Jörg Auzinger: Transmitter
an der wand befinden sich fünf leuchtkästen, deren kreisförmige bildflächen von sogenannten „spionspiegeln” verdeckt werden. im ausgeschalteten zustand entsprechen nun diese leuchtflächen spiegeln. die spiegelkästen sind mittels sensoren, die sich unter dem „schaltbild” befinden, steuerbar. das „schaltbild” zeigt ein stilisiertes schema der sechs schichten der menschlichen groß-hirn-rinde (cortex cerebri) und deren reihung der kortexfelder im ablauf eines gedankens. die form dieses schemas entspricht einer elektronischen leiterplatte, die den vereinfachten signalfluss durch den querschnitt der grosshirnrinde darstellt. der rezipient setzt einen leuchtkasten mittels berührung des schaltpultes an entsprechender stelle in gang.
der spiegel verschwindet nun zugunsten einer photographie.
der spiegel ist ein instrument der selbsterkenntnis, das dem men-schen direkt sein eigenes bild, sein doppel, sein phantom, sein trugbild zeigt.
der spiegel dient als mittel der entfremdung, der objektiven be-trachtung von dingen und sich selbst. das subjekt wird im spiegel zum objekt und lässt daher eine annäherung an sein „alter ego“ zu.
lm linearen, kausalen weltbild nimmt der mensch eine beschrei-bende, demnach der welt untergeordnete haltung ein. dinge wer-den durch beschreibung erforscht, verstanden und die daraus entstandenen erkenntnisse für den menschen genützt. mit dem neuzeitlichen numerischen denken, das eine notwendige konse-quenz aus dem kausalen denken bedeutet, wurde ein dimensi-onswechsel hin zu einem numerischen denken, das welt und mensch punktuell, mosaikartig zersetzt und zusammensetzt, vorgenommen. seit diesem sprung konnte sich erst die moderne wissenschaft und technik entwickeln. der mensch hat somit den wechsel vom passiven beschreiber zum aktiven „schöpfer” voll-zogen. Denn umgekehrt lassen sich nun durch das numerische denken gegebenheiten steuern. (vgl. gentechnologie)
mit dem umkodieren des denkens aus geschichtlichkeit in sy-stemanalyse und systemsynthese ist das denken abstrakter ge-worden. es ist aus der unidimensionalität in die nulldimensiona-lität zurückgetreten. nulldimensionalität bedeutet kalkulatori-sches bewusstsein im gegensatz zum kausalen bewusstsein. kal-kulatorisches bewusstsein setzt ein heraustreten des denkens aus der sicht der welt als eine verkettung von ursache und wirkung voraus. die linearität der kausalkette, das denken in buchstaben, muss aufgegeben werden, zugunsten eines erkennens der welt als zufallswurf und der daraus resultierenden konsequenz des entwickelns von modellen jeglichen inhalts und ziels. der mensch insgesamt wird kalkulierbar. nicht nur als physische und psychologische, sondern auch als mentale, soziale und kulturelle sache. „strukturell denkende” erzeugen die modelle, nach denen sich die mehrzahl richtet (z.b. werbung, politische programme).
das numerische denken eröffnet uns dies, da seine struktur mit der struktur der dinglichen welt nicht adäquat ist, es bietet dem menschen den entscheidenden abstand zu sich selbst und den dingen. das subjekt wird somit zum objekt.
alle mentalen funktionen, angefangen von der wahrnehmung bis zur entscheidung, werden objektivierbar, d.h. vom menschen auf andere objekte übertragbar.
demnach simuliert die photographie die vorgänge in den opti-schen nerven und die darauffolgende prozessierung im zentral-nervensystem, welche die wahrnehmung der dinge hervorruft.
hierauf muss nun eine weitere entscheidende konsequenz folgen:
das menschliche gehirn wurde bis dahin als schnittstelle zwi-schen mensch als objekt (körper) und mensch als subjekt (geist) beschrieben. der radikale schritt zum simulieren von vorgängen im menschlichen gehirn hat zur folge, dass der „geist” (das sub-jekt) des menschen simulierbar und daher zum objekt techni-scher manipulation wird. beziehungsweise muss sich der terminus „geist” in seiner ursprünglichen begrifflichkeit auflösen. mit der photographie wird die trennung subjekt/objekt (geist/körper) überwunden. was scheint aber nun vom menschen übrig zu bleiben, wenn selbst das undefinierbare immaterielle zum materiellen und somit atomisierbar und analysierbar wird? der mensch wird in punkte, codes und relationen zerlegt. das neuzeitliche numerische denken hat zu einer auflösung der dinge und des denkens selbst geführt. am ende scheint „nichts” mehr übrig zu bleiben. dies ist der letzte schritt in die abstraktion, in die nulldimensionalität.
die eindimensionalität der schrift wurde somit überwunden. doch die zersetzung des menschen und der dinge muss sich nun in diesem nullpunkt wieder umkehren.
ein weiterer schritt in die abstraktion ist nicht möglich, weniger als nichts kann es nicht geben. ein streben zurück in richtung des konkreten setzt hier ein. beispielsweise wird „leben” nicht mehr in gene dekodiert, sondern dank der gentechnologie auch wieder zu neuen informationen zusammengesetzt, um “künstliche le-bewesen” zu erzeugen. somit zeigt uns die wissenschaft, dass wir selbst nur verwirklichungen von möglichkeiten sind. durch das erreichen der nulldimensionalität im denken ist der weg auch frei für projizierte, alternative welten: welten, die aus und durch den computer, unter dem selben prinzip des zurückschreitens aus der abstraktion entstehen. der weg von der abstraktion zurück zum konkreten, als konkretisierung des kalkulierenden denkens, ist kürzer, als der weg vom ding zum abstrakten. der begriff der „streuung” scheint relevant zu werden.
um nochmals auf die photographie zurückzukommen: das photo ist nur der erste schritt in richtung eines synthetischen herstellens von dingen aus „körnern”. das photo ist körnig; je feiner die körnung und je dichter die streuung, desto ähnlicher wird das abbild der realität.
da wir wissen, dass jeder und alles nur aus punktschwärmen zusammengesetzt ist, besteht die möglichkeit, dass diese „künstlichen”, projizierten, alternativen welten die dichte der streuung der sogenannten realen dinge erreichen werden, und dass daher die unterscheidung zwischen bild und ding, zwischen fiktion und realität immer unoperationaler wird, insbesondere da ja die sogenannte realität – im sinne von wahrgenommener welt – sich selbst als komputation, als zusammensetzung einer mög-lichkeit von vielen, herausstellt. (Jörg Auzinger, 1998)
Vom Bestreben, sich an der Abbildung zu erfreuen: Der programmatische Titel der aktuellen Arbeit von Horst M. Jaritz verweist uns nicht nur ins Reich der Kunst, sondern auch in jenes des soziokulturellen Umfeldes. Bildungsbürgertum ist immer noch das Schlagwort der Stunde, das Auf-das-Bild-Bannen denkwürdiger Momente, Historisierung privater Attitüde.
Auch wenn Cartier-Bresson vom „decisive moment“ als seinem Grundprinzip fotografischen Arbeitens spricht, basiert er auf den durchaus tradierten Sichtweisen allgemeinen bildnerischen Ge-staltens, die sich im 20. Jahrhundert zunehmend in der Fotogra-fie polarisierten, während sie sich in der bildenden Kunst mit dem Impressionismus durch das bewußte Einsetzen des Lichts regelrecht aufzulösen begannen.
Während also Licht in der Malerei das Abbild diminuierte, er-möglichte es nämliches in der Fotografie. Als Clair-obscure, der transitorischen Durchdringung von Licht und Dunkelheit, war es ein Prinzip, daß sich nicht nur die Malerei, sondern später auch die Fotografie mittels Experiment zu eigen machte: Licht hinterläßt Spuren auf lichtempfindlichem Material, auch ohne die Hilfe von Apparaturen. Seit dem 16. Jahrhundert existiert der Terminus „belichten“, seit dem 19. Jahrhundert in Bezug auf die Fotografie. Doch waren auch hier größtenteils die Sujets dem Gegenständlichen verhaftet.
Horst M. Jaritz bedient sich nun dieses Lichts, wenn auch in diametraler Absicht zur – nicht nur – klassischen Fotografie, und seine Arbeiten werden damit selbst zum Originären, nicht zur Abbildung.
Die Annäherung an einen erweiterten Fotobegriff erfolgt empi-risch: durch „work in progress“ entsteht eine Rauminstallation, bei der das Umfeld auf einem Bildmedium eine latente Impres-sion hinterläßt. Und wie Saturn seine Kinder, so zerstört sich das bildgewordene Licht letztendlich durch sich selbst. Der Bildträ-ger wird monochrom, der Betrachter wird auf sich selbst zu-rückgeworfen, sein Bestreben bleibt ein rein abstraktes. Lux vincit. (Anneliese M. Geyer, Kunstverein Steyr)