Eröffnung: Mittwoch, 24. April 2019, 19.00 Uhr
Einführende Worte: Petra Noll-Hammerstiel
sponsored by: BKA Österreich; MA7-Kultur; Cyberlab
Transformatorische Prozesse, die einhergehen mit der Auflösung oder der Abstrahierung bzw. Mutation von Form, um daraus neue Formgebungen zu gewinnen, bestimmen die Arbeiten der ausstellenden KünstlerInnen. Die „abwesende Form“ ist oftmals der Körper, von dessen Präsenz nur noch Spuren, Abdrücke, Fragmente zeugen, aus denen wiederum Bilder von minimalistisch-skulpturaler Qualität entstehen. Die KünstlerInnen bewegen sich in den Bereichen zwischen Materialität und Immaterialität, Fläche und Raum, innen und außen, positiv und negativ. Neben der Beschäftigung mit Form-Nichtform liegt den Transformationen die Auseinandersetzung mit der Existenz – deren Charakteristikum und Triebkraft die Unbeständigkeit, die ständige Veränderung ist – wie auch mit sozialen, künstlerischen und nicht zuletzt fotografischen Prozessen zugrunde.
Judith Huemer präsentiert die work-in-progress-Fotoserie wornout. Textile Arbeiten sind von Anfang an in ihrem feministisch geprägten Werk von großer Bedeutung. Für diese Serie hat sie farbige Strümpfe und Strumpfhosen, die von ihr über Jahre getragen und aussortiert wurden, zu einem stetig wachsenden Knäuel gewickelt und die einzelnen Stadien der Transformation bzw. des Wachstums fotografisch festgehalten. Es ist nicht nur eine Auseinandersetzung mit Skulpturalität im zweidimensionalen Bild sowie mit malerischen Aspekten, sondern auch mit verstreichender (Lebens-)Zeit. „Wie Jahresringe an einem Baum legt sich eine Schicht um die nächste, bewahrt die darunterliegende – so wie sich Erlebtes festsetzt und eine Persönlichkeit prägt“ (Nina Schedlmayer). Der Körper der Künstlerin ist abwesend; nur an wenigen Stellen sind Abdrücke ihrer Füße wahrnehmbar. Dennoch beinhaltet jedes der Strumpfknäuel etwas von ihrem gelebten Leben und von ihrer Identität.
Mit Arbeiten aus seiner großformatigen Serie von Digitaldrucken, Rien-Larache, geht Hermes Payrhuber an die Grenzen des Existentiellen. Die Prints zeigen die extrem vergrößerten Oberflächen von klebrigem Papier eines Kleiderfusselrollers mit Haaren, winzigen farbigen Fäden, Haut- und Staubteilchen sowie anderen mikrokosmischen Rückständen. Durch die Materialisierung dieser „überflüssigen“, ephemeren Abfälle der Reinigung von Kleidung verweist Payrhuber unmittelbar auf die Existenz bzw. auf den abwesenden Menschen. Payrhuber geht wie ein Forensiker vor, aber auch mit viel Ironie in Bezug auf die formale Methode. Durch die fotografische Transformation der Rückstände, die für das Auge nicht sofort sichtbar sind, in einen Makrobereich stimuliert er im Unterbewusstsein liegende Emotionen. Die abstrakt-expressiv wirkenden Bilder eröffnen eine Welt zwischen Ästhetik/Sinnlichkeit und Ekel, Leben und Vergänglichkeit, Präsenz und Absenz. „Eine Fotografie“, so Payrhuber, „kann uns zeigen, was unsere Augen nicht sehen können (…), kann ein Ereignis herstellen und Bedeutung erzwingen (…). Sie kann verführen oder abstoßen.“
In der fotografischen Serie Ochre, Canvas, Focus, Loop beschäftigt sich Elizaveta Podgornaia mit fotografischen Prozessen in Verbindung zu anderen Medien. Mit Objekten, Stoff und Farbe schafft sie neue Konstruktionen und Räume, die fotografisch in die Zweidimensionalität überführt werden. Sie ist demnach zuerst Bildhauerin, die die Konstruktionen baut, dann Malerin, die die Farbe aufträgt und zuletzt Fotografin, die das Licht setzt sowie Auswahl, Ausschnitt und Größe des Fotos bestimmt. Die Fotografien werden nicht digital nachbearbeitet. Ihre Arbeitsweise ist die der Mutation von Form, die Transformation realer, alltäglicher Materialien, aus denen abstrahierte, ästhetische Kompositionen entstehen. In diesen sind die Materialität bzw. die Strukturen der Stoffe und die aufgetragene Farbe sichtbar, aber das Bild als solches ist nicht eindeutig zuzuordnen. Podgornoia setzt sich mit der menschlichen Wahrnehmung in unserer Welt der Bilderflut auseinander und untersucht das Verhältnis von Realität und fotografischem Bild.
Hessam Samavatian zeigt mit Fotoemulsion beschichtete und in einem eigens entwickelten Verfahren belichtete sowie teilweise auch bemalte Gipstafeln. Es geht ihm, was die Motive auf den Tafeln anbelangt – Fotografien aus dem Besitz seines Großvaters –, um die Auseinandersetzung mit seiner Biografie, aber auch sehr stark um Form und Negativform, Präsenz und Absenz sowie um die Transformation von Materie von einem Zustand in den anderen. Als Negativform für die Gipstafeln dienten Fotoschachteln. Das Interessante am Gips, einem beliebten Material für Abgüsse und Negativformen, sind für Samavatian dessen konträre Zustände: Anfangs ist Gips geschmeidig, nach dem Aushärten jedoch spröde und zerbrechlich. Als Träger für autobiografische Aufzeichnungen geht Hessam Samavatian von diesen beiden Eigenschaften aus. Er sieht eine Parallele zum fotografischen Lichtabdruck, der konkrete Erlebnisse aufzeichnen kann. Und er vergleicht die Brüchigkeit des Materials mit der Entwicklung von Leben, das ebenso von durchgehenden Linien wie Brüchen gekennzeichnet ist.
Ozan Turkkan konzentriert sich in seiner Arbeit auf experimentelle Medien und digitale Künste mit Fokus auf Virtual Reality-Erfahrungen und interaktiver Kunst. Bewegte Bilder und Bewegung versteht er als Spiegelung einer unbeständigen Existenz. Im Kino zeigt er die Virtual Reality-Installation Animum Fractum, die mit generativen 3D-Fraktalbildern unter Verwendung neuronaler Daten hergestellt wurde. Fraktal ist ein Begriff des Mathematikers Benoît Mandelbrot (1975), der bestimmte natürliche oder künstliche Gebilde oder geometrische Muster bezeichnet. Vereinfacht gesagt, ist eine fraktale Figur eine geometrische Figur, die in allen Teilen das gleiche Muster wiederholt. Das heißt, je näher man der Figur kommt, desto mehr sieht man die Wiederholung derselben Figur. Die Figur ähnelt sich selbst und wiederholt sich unendlich oft. In der Installation wird der Mensch diesem Phänomen ausgesetzt. Er befindet sich durch die 3D-Animation mitten im Geschehen und ist dennoch außerhalb davon.
Bei Sophia Uckmanns Werkgruppe Cyanotypes handelt es sich um gefaltete Cyanotopie-Unikate, die als Objekte präsentiert werden. Obwohl üblicherweise bei Cyanotypien meist nur die Vorderseite beschichtet und belichtet wird, sensibilisiert Uckmann beide Seiten des Trägermaterials und ist somit in der Lage, eine dreidimensionale Fotografie, die ihren gesamten Umraum aufnimmt, anzufertigen. Im Falle der Cyanotypes bearbeitet sie das Papier nach der Sensibilisierung und formt es zum Objekt. Durch die Entwicklung im Sonnenlicht wird das Trägermaterial somit gleichsam zum Bildinhalt und zum eingeschriebenen Objekt selbst. Uckmann geht es um eine Befragung des fotografischen Materials, um die Fotografie an sich. Aus der materialbasierten Abstraktion, die sie vornimmt, erarbeitet sie ein neues Bild, eine spezifische Form, die auch auf die Herstellung verweist. Versteht man die Abstraktion als Konzentration auf das Wesentliche, verbleiben Licht, lichtsensibles Papier und Zeit als mögliche Parameter der künstlerischen Handlung.
In der seit 2012 stetig wachsenden Fotoserie Documentary of a well known object becoming a sculpture ent- und verwirft Patrick Winkler Raumkonzepte auf der Basis einer Auseinandersetzung mit Form bzw. Nicht-Form. Das jeweils im Zentrum der Fotos abgebildete Objekt, ein Fundstück aus dem öffentlichen Raum, in dem es entsorgt oder als temporäre Schlafstätte genutzt wird, entwickelt sich nach diversen transformatorischen Eingriffen – wie der Manipulation der sichtbaren Kanten – zu einer skulpturalen abstrakten Form. Der reale Hintergrund der Fotos wurde in einen schwarzen Raum verwandelt – ein „Nicht-Raum“ jenseits unserer Wahrnehmung von Perspektive. Die Arbeit versteht sich als Dokumentation eines plastischen Prozesses, aus dem ein neues räumliches Gefüge hervorgeht. Die Spuren auf der Oberfläche der Objekte verweisen auf die Abwesenheit des Körpers und lassen einen sozialen Hintergrund assoziieren. Durch das Abbild aber wird das Objekt auch von seinen Inhalten befreit und kann als Skulptur wirken.
Petra Noll-Hammerstiel für die FOTOGALERIE WIEN
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Wir haben an folgenden Aktivitäten 2019 teilgenommen:
Festival Musrara Mix 2019
und Ausstellung WHISPERS, New Gallery, Musrara, Jerusalem,
28.–30.5.2019: Festival). 28.5–26.6.2019: Ausstellung
WHISPERS
Miriam Bajtala, Alexandra Baumgartner, Christiane Peschek,
Ozan Turkkan, Anna Vasof und Eva Würdinger,
kuratiert von: Susanne Gamauf und Johan Nane Simonsen
MUSRARA
The Naggar Multidisciplinary School of Art and Society
9 Haayin Het st. P.O.B. 32356, Jerusalem, Israel
www.musrara.org
Dank an: Musrara und das Österreichische Kulturforum Tel Aviv