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Ausstellungen

ABSTRAKT III

INGE DICK

2. September 1999 – 2. Oktober 1999

Inge Dick (AT)

Kataloge | Schwerpunkt: ABSTRAKT 1999

Der Schwerpunkt der FOTOGALERIE WIEN 1999 wurde mit dem Überbegriff Abstrakt beschrieben. Der Terminus „abstrakt“ sollte die formale Klammer zwischen jenen vier künstlerischen Positionen bilden, die in periodischen Abständen mit je einer Einzelausstellung den Raum der Galerie bespielten: beginnend mit Mina Mohandas, gefolgt von Kilian Breier und Inge Dick, abschließend mit Herwig Kempinger (…). Der Begriff „ abstrakt“ ist in diesem Ausstellungszyklus als rein formale Klammer zu verstehen (…). Mit Abstrakt ist keineswegs die Programmatik der Ausstellungsreihe beschrieben, um inhaltliche Paradigmen auf einen Punkt zu bringen. Vielmehr bearbeiten alle vier KünstlerInnen unterschiedliche Themenfelder, wenngleich durchaus Überkreuzungen in den Ideen und Ansätzen zu bemerken sind: Bei Inge Dick und Kilian Breier geht es um Abmessungen von Licht und Zeit, Mina Mohandas und Herwig Kempinger stellen mit ihrer Arbeit flüchtige und temporäre Volumina her.

Die fotokünstlerische Arbeit Inge Dicks (geb. 1941) ist als konsequente Weiterführung beziehungsweise Erweiterung ihrer konzeptuellen Malerei zu verstehen. In der Malerei – die Inge Dick seit den frühen Siebzigern betreibt und bis heute kontinuierlich verfolgt – geht es der Künstlerin um das Sichtbarmachen von Farbverläufen, die die zeitgebundene Veränderung von Lichteinfall mit sich bringt. Methodisch läßt sich ihre Malerei als Abmessung von Licht beschreiben, die von ihr in ihrer Malerei fast ausschließlich verwendete Farbe Weiß erscheint nur auf den ersten Blick monochrom, im genauen Schauen erkennt der Betrachter die feinen Nuancierungen und die im Weiß enthaltene Farbpalette, die sich durch die Reflexionen von Lichteinfall gezeigt hat und von der Künstlerin mit ins Bild aufgenommen wurde. Mit ihren Lichtmessungen versucht Inge Dick auf den Grund von Farbwirklichkeiten vorzudringen. Denn in dem Wissen darum, daß unsere Wahrnehmung Konditionierungen unterliegt, die Farben oftmals korrigiert erscheinen läßt, ist ihre Arbeit daraufhin konzeptioniert, Lichterscheinungen gegenwärtig und konkret erfahrbar zu machen. Ihre Arbeit ist „keine mimetische Umsetzung von Dingen der Wahrnehmungswelt“, sondern der Versuch, die „Unmittelbarkeit des Wirklichen“ bildnerisch umzusetzen. (Heinz Gappmayr)

Parallel zu ihrer Malerei entstanden in den letzten Jahren Fotografien. In der Hauptsache arbeitet Inge Dick mit Polaroidmaterial, das für ihr „Forschungsfeld“ besonders geeignet ist, da sich hier Licht und seine Erscheinung in Farbe unmittelbar und konkret zeigt. In Ein Tages Licht Weiß – 13.6.1996, 5.07 – 20.52 Uhr wurden zum Beispiel in skandierten, durch die Tageslichtintensität selbst vorgegebenen zeitlichen Folgen insgesamt neunundneunzig Polaroids, die einen Ausschnitt einer weißen Wand wiedergeben, belichtet. Ausschlaggebend für die Skandierung war der Belichtungsmesser: Sobald ein differenzierter Lichtwert von drei bis vier Zehntelsekunden minus oder plus bei unveränderter Kameraeinstellung gegeben war, wurde ein Bild aufgenommen. In dieser Arbeit hat sich gezeigt, daß sich mit der Fotografie Ähnliches darstellen läßt, was sich Inge Dick in ihrer Malerei durch exakte Berechnungen erarbeiten mußte: das An- und Abschwellen von Farbschattierungen im Zeitverlauf. Die aufgenommene weiße Fläche hat sich – je nach Lichteinfall – in einem unglaublichen Farbenspektrum von Weiß über die verschiedensten Blautöne bis hin zu Schwarz gezeigt.
Neben ihrer Arbeit mit der Polaroid-Kamera fotografiert Inge Dick das Blau des Himmels. Hier zeigt sich ein weiteres Mal ihr  künstlerischer Ansatz, mit ihrer Arbeit das Numinose, die Substanz des Lichts und seine sich stetig verändernde Erscheinung im Zeitverlauf einfangen zu wollen. Denn das, was eigentlich immateriell ist – Licht und Zeit – , versucht Dick mit ihrem strengen Konzept konkret erfahrbar zu machen. Das Blau des Himmels – als Farbe der Tiefe und der Ferne, vor allen Dingen aber als Farbe des Lichts und des Schattens – zeigt sich in ihren Arbeiten ein weiteres Mal in all seinen Nuancierungen. Ein Himmel, der vor unseren Augen als gleichmäßiges Blau erscheint, zeigt sich in der Fotografie als kontinuierlicher Farbverlauf von Hellblau zu Dunkelblau.
Inge Dick macht diese Bewegung durch die Wahl kleinerer Ausschnitte transparent: Durch die Parzellierung der Bilder als Farbabschnitte werden die Farbveränderungen durch das Licht für das Auge des Betrachters überhaupt erst erkenn- und wahrnehmbar.
Erst in letzter Zeit rastert Inge Dick ihre Aufnahmen vom Himmel mit Hilfe digitaler Bildbearbeitung auf. Der grobe Raster des Himmels zeigt nicht nur unterschiedlichste Blautöne, sondern – ähnlich wie in ihrer Malerei – eine ganze Palette von verschiedenen Farben. Diese Arbeiten sind einerseits ein Kommentar zum Farbensprektrum des Lichts, das durch konditionierte Seherfahrungen oftmals anders erscheint als es tatsächlich ist. Andererseits legt diese Serie von Fotoarbeiten auch die Struktur offen, mit der die Fotochemie Farben erzeugt. Wir haben es hier also nicht nur mit einem Versuch zu tun, die Unmittelbarkeit des Wirklichen konkret erfahrbar zu machen, sondern auch mit einer Selbstreflexion bezogen auf das Medium, das Inge Dick für ihre Arbeiten einsetzt. Das Sichtbarmachen von fotochemischen Prozessen führt dem Betrachter vor Augen, daß die Fotografie – eine Objektivität der abgebildeten Wirklichkeit suggerierendes Medium – auch ein Mittler des veränderten Bildes von Wirklichkeit und der veränderten Wahrnehmung von Wirklichkeit ist. Die in der Fotografie erfahrene Wirklichkeit ist also auch eine über das Medium vermittelte.

In erster Linie geht es bei Inge Dick jedoch um „das Sichtbarmachen des Lichts im Zeitablauf und  – umgekehrt – des Zeitablaufes mit Hilfe des Lichts.“ (Eugen Grominger)

(textliche Betreuung: Maren Lübbke)