigend ist diese endlose Anzahl von Optionen, und dass man immer wieder alles rückgängig machen kann, alles ganz einfach auch anders machen kann. Das ist ein Problem mit dem man umzugehen lernen muss. Aber irgendwann beruhigt man sich. Man hört auf, Entscheidungen zu fällen, die man ansonsten mit einer Endgültigkeit treffen muss. Es werden Kriterien wie Gut und Schlecht anders. Und ich finde es eher angenehm, wenn das alles nur noch gespeicherte Pixel sind und man sich wieder weiter in Richtung Immaterialität bewegt.

M.L.: Es ist interessant, dass Du Dich in Deiner Computerarbeit ausgerechnet für ein eindeutig entschlüsselbares Motiv entschieden hast: Wolken. In der Fotografie führt vieles ins „Nichts“ – letztlich, um ein Volumen herzustellen – und am Computer scannst Du Wolken – ein echtes, klassisches Motiv! – ein, um sie dann digital weiter zu bearbeiten … Umgekehrt würde das ein bißchen logischer, leichter nachvollziehbar klingen.

H.K.: Es ist interessant. Bei den früheren Lichtarbeiten aus den End-Achtziger Jahren, die nur dunkel und licht sind, haben immer alle Leute gemeint, die wären ganz einfach am Computer zu machen. Ich habe es dann probiert… und komischerweise: Es hat nie funktioniert. Das war immer zu gerechnet. Da fehlen die Störungen die es interessanter machen. Es wurde zu perfekt, kam mir unglaublich glatt vor. Die Arbeiten, die man mit Kamera und Licht gemacht hat, die schafft man nie mit so einer Perfektion. Die funktionieren einfach besser. Es schaut ganz anders aus. Dieser kleine Unterschied war mir wichtig.
M.L.: Was war die Motivation für das Wolkenmotiv?
H.K.: Auch da geht es wieder um temporäre Volumina. Die Wolke ist für uns der Inbegriff des Temporären, sie ist da – und schon wieder weg oder völlig verändert. Ich habe es reizvoll gefunden, mit so etwas zu arbeiten, mit so etwas Flüchtigem, das man aber dann doch wieder in eine Form bringen kann. Und gleichzeitig ist mir auch – und das ist ein politischer Moment, darüber haben wir noch gar nicht gesprochen – der Begriff der Schönheit unglaublich wichtig. Ich weiß, dass das das Unwort in der Kunst ist. Schön darf sie unter keinen Umständen sein. Das ist etwas, das mich unglaublich interessiert, nicht nur in der Kunst, sondern auch generell in unserem Leben. Bei Produkten, die oft so unglaublich sexy aussehen – die haben oft so eine Art von verführerischer Schönheit, die ich spannend finde und das finde ich auch in der Kunst spannend. Interessanterweise waren es ja vor allem die Amerikaner, die sich damit auseinandergesetzt haben, vielleicht weil die Sehnsucht danach dort viel manifester ist. In Europa ist es ein Unwort, das im Zusammenhang mit Kunst möglichst nicht vorkommen soll. Das ist etwas, das ich immer im Hinterkopf habe, darauf sollte man nicht vergessen. Aber vielleicht ist das auch wieder unglaublich romantisch.

M.L.: Stimmt, Schönheit in der Kunst wird eigentlich gar nicht diskutiert, wird totgeschwiegen. Schönheit ist maximal eine Kategorie, die man einführen könnte, um die Selbstverliebtheit und Ichbezogenheit in der Gesellschaft am Ende der neunziger Jahre, die Ästhetisierung von Lebenswelten, zu beschreiben. Im Sinne von: Passt die Form meines Kühlschrankes noch zu meinem momentanen Lebensgefühl und lässt sie sich vereinbaren mit meinem Umfeld (und das schließt auch die Szene, in der du dich bewegst, mit ein). Aber in einem Kunstdiskurs taucht der Begriff der Schönheit – dingbar zu machen an einem Bild – eigentlich gar nicht mehr auf … Insofern scheint es aber dann auch konsequent, die Wolkenbilder am Computer zu bearbeiten, auch, um dem Vorwurf des Naturalismus zu entgehen.

H.K.: Ich gehe ja nie raus von hier. Ich glaube, ich habe noch nie eine Arbeit gemacht, die nicht unmittelbar auf dem beruht, was hinter dieser Tür zu finden oder zu sehen war. Ich weiß eigentlich nicht warum, aber es ist so. Das wesentlichste aber ist, dass der Computer unsichtbar bleibt. Das halte ich wirklich für das entscheidende Manko am Großteil der Computerkunst. Dass sie immer explizit als Computerkunst daherkommt, was völlig bedeutungslos ist. Es geht nicht um das Werkzeug, sondern um die Sache selbst und genau da liegen ja die Möglichkeiten des Computers, dass man nämlich mit ihm arbeiten kann, ohne dass man ihn sieht.

M.L.: Das Problematische am Computer ist einerseits, dass man ihn als Medium immer so stark in den Vordergrund stellt, stimmt. Andererseits scheint mir auch problematisch, dass man mit dem Computer relativ schnell relativ gute Bilder erzeugen kann, die halten aber komischerweise nicht lange. Und ich bin mir noch nicht im Klaren darüber, ob es daran liegt, dass es noch keinen professionellen Umgang mit dem Medium gibt oder einfach daran, dass sich eine künstlerische Arbeit oftmals sofort als Computerarbeit zu erkennen geben muss … , dass es offenbar noch nicht selbstverständlich ist, mit diesem Medium zu arbeiten … Man kann es kaum umgehen, es muss sich immer zu erkennen geben. Interessant wird es doch eigentlich erst dann, wenn das computergenerierte Bild das Medium nicht mehr zum Thema macht.
H.K.: Wenn es eine gewisse Selbstverständlichkeit bekommt wie alles andere auch und nicht nur mit diesem Etikett daherkommt, wenn es einfach Werkzeug wird, ein Instrument zur Erzeugung von Bildern. Wenn es keine Geheimwissenschaft mehr ist, wie man diese Sachen macht. Wir sind ohnehin am besten Weg dorthin. Genauso wie mit den Arbeiten im Internet. Internet ist a priori noch keine Qualität und die meisten Arbeiten funktionieren auch nicht, man fragt sich, warum das im Internet ist, das kann man auch in einem Katalog abdrucken. Auch hier muss man lernen, mit diesem Medium und seinen speziellen Möglichkeiten ganz selbstverständlich umzugehen.

M.L.: Auch wenn es in Deiner Arbeit thematisch um Entstofflichung geht: Begleitet Deine Arbeit nicht die Sorge, dass spezifische haptische Qualitäten durch den Einsatz technischer Medien verloren gehen? Gerade die Wolkenbilder erscheinen so opulent – als drückte sich darin der Wunsch aus, entgegen dem extremen Reduktionismus, der Deine Arbeit sonst begleitet, zwar Deinem Thema des entgrenzenden Volumens treu zu bleiben, aber dennoch wieder ein Stück „Natur“ ins Bild zurückzuholen.

H.K.: Wasser zum Beispiel ist etwas ganz Tolles. Ich sehe mir weniger Sonnenuntergänge an, als diese ewig bewegte Oberfläche. Wenn man so etwas im Bereich der Kunst leisten könnte, wäre das phantastisch – eine Fläche, die ständig gleich bleibt, aber nie ident ist, wo man stundenlang hinschauen kann, weil konstant irgend etwas in Veränderung begriffen ist und sich konstant etwas abspielt, aber auch nicht zu viel. Ich finde, es verändert einen auch ein wenig. Wasseroberflächen sind so gesehen sehr subtile Vorläufer des Fernsehbildes. Eine Analogie findet man ja noch im weißen Rauschen – wahrscheinlich das beste Programm. Aber so, wie man Natur präsentiert bekommt … und damit kehren wir wieder an den Anfang unseres Gesprächs zurück, als wir über die mediatisierte Wahrnehmung sprachen: Man sieht in Filmen oft herrliche Landschaften oder Städte, aber der Ausschnitt der Kamera gibt eine bestimmte Perspektive vor: Man schneidet hier an und lässt den Müllberg rechts raus und so weiter. Natur zeigt sich in der mediatisierten Welt immer „bigger than life“, und wenn man dann tatsächlich dort ist, dann ist alles plötzlich nur noch „life“. Deshalb steht bei mir der Computer zwischen Kamera und Bild. Dadurch kann ich wieder gestaltend eingreifen. Natur selbst ist eigentlich immer enttäuschend.

(textliche Betreuung: Maren Lübbke)