Der Schwerpunkt 1995 ist dem fotografischen Porträt gewidmet. Seit der (noch immer falsch gelesenen) Geschichte von Narziß wissen wir, daß es zum humanen Sein gehört, über sich selbst „im Bilde“ zu sein. Und wenn wir die Erfindung der Photographie etwas akzentuiert interpretieren, könnten wir sagen, daß sie nur deshalb erfunden wurde, damit wir noch „besser“ über uns „im Bilde“ sind (was noch lange nicht bedeutet, daß man/frau sich deshalb besser „wahrnimmt“).
Die erste Ausstellung des Schwerpunktes ist der Künstlerin Elfriede Mejchar mit ihrer Serie über FotokünstlerInnen und KunstvermittlerInnen von 1988 bis 1994 gewidmet. Seit den fünfziger Jahren ist das Thema Portrait ein wichtiger Bildteil ihres umfangreichen photographischen Oeuvres.
Elfriede Mejchar – Im Angesicht des Portraits: In den 1950er-Jahren begann sie eine große Serie von Künstlerportraits, die auch Ateliersituationen beinhalten (u.a. von Arnulf Rainer, Rudolf Hausner, Josef Mikl). 1988 hat sie wiederum dieses Thema aufgegriffen und fast alle österreichischen Künstlerlnnen und Vermittlerlnnen im Bereich der künstlerischen Photographie portraitiert. Elfriede Mejchar geht es dabei allerdings nicht um Charakterstudien oder gar um psychologisierende Darstellungsweisen. Sie hat formal eine sehr strenge, konzeptive Strategie entwickelt, die auf zwei Bildausschnitten basiert: dem Gesichtsportrait sowie dem „amerikanischen“ Format, bei dem auch die Einbeziehung der Hände eine wichtige Rolle spielt. Beide „Einstellungen“ verschränken gewissermaßen den „nahen“ und „fernen“ Blick auf jemanden. Auch die photographische Grundhaltung geht von zwei Dispositiven aus: Einerseits sind die Portraits Inszenierungen der Photographin, andererseits sind sie Inszenierungen auch der Portraitierten selbst (Mejchar verweigert allerdings dem Betrachter eine diesbezügliche Zuschreibung).
Die äußerst minimalistische Realisierung der Arbeiten –neutraler Hintergrund, Reduktion auf klare, die Personen betonende bildsprachliche Elemente – verknüpft dabei phototechnische Darstellungsmodi aus den vierziger und fünfziger Jahren mit aktuellen technischen Möglichkeiten der Bildherstellung und des Bildverständnisses. Genau daraus resultiert die reizvolle Ästhetik dieser Portraitserie, insoferne verschiedene, aus den jeweiligen phototechnischen Möglichkeiten resultierenden pikturalen Codes aufeinander bezogen werden und sich gegenseitig durchdringen. Auch daran wird erkennbar, daß es nicht um das intuitive Erfassen der Dargestellten geht, sondern um die visuelle Auslotung des jeweiligen persönlichen, vielleicht auch künstlerischen „Habitus“. Elfriede Mejchar hat mit diesem, sich über viele Jahre erstreckenden Projekt faszinierende Portraits, gewissermaßen „Personogramme“ der photokünstlerischen Szene in Österreich geschaffen. Und je nach den rezeptiven „Gradationen“ des Initiiertsein in dieser Szene wird ein vielfältiges (amikales, intrigantes, aversives, destruktives, liebevolles, zorniges, besorgtes, diffamierendes, verletztes, sich unverstanden fühlendes, neutrales, cliquenhaftes oder vereinzeltes) Beziehungsgeflecht zwischen diesen Personen sichtbar.
Wenn wir den Begriff „Portrait“ etymologisch in seiner konnotativen Semantik betrachten, so bedeutet es auch Entwerfen. Elfriede Mejchar entwirft so in der Summe aller Portraits einen panoramatischen Blick, der immer auch Verwerfung im Sinne der Verweigerung einer definitiven Fixierung inkludiert (jede „Dar“stellung ist immer auch „Ver“stellung, „Ent“stellung, „Um“stellung). Es war Jacque Lacan mit seiner Theorie des „Spiegelstadiums“, der die enorme Bedeutung der Ich-Konstitution durch Bilder erkannt hat, insoferne man sich via (Spiegel-)Bilder nicht (nur) narzistisch, sondern sich selbst vor allem als jemand „Anderer“ erfährt; er hat aber auch davon gesprochen, daß wir nicht nur Bilder betrachten, sondern daß wir von ihnen auch betrachtet werden – lassen wir uns also von diesen Portraitphotographien auch betrachten und vielleicht – zumindest visuell – berühren …
(textliche Betreuung: Carl Aigner)