Eröffnung: Montag, 3. Juni 2019, 19.00 Uhr
Einführende Worte: Johan Nane Simonsen
Ausstellungsdauer: 4. Juni – 6. Juli 2019
Begleitprogramm:
Videoscreening am Freitag, 28. Juni, 19.00 Uhr
Teilnehmende KünstlerInnen:
Anna Barbieri, definite security, 2019
Viktoria Bayer, I didn’t come here to perform, 2018
Adina Camhy, Mensch Maschine Or Putting Parts Together, 2019
Pille-Riin Jaik, Still of a house, 2018/2019
Gašper Kunšič, Awkward Silence, 2019
Hyeji Nam, 파리 PA RI, 2018
Anna Watzinger, living image_deleted, 2018
sponsored by: BMOEKS; MA7-Kultur; Cyberlab
Mit der Reihe Propeller (lat.: propellere „vorwärts treiben“) beginnt die FOTOGALERIE Wien eine regelmäßig stattfindende Biennale, mit der jeweils das aktuelle Geschehen auf den österreichischen Kunsthochschulen reflektiert werden soll. In Propeller I wird nun eine erste Auswahl studentischer Arbeiten gezeigt. Die FOTOGALERIE WIEN möchte so einerseits deren Arbeit für ein breiteres Publikum sichtbar machen und ihnen weiters die Möglichkeit geben, den Ausstellungsbetrieb besser kennenzulernen. Wie arbeiten junge Kunstschaffende heute in den Bereichen Fotografie und Neue Medien? Für diese Generation sind digitale Bilder ebenso selbstverständlich wie gattungsübergreifendes Arbeiten – und auch der analoge Papierabzug scheint nichts von seiner Magie verloren zu haben. Die hier gezeigten Werke tragen dieser Vielfalt und Vielschichtigkeit Rechnung, sie sind dokumentarisch und manipuliert, appropriiert und inszeniert. Fotografie ist mehr als nur ein Medium, sie ist Material, Strategie und Pose.
Das Video A student kept herself busy learning about photography whilst not doing photography zeigt Anahita Asadifars Versuch, den Prozess des Fotografierens in einem erweiterten Sinn zu beschreiben. Bei Auftragsarbeiten stellt sich die Frage, wie ein unmittelbarer Umgang mit der Fotografie möglich bleibt. Die Wahl einer Wärmebildkamera bietet Asadifar einen willkommenen Perspektivenwechsel: So wie man mit der Fotokamera Licht aufnimmt, kann man hier kontrollieren, welches Spektrum von Wärmestrahlung aufgenommen wird. Das ermöglicht jenes Spiel mit Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, welches auch dem Medium der Fotografie inhärent ist. Für ihre Videoarbeit entkontextualisiert sie Zitate großer AutorInnen der Kunst und Kunsttheorie, eignet sie sich an und verleiht so ihren Gedanken zur Fotografie Ausdruck.
Die Serie Untitled (Stream of Consciousness) von Joachim Bøgedal ist an die Erzähltechnik des Bewusstseinsstroms angelehnt, an den Versuch, die Art, wie die menschlichen Gedanken fließen, in geschriebener Form wiederzugeben. Das ungeordnete Hin- und Herspringen zwischen Wahrnehmung, Gefühlen, Erinnerungen und Reflexionen wurde von ihm in eine visuelle Form übersetzt, die diesem Spannungsverhältnis von großer Freiheit und gleichzeitiger Kontinuität Rechnung trägt. Verschiedene Orte, verschiedene visuelle Qualitäten und Stufen der Manipuliertheit kommen in einer zusammenhängenden „Geschichte“ in einer Serie zusammen. Fast alle Bilder sind mit einer analogen Großformatkamera auf Schwarzweißfilm aufgenommen und in der Dunkelkammer entwickelt worden.
DEAD WHITE MEN´S CLOTHES (DWMC) ist ein transdisziplinäres Fashion-Label von Jojo Gronostay. Die Kleidung von DWMC wurde auf dem Kantamanto Markt von Accra in Ghana gekauft. Dieser Markt ist einer der größten Sammelstellen für Secondhandkleidung weltweit. Die oft gespendeten, aus Asien, Europa, Nordamerika und Australien stammenden Kleidungsstücke werden hier wieder dem Kreislauf des Kapitalismus zugeführt. Die gebrauchte Kleidung wird in Ghana als „Obroni Wawu“ bezeichnet, was sich als „Kleidung toter weißer Männer“ übersetzen lässt. Als in den 1970er-Jahren zum ersten Mal Secondhandkleidung importiert wurde, konnten die GhanaerInnen nicht glauben, dass jemand so schöne Kleidung verschenken würde und gingen davon aus, dass die Kleidung von Verstorbenen stammte.
Mit der Serie Mundane Confusion Constant Mystification versucht Erli Grünzweil, den nichtlinearen Weg eines Jungen, der sich von seinem Herkunftsmilieu entfremdet hat, zu (re-)konstruieren. Es ist die Suche nach der eigenen Haltung und zeigt Konflikte, Gegensätze und Unsicherheiten verschiedener sozialer Milieus. Grünzweil eröffnet eine Welt, die so abstrakt und fragmentarisch ist, dass sich der/die BetrachterIn in das Bild- und Sound-Universum projizieren kann. Linsenbasierte und nicht linsenbasierte Bilder treffen aufeinander und verschwimmen. Manipuliertes erscheint glaubhaft, nicht Manipuliertes wirkt surreal. Die Fotos thematisieren die Bewältigung von verdrängter Vergangenheit, verträumter Gegenwart und verfluchter Zukunft hin zum entfernten Ziel eines glücklichen und zufriedenen Lebens.
Auch Tobias Izsó ist auf der Suche nach einer Form der Repräsentation von Gedanken. Ausgangspunkt für Etwas Tot-Denken ist eine ca. DIN A3 große Collage „aus sechs unabhängig voneinander geborenen, zusammengewürfelten Zufällen“. Durch den Zwang, die geschaffene Situation zu reflektieren und logisch zu erfassen, beginnt der Prozess der Elimination der Situation: das Tot-Denken. Das rätselhafte Bild entpuppt sich als Keimzelle für einen ganzen Werkzyklus, für eine scheinbar unkontrollierbare Dynamik der semiotischen Bezugnahmen und der medialen Vervielfältigungen. Das Spiel mit dem Bild-im-Bild-im-Bild, mit Spiegelungen und nicht zuletzt mit der Fotografie wird immer verschachtelter und ist erst recht nicht zu Ende, wenn der/die BesucherIn vor dieser raumgreifenden Installation steht und sich fragt, was hier eigentlich zu sehen ist.
Die digitale Collage 우리들을 무찌르자 (DEFEAT US); uoaea von Lim Jang betont die Eingebundenheit des Bildes in einen (medialen) Kontext. Dieser ist nie neutral und beeinflusst unsere Auffassung des präsentierten Inhalts. Jangs Themen sind das Ineinandergreifen von Politischem und Privatem, die staatliche Kontrolle über Entscheidungsfreiheit und Körper von Frauen, aber auch allgemein das wechselseitige Konfliktverhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft. Das verwendete Foto ist das Destillat aus einem früheren Performance-Video. Der Bildausschnitt treibt die Sexualisierung von Frauen auf die Spitze, die rasierte Bikinizone verweigert sich aber der Perfektion: spitze Stoppeln bohren sich durch den Badeanzug – poetischer Widerstand der Körperbehaarung.
Das Künstlerbuch Enthusiastic Gaze ist Ergebnis von Gašper Kunšičs laufender Recherche und Materialsammlung zur Ästhetik des sozialistischen Realismus, öffentlicher Skulptur und Ornamenten aus Zentral- und Osteuropa. Die Objekte werden in einer fragmentierten und dekonstruierten Form präsentiert, neu miteinander kombiniert und unter einem Farbschema zusammengefasst. Leitthemen sind der Kontrast zwischen den starken, unversehrten Körpern der Skulpturen und den gescheiterten politischen Systemen, die sie hervorgebracht haben. Das Buch nimmt die historischen Elemente auf und versucht, sie von ihren ideologischen Rollen zu befreien und sich stattdessen auf die ästhetischen Qualitäten zu konzentrieren. Kunšič untersucht das Verhältnis zur eigenen Identität, zum öffentlichen Raum, zur Geschichte und jenem Gesellschaftssystem, das die jungen Generationen zwar nicht miterlebt haben, dessen Echo aber immer noch spürbar ist.
Moritz Matschkes Projekt Zug Vogel Mensch basiert auf einer parametrischen Reise mit einem Zugvogel für die Dauer eines Wanderzyklus’ im Jahre 2018. Sowohl Storch als auch Mensch waren mit einem GPS-Logger ausgestattet und über ein telemetrisches Signal miteinander verbunden. Ziel und Route der Reise wurden vom Vogel festgelegt. Moritz Matschke experimentiert mit verschiedenen Formen möglicher Sichtbarkeit der Beziehung Mensch-Storch. Die Fotografien erzählen zum einen von unterschiedlichen Nähe- und Distanzverhältnissen zwischen beiden. Zum anderen sind es Fotografien, die über gegenständliche und nicht-gegenständliche Artefakte des „Animal Tracking“ berichten. Hier liegt das Augenmerk auf der Fülle an AkteurInnen und ihren persönlichen Weisen, sich in den Apparatus einer praktizierten Ornithologie einzuschreiben.
Eine wichtige Referenz für die Videoarbeit Altar von Mariya Vasilyeva ist das Gemälde Der Garten der Lüste von Hieronymus Bosch: Der tableauartige Bildraum wird von vielen kleinen Akteurinnen bevölkert, die erst bei näherer Betrachtung das groteske Thema dieser Arbeit offenbaren. Schlüsselfigur ist die „Prolapskugel“, für die ein Pornofilm als Vorlage dient, welcher einen Rektumprolaps zeigt, einen Vorfall des Enddarms infolge harter analer Penetration – ein neuartiger Trend in der Mainstream-Pornografie. Vasilyeva versucht, den Fetischismus der pornografischen Bildsprache in einer dekonstruktiven Persiflage überzuaffirmieren – bis zu dem Punkt, an dem sie in ihr Gegenteil umschlägt: Fragmentierte Körperteile, ja sogar das Körperinnere gewinnen ein Eigenleben und werden zu Protagonisten des Geschehens.
Suchart Wannaset hat aus gefundenen Super8- und Normal8-Filmen den eindringlichen Film Herrschaft montiert. Den Bildern haftet eine seltsame Nostalgie an, ohne dass man mit Sicherheit sagen kann, aus welcher Zeit das gezeigte Material tatsächlich stammt. Die immersive Tonspur lädt dazu ein, in dieser seltsamen, überzeitlichen Welt zu versinken. Dem Titel entsprechend geht es um das scheinbar zutiefst menschliche Streben nach Macht und Kontrolle – nicht nur über andere Menschen, sondern auch über die Natur und die Elemente. „Und am Ende steht man doch im Stau in den Massen mit den Autos“, wie der Künstler anmerkt.
Die Auseinandersetzung mit Zeit ist die treibende Kraft in Angelika Wienerroithers fotografischer Arbeit. Sie gibt ein Setting vor und überlässt es dem Leben, die Fotografien zu machen. Hinter jedem Bild der 16-teiligen Serie liegt ein individueller und analoger Entstehungsprozess; das fertige Werk ist Dokument einer Langzeitbelichtung. Acht Stunden lang tropft etwa Regenwasser auf ein unbelichtetes Negativ. Der Film speichert, was in dieser Nacht passiert. In 35 Stunden und 30 Minuten reist die Künstlerin 18.612 Kilometer; das Negativ fliegt in einer Dose voll Sand im Koffer mit – und jedes Ruckeln hinterlässt Spuren in der sensiblen Oberfläche.
Kuratiert von Brigitte Konyen, Johan Nane Simonsen und Patrick Winkler
Johan Nane Simonsen für die FOTOGALERIE WIEN